Lässig ist lame – Warum sind die Menschen in Berliner Clubs so langweilig gekleidet?

© Franziska Taffelt

In den meisten Berliner Clubs sehen die Leute zurzeit aus, als hätten sie sich soeben von ihrer Matratze über die Glitzerreste in den Parkettfugen gerollt und wären dann direkt auf der Tanzfläche gelandet. Das Erscheinungsbild der „jungen Wilden“ ist mittlerweile nicht mehr von einer Übernachtungsparty im Schullandheim zu unterscheiden. Nachts sind alle Katzen grau – war das wirklich Sinn der Feierkultur?

Nachts sind alle Katzen grau

Man könnte denken, die Leute hätten Angst aufzufallen. Nachts! In Berlin! WTF?! In der Hauptstadt der Verrückten stehen wir zur Primetime uniformiert in Leggins, Skinny Jeans und mit dezent zerrissenem Oversize-Shirt auf der Tanzfläche und feiern unsere Lässigkeit. Wo bleibt die vielbeschworene Kreativität, die heilige Individualität und die sagenumwobene Fantasie der Leute?

Das Erscheinungsbild der 'jungen Wilden' ist mittlerweile nicht mehr von einer Übernachtungsparty im Schullandheim zu unterscheiden.

Versteht mich nicht falsch: Es ist eines der schönsten Dinge an Berlin, dass man leichter in Jogginghose und mit Turnschuhen in die Clubs kommt als mit Polohemd oder High Heels. Verständlich auch, dass Bequemlichkeit für viele oberste Priorität beim Partyoutfit hat, schließlich verbringt man unter Umständen auch mal 48 Stunden darin. Das Problem ist nicht die Bequemlichkeit der Outfits – sondern dass wir es uns darin ein bisschen zu bequem gemacht haben.

Vor einigen Jahren fragte Steffi Lotta mich und eine Freundin an der Kater-Tür: „Zeigt mal eure Outfits – wo bleibt denn da der Wumms?“ Wir entgegneten, dass unser Wumms auf der Tanzfläche kommt und kriegten trotzdem Einlass. Mittlerweile weiß ich allerdings, was sie meint. Schon mal den Spruch gehört „Zieh dich für den Job an, den du willst“? Nach Sonnenuntergang müsste er heißen: Zieh dich für die Party an, die du willst! Wenn wir uns überlegen, wie wir uns eine legendäre Berliner Nacht vorstellen, denken wir sicher nicht an eine entspannte Netflix-and-Chill-Session auf der Tanzfläche. Wieso sehen wir dann alle so aus? Wer auf Abenteuerreise in andere Sphären unterwegs ist, sollte dafür vielleicht auch mal den Raumanzug polieren.

Netflix and Chill statt Abenteuerreise in andere Sphären

Idealerweise möchte ich nachts in eine Fantasiewelt eintauchen. Ich möchte den Unterschied zwischen einer Pyjamaparty und einer Partynacht aber nicht nur an mir selber spüren – ich will ihn auch um mich herum sehen. Kurz gesagt: Gäste sind die schönste Deko! Den ganzen Kram von Spiegelkugel bis Lasershow könnten sich die Clubs sparen, wenn sich die Gäste mal wieder mehr ins Zeug legen würden. Ich bin mir sicher, dass das viele auch gerne würden – sich aber oft nicht trauen, weil im Gesamtbild selbst der Lippenstift zur Mutprobe wird.

Das Problem ist nicht die Bequemlichkeit der Outfits – sondern dass wir es uns darin ein bisschen zu bequem gemacht haben.

Dabei geht es weniger ums Verkleiden als vielmehr darum, ein bisschen mit der eigenen Persönlichkeit zu spielen, Mut zu zeigen, sich auszuprobieren oder auch zu verstecken – sich auf jeden Fall nicht zu ernst zu nehmen. Unsere Nacht-Persönlichkeit ist im Grunde nichts anderes als die Kunstfigur des kleines Mannes beziehungsweise der kleinen Frau. Free your inner David Bowie!

Auf den Sex-positive Partys, die in Berlin gerade Hochkonjunktur haben, ist das Teil des Konzepts. Ob Pornceptual oder Red Doors: Hier sind die fantasievollen Kostüme der Gäste unverzichtbar (und das, obwohl die Outfits kaum Stoff beinhalten). Damit sich trotz aller exaltierten Nacktheit jeder wohlfühlt, kommt hier niemand in Straßenklamotten rein. Aus gutem Grund: Schon mal nackt in der Sauna gesessen, als jemand in Badeklamotten reinkam? Oder irgendwo als einziger im Kostüm aufgetaucht, weil man die Party verwechselt hat? Fühlt sich ziemlich komisch an.

Gäste sind die schönste Deko!

Und das ist der Punkt: Alleine geht es nicht. Ich kann noch so viel Schwarzlicht-Gedöns, Glitzerpartikel, Federschmuck und Tiermasken auf meinem Körper vereinen – die Illusion einer funkelnden Parallelwelt werde ich nicht aufrechterhalten, wenn der Rest der Anwesenden aussieht wie auf einer After-Yoga-Kurs-Party. Ich habe es schon oft gesagt und ich werde es noch öfter sagen: Sich einfach ins gemachte Nest beziehungsweise den gemachten Club zu setzen, wird niemals zum gewünschten Exzess führen. Ein bisschen Eigeneinsatz müssen wir schon leisten, wenn wir eine unvergessliche Nacht wollen.

Und für den Fall, dass sich an die erste Nacht mal wieder eine zweite anschließen sollte, ist im Partyrucksack bestimmt noch Platz für Leggings und Shirt. Und falls nicht, lenkt das Outfit beim Walk of Shame am nächsten Morgen immerhin von den Augenringen ab.

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