Mit Blick auf den Berliner Westen essen im Golvet
Schon länger geht in Berlin das Gerücht herum, dass essen gehen das neue Party machen sei. Das Golvet (norw. für “Boden”) ist dafür der beste Beweis. Wo einst der Club 40seconds – eine Anspielung auf die 40 Sekunden, die der Fahrstuhl bis in den 8. Stock braucht – hauste, können jetzt Restaurantbesucher leckere Kost und immer noch einen tollen Ausblick genießen.
“Am Anfang haben sich noch ein paar alte Clubgänger nach hier oben verirrt und einen Anstandsdrink an der Bar bestellt”, erzählt uns Benjamin Becker, Chef-Sommelier des Golvet und früher im einsunternull tätig, lachend. Seit Mai hat das Golvet geöffnet und befeuert den Hype um die neue kulinarische Meile Potsdamer Straße.
An deren Ende (oder Anfang?) gleich gegenüber der Neuen Nationalgalerie, muss man den Eingang in das eher unscheinbare Gebäude erstmal finden. Einmal mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren, landet man in einem eher dunkel und relativ elegant gehaltenen Restaurant mit offener Küche und großen Fenstern. Stil: irgendwo zwischen “Mad Men” und modernem Design. Wer hier diniert, hat Berlin fest im Blick: das Sony Center, die Berliner Philharmonie, ein bisschen weiter rechts sogar den Flughafen Tempelhof. Auf der anderen Seite geht leise die Sonne unter und taucht die Stadt in warme Farben.
An diesem Abend kümmert sich Servicedame Barbara um uns – und das ist auch wichtig, denn die Karte des Golvet hält allerlei Details bereit. Jedes Gericht ist ein kleines Gedicht. Da reimt sich Gebeizter Wildlachs auf eingelegtem Rhabarber, Dillblüten und Miso-Mayonnaise oder Petersiliencreme auf geeistem Egerling, ein Pilz, der roh und in Eisform seinen Platz findet. Frankfurter Grüne Sauce kuschelt mit Hoi-Sin-Makrele, Ziegenquark und Kartoffeln im Salzteig.
Küchenchef Björn Swanson, der schon im Sternerestaurant Relais & Châteaux Gutshaus Stolpe gekocht hat, spielt mit verschiedensten Produkten, verleiht Klassikern ein neues Gesicht und schafft ganz eigene Kreationen. Auf ein Oberthema könne und wolle sich das Golvet aber nicht festlegen, sondern lieber flexibel bleiben, wie uns Sommelier Becker erklärt. Wichtig sei vor allem der Spaß am Essen. Den haben wir, vor allem als Barbara vor dem Dessert mit dem Käsewagen vorbeikommt.
Besonders interessant dürfte das Golvet übrigens für alle sein, die gerne mal einen alkoholfreien Abend einlegen. Neben einer sehr guten Weinauswahl – Herr Becker berät gut und weiß alles über seine Weine, die Trauben und kennt vermutlich auch die Haarschnitte der Winzer – hält das Restaurant nämlich auch eine alkoholfreie Getränkebegleitung bereit. “Diese Alternative kommt bei den Gästen gut an, aber man muss sie noch darauf hinweisen”.
Doch es lohnt sich. Die Drinks auf Kombucha- oder Wasserkefir-Basis eröffnen mit Eigenkreationen wie Räuchertee-Kombucha nicht nur neue Geschmackswelten, sondern komplettieren auch hervorragend die Speisen. So gibt es zum Dessert – Lavendel-Meringue, Erdbeeren und Eis von gebranntem Honig – Wasserkaramellkefir, süßlich und lecker.
Wer im Golvet essen geht, sollte etwas mehr Zeit einplanen und einen freien Kopf haben, um all die Geschmackseindrücke mitzunehmen. Es ist kein Ort, an den man nochmal schnell nach der Arbeit huscht. Einziges Manko der ganzen Angelegenheit: Die Location könnte gerade den Casual-Dinern ein wenig zu kühl und steif sein, auch wenn man sich um Lässigkeit bemüht. Aber es hat Potential – und feiern gehen kann man ja schon länger auch woanders.
Unbedingt probieren: Räuchertee-Kombucha, Frankfurter Grüne Soße und den in Portwein eingelegten Mimolette-Käse vom Käsewagen!
Veggie: Bis auf Käse und Dessert findet sich auf der Karte nichts ohne Fisch oder Fleisch. Doch auf Nachfrage finden die smarten Köche auch für Vegetarier eine Lösung.
Preise: ab 68 Euro für 3 Gänge, Hauptspeisen á la carte um die 30 Euro
Beste Zeit: Abends kurz vor Sonnenuntergang, so dass noch genügend Zeit für einen Drink auf der Terrasse bleibt
Golvet | Potsdamer Straße 58, 10785 Berlin | Dienstag – Samstag ab 18.30 Uhr | Mehr Info