Mutig ist, wer sich ewig bindet – Ein Plädoyer für mehr Verbindlichkeit

© Toa Heftiba | Unsplash

Ich werde dieses Jahr 30 und mit ein bisschen Glück werde ich diesen Geburtstag verliebt mit einem neuen Partner zusammen feiern. Ich möchte mich festlegen, mich für einen Menschen und eine gemeinsame Zukunft entscheiden. Nicht, weil ich der Meinung bin, dass ich das müsste oder “man das eben so macht”, sondern weil ich es wirklich will. Trotzdem bin ich eine von den selbstbestimmten, experimentierfreudigen, freien und eigenwilligen Frauen, die gerne als “dem Zeitgeist entsprechend” betitelt werden.

Wer mir nun ein Bedürfnis nach Stetigkeit und Sicherheit unterstellt, dem möchte ich vehement widersprechen. Ich glaube, wirklich mutig heutzutage ist, wer sich bindet und sich traut, eine Entscheidung für eine Person und ein gemeinsames Leben zu treffen. Denn nichts ist so unstetig wie eine funktionierende Beziehung. Und nichts ist unsicherer, als sich beim Glücklichsein auf jemand anderen zu verlassen.

Sind wir wirklich die Generation "beziehungsunfähig"?

Kein Wunder, dass wir die Generation “beziehungsunfähig” sind. Die Generation Tinder. Unsere Hauptstadt ist Berlin. Affären sind unkompliziert und können uns die Nähe und Geborgenheit geben, die wir kurz- oder längerfristig brauchen. Selber habe ich diesen Möglichkeiten viele schöne Begegnungen und Momente zu verdanken. Ich möchte aber denjenigen widersprechen, die “Beziehungsunfähigkeit” als eine neue Art von Beziehung, die viel besser in unsere Zeit passen soll, begründen. Das postpubertäre Kokettieren mit dem “anders” als die vorherigen Generationen zu sein, ist schlichtweg zu kurzsichtig und ignorant. “Beziehungsunfähig”? Wohl kaum! “Beziehungsunwillig”! Schon eher.

Nichts ist so unstetig wie eine funktionierende Beziehung. Und nichts ist unsicherer, als sich beim Glücklichsein auf jemand anderen zu verlassen.

Beziehung heißt nicht Stillstand

Wir wollen Flexibilität in allen Lebensbereichen – Arbeit, Wohnort, Freundschaften. Warum sollte diese Flexibilität bei unseren romantischen Liebesbeziehungen aufhören? Wäre es da nicht nur konsequent, auch Liebesbeziehungen ungebunden und flexibel zu leben?! Natürlich hat jede/r das Recht, keine Beziehung führen zu wollen. Aber "Nicht-Beziehungen" sind die feige, sichere Variante. Beziehungen sind doch lebendig und genau so wandelbar wie diese Nicht-Beziehungen. Beziehung heißt nicht Stillstand.

Klar ist heutzutage alles in Bewegung, da muss eben die eine Langzeitbeziehung auch in Bewegung bleiben. Echte Partnerschaft ist niemals starr und langweilig, sie verändert sich stetig mit den Menschen. Und die Offenheit und Ehrlichkeit, mit denen wir unseren Affären begegnen möchten, die braucht es eben auch in der Beziehung. Mit dem Unterschied, dass echte Langzeitbeziehungen nur etwas für die Mutigsten unter uns sind. Wer tatsächlich diesen Mut aufbringen kann, wird mit seiner Partnerin oder seinem Partner im Idealfall auch immer Kompromisse finden, die beide Seiten glücklich machen.

Echte Langzeitbeziehungen sind nur etwas für die Mutigsten unter uns.

Angst ist der größte unterbewusste Motivator für unser Verhalten. Die Angst sich zu binden, sich abhängig zu machen, Verantwortung zu übernehmen für jemand anderen als sich selbst, lässt uns panisch werden. Was ist, wenn mein Gegenüber merkt, dass ich (noch) nicht die Version von mir bin, die ich gerne sein würde (oder vielleicht niemals sein werde)? Was passiert, wenn er oder sie bemerkt, dass ich nicht perfekt bin? Und was passiert, wenn ich die andere oder den anderen nicht glücklich machen kann? Diese Unsicherheit erfüllt uns mit solcher Angst, dass wir egoistisch werden. Wir wollen uns auf niemanden mehr verlassen, wenn es darum geht, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

Denn nichts erfordert mehr Mut und Hingabe als echte Verbindlichkeit. Unser Tun in Beziehungen hat Einfluss auf die Gefühle, das Handeln und das Glück unseres Gegenübers. Ich behaupte: Bei all der Flexibilität, die wir für uns einfordern: Liebe ist unser Anker und unsere Zuflucht. Wir sind soziale Wesen und zu viel Egoismus wird uns auf lange Sicht kein erfülltes und glückliches Leben bescheren. Nur wer alles riskiert, kann auch alles gewinnen.

 

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