Hey Air Berlin, danke für nichts!

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Mittwochabend in Berlin, es ist kühl und windig, doch das stört mich nicht. Im Gegensatz, es stärkt meine Vorfreude auf das bevorstehende verlängerte Wochenende umso mehr. Fünf Tage Urlaub – Urlaub mit Freunden aus der Heimat, auf einem gemeinsamen Festival in Kroatien. Organisiert von Wienern, gedacht, um alle Freunde aus der Ferne einzusammeln und beim Lighthouse Festival zu vereinen. Ein großer Familienurlaub mit dem großen Extra an Zeit, Strand und guter Musik.

Seit Monaten gebucht, seit Wochen aufgeregt und in den letzten Tagen fast verzweifelt, weil ich mich zwischen den drei neu gekauften Bikinis nicht entscheiden konnte. Mein Körper ist hibbelig, ich kann mich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Ich schaue ständig auf die Uhr, will nicht zu spät zum Flughafen kommen und packe dann in letzter Sekunde doch noch was dazu, sodass der Koffer wirklich fast vorm Platzen ist und ohne Raufsetzen nicht mehr zugehen würde.

Urlaub auf einem Festival? Wohl eher: gestrandet in Tegel.

Mit flotten Schritten eile ich zur U-Bahn, will die mir vorgeschlagene Route von der BVG-App auch wirklich einhalten. Bis zur Beusselstraße klappt alles wie am Schnürchen. Ich bin aufgeregt, aber ruhig. Der TXL verspätet sich um heiße 10 Minuten, die Menschen werden immer mehr und ich werde unbegründet wieder unruhiger. Es scheint, als wolle ganz Berlin weg.

Ich hasse diese Zeit vor dem Fliegen. Man ist viel zu früh da und befindet sich in so einer Art Zwischenwelt.

In Tegel angekommen gehe ich sofort zum Gate, ich hasse diese Zeit vor dem Fliegen. Man ist viel zu früh da und befindet sich in so einer Art Zwischenwelt. Nicht wirklich weg von Zuhause, aber auch noch nicht wirklich am Ziel. Geplante Abflugzeit ist 21.35 Uhr. Ich höre als Zeitvertreib die Känguru-Chroniken, das lenkt ab. Doch dann bald der erste Schlag ins Gesicht – Flugverspätung um zwei Stunden. Nervt, aber bringt mich jetzt nicht aus der Ruhe, der Flug kommt ja und was sind denn schon zwei Stunden. Also mache ich einen Film an und lehne mich an den kalten Betonpfeiler, denn ich sitze wie immer am Boden neben einer Steckdose, falls ich das frisch geladene Handy doch irgendwann nachladen muss.

Boarding wie bei einem unkontrollierten, illegalen Rave

Es wird 23 Uhr. Inzwischen musste ich das Gate wechseln. Die Leute um mich werden nervöser und auch ein bisschen gereizter. Ich will dem ausweichen und lasse einfach die Kopfhörer auf. Doch auch ich spüre eine wachsende Unruhe in mir aufkommen. Kein Personal am Schalter, an Boarding ist nicht zu denken. Wollten wir denn nicht in 30 Minuten starten?

Ich gehe vorsichtshalber mal auf die Toilette, man weiß ja nie, wann wieder Zeit dafür ist. Als ich zurück komme, herrscht Panik an der Kontrolle. Ausweise werden nicht kontrolliert, nicht mal die Boardkarten werden ins System übernommen. Hauptsache, alle besteigen so schnell wie möglich die Maschine. Es ist das schnellste und unkontrollierteste Boarding, das ich je erlebt hatte.

Beim Einsteigen werden wir von der Stimme des Kapitäns begleitet: "Ich bitte alle Passagiere, sich so schnell wie möglich auf den Sitzen niederzulassen." Er fügt mit etwas mehr Nachdruck hinzu: "Falls bis 23.30 Uhr nicht alle sitzen, darf der Flieger nicht mehr starten!“ Es ist 23.15 Uhr und der Flieger ist noch halb leer.

Falls bis 23.30 Uhr nicht alle sitzen, darf der Flieger nicht mehr starten!
Kapitän einer Air-Berlin-Maschine

Mein Puls rast und ich beginne zu zittern. Ich sitze schon auf meinen Platz, aber all die Leute um mich herum scheinen die Ansage des Kapitäns nicht mitbekommen zu haben. Währenddessen schreibe ich panisch mit meiner Freundin in Wien, um mich ein bisschen von den in Zeitlupe bewegenden Passagieren abzulenken.

Ich (23:17): Oida jetzt hat der Pilot gerade gesagt, wir müssen alle schneller sein, nach 23:30 darf er nicht mehr starten!
Sie: What. Na schnell!
Ich (23:20): Ich sitze schon, aber die anderen noch nicht.
Sie: Hui, die soin si hinsetzen die Heisln! jetzt! go! schnell!
Ich (23:23): Ich drah durch!
Sie: Wahhh und i erst!!!! 7 min noch!!!
Ich (23:24): Es schaut nicht so schlecht aus, der Pilot will unbedingt, ich hoffe es klappt
Sie: Die soin ozahn, haus!!!
Ich (23:29): Alle sitzen, das Flugzeug bewegt sich, ich glaub es klappt!
Ich (23:31): Wir dürfen nicht starten, Scheiße, wir fahren wieder zurück! Wahhhh, des kaus jo ned sein, alle deppat, i bin so augfressen! Soiche Wixxer!

Das Bodenpersonal: überfordert und uninformiert

Große Aufregung, großes Durcheinander, Chaos, Menschen, viel Ärger in der Luft. Ich kriege das alles wie in einer Seifenblase mit, kann immer noch nicht glauben, dass das jetzt tatsächlich passiert ist. Das Flugzeug war voll und jetzt steht es leer auf der Flugbahn und ich bin hier mitten im größten Chaos gefangen. Das Bodenpersonal ist komplett überfordert und uninformiert, es kommt einem so vor, als wäre ihnen das heute zum ersten Mal passiert. Sie wollen uns mit einem Hotelgutschein abspeisen und uns auffordern, mal zu warten. "Warten? Auf was? Gehts nu?", denk ich mir, ich muss doch rechtzeitig in Wien sein, um das Auto nach Kroatien noch zu erwischen!

Kurz bevor ich den Bus erreiche, fährt er weg, ohne nochmal in den Rückspiegel zu schauen. Es ist der letzte Bus in dieser Nacht. Es ist 00.29 Uhr.

Ohne nachzudenken buche ich einfach einen neuen Hinflug, den ersten, der am nächsten Morgen nach Wien fliegt, in der Hoffnung, das mir zumindest der Rückflug am Montag erhalten bleibt. Der neue Flug startet – natürlich! – von Schönefeld und ich mache mich etwas erleichtert auf den Weg zu den Bussen.

Auf dem Weg dorthin denke ich mir noch: "Wie schlimm kann’s denn noch werden?" Im gleichen Moment bekomme ich die Watschen dafür, denn schlimmer geht's immer. Ich seh den TXL, fange an zu laufen, der Rollkoffer scheppert und der Beutel schneidet sich in meine Schulter. Kurz bevor ich das Ende des Busses abklatschen kann, fährt er weg, ohne nochmal in den Rückspiegel zu schauen. Ja, es ist der letzte Bus in dieser Nacht. Es ist 00.29 Uhr.

Einmal quer durch Berlin mit dem Taxi

Ich bin kurz vorm Heulen, ich fühle mich alleine, müde und hilflos. Wut und Trauer kriecht in mir hoch und auch Hoffnungslosigkeit. Das ist doch alles nicht euer ernst, oder? Ich muss mich kurz 5 Minuten setzen, ich hab keinen Bock mehr und stelle den ganzen Urlaub in Frage: "Vielleicht ist das ein Zeichen, dass ich einfach hierbleiben soll?"

Doch dann denke ich an meine Freunde und an all die Vorfreude, die wir in den letzten Wochen hatten. Ich schalte mein Hirn aus und laufe zum nächsten Taxi. Ohne groß zu überlegen, sage ich: "Einmal zum Flughafen Schönefeld bitte!" und kann selbst meinen Worten nicht trauen. Auch der Taxifahrer macht große Augen, schaut etwas verwirrt und wird dann zu meinem besten Freund für diese eine Stunde Taxifahrt.

Auch der Taxifahrer macht große Augen, schaut etwas verwirrt und wird dann zu meinem besten Freund für diese eine Stunde Taxifahrt.

Der neue Flug startete um 6 Uhr, der Security Check beginnt erst um 4 Uhr, also heißt es wieder warten und versuchen nicht einzuschlafen. Ich verbringe die Zeit mit schreiben, auf und ab gehen und Wasser trinken, der Appetit ist mir schon lange vergangen. Ich bin die Erste an diesem Tag beim Security Check und fernab jeder Welt. Als Security-Mann mich etwas fragt, gucke ich ihn mit großen Augen an, er fragt "In englisch?" und ich erwiderte nur, "Na, nur gnervt!"

Wir sind beide sichtlich verwirrt. Ich habe Sprachschwierigkeiten, Denklücken und langsam aber sicher bekomme ich Schmerzen im ganzen Körper. Dieses emotionale und körperliche Auf und Ab der letzten Stunden hat sichtliche Spuren hinterlassen. Ich will einfach nur zum Gate und in den Flieger, das Gefühl des Abhebens spüren. Doch auch jetzt muss ich nochmal eine Stunde vor den Duty-Free-Kassen verweilen, um endlich am Bildschirm das Gate angezeigt zu bekommen.

'In englisch?' – 'Na, nur gnervt!'

Pünktlich um 6 startet der Flieger. Danke Easy Jet!

Ich verfluchte die ganze Flugbranche, das ganze System, diese Hilflosigkeit, die man als Passagier hat, wenn ein Flug nicht, wie geplant, abhebt oder erst gar nicht startet. Bemüht man sich doch stets, pünktlich vor Abflug da zu sein, denn der Flieger wartet ja auch nicht auf einen, wenn man zu spät ist. Andersrum muss man sich als Passagier alles gefallen lassen, wird mit Unwissenheit und Unwillen des Personals bestraft und bekommt schlimmstenfalls nicht mal den Flugpreis erstattet. Wer hat denn da noch Freude auf Urlaub?

Und während ich so vor mir hinfluchte, kam plötzlich etwas Vertrautes in mein Blickfeld. Meine Augen waren müde, mein Kopf überfordert, aber mein Gefühl hatte recht. Eine Freundin steuerte direkt auf mich zu. Ich hatte in dem ganzen Rummel total vergessen, dass sie den Morgenflug gebucht hatte und wir nun im gleichen Flieger saßen, beide auf dem Weg zum Festival. Wir nahmen uns in den Arm, freuten uns über unsere Anwesenheit und hoben pünktlich um 6 Uhr morgens mit Easy Jet ab.

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