Hektik und Hysterie – Warum sind die Menschen beim Bahnfahren nie gelassen?

Die BVG muss viel Spott ertragen. Auch ich streue gern Salz in die Wunde. Wer liegt, der kriegt, wie man unter uns Altruisten sagt. Aber die BVG scheint vollkommen schmerzfrei zu sein. Da perlt der Schmutz einfach ab. Die erhöhen eben nochmal die Ticketpreise und engagieren dafür die krassesten PR-Futzis der Stadt. Weil wir dich lieben. Das zieht. Und klingt äußerst einladend. Kein Wunder also, dass man in den Öffentlichen so viele Menschen trifft. Das Problem ist nur: Die machen die Sache nicht leichter.

Die Menschen verhalten sich in der U-Bahn, als ob ihnen irgendjemand was wegnehmen will.

Ich liebe es zum Beispiel, angerempelt zu werden, nur weil ein Hektiker meint, er müsse unbedingt noch den Zug erwischen. Es wurde schon oft gesagt, aber ich sag es gern nochmal: Als erwachsener Mensch rennt man nicht! Da hat man Gelassenheit auszustrahlen. Ich meine, wie verhalten sich solche Leute in einer echten Notsituation, wenn schon die Anzeigentafel auf dem Gleis sie panisch mit den Augen rollen lässt?

Als erwachsener Mensch rennt man nicht! Da hat man Gelassenheit auszustrahlen.

Die Menschen verhalten sich in der U-Bahn, als ob ihnen irgendjemand was wegnehmen will. Wenn der Zug einfährt, werden sie plötzlich hektisch. Nie bleiben sie stehen, wo sie sind. Immer müssen sie einer Tür hinterher rennen oder einer herannahenden entgegen stürzen. Dort bilden sie dann dichte Trauben und weichen nur widerwillig vor den Aussteigenden zurück. Sind die alle traumatisiert? Haben sie in der Kindheit mal eine Bahn verpasst und konnten dieses Ereignis, diesen Ur-Fall nie richtig überwinden?

Und dann diese Bahnen, durch die man komplett durchgehen kann. Ein klassischer Fall von Murphys Gesetz. Denn selbstverständlich finden sich immerzu zahlreiche Vollpfosten, die genau das tun. Wo wollen die hin? Warum ist es so wichtig, dass sie dafür sogar drängeln müssen? Und sind die noch nie schwarz gefahren? Wissen die nicht, dass nur Kontrolleure im Waggon herum laufen? Darauf ist man doch konditioniert. Selbst wenn ich eine Fahrkarte habe, schießt mir Adrenalin in den Kreislauf, sobald ich Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnehme. Und ich will kein Adrenalin im Kreislauf, nur weil irgendein Vollpfosten seine enigmatischen Bahnen ziehen muss.

"Steigen Sie nächste aus?"

Vor jedem Halt drängelt das Volk dann zu den Türen. Zankt sich um die Pole-Position am Öffner. Es scheint eine Urangst der Menschen zu sein, den Ausstieg an einem Bahnhof zu verpassen. „Steigen Sie nächste aus?“, fragen sie leicht hysterisch alle Umstehenden. Das bringen sie sogar vor der Endstation fertig. Wenn ich ihnen so zuschaue, spüre ich in meinem Mund sofort das angenehme Prickeln entstehender Herpesbläschen.

Ich habe das Dilemma des Menschseins noch nie so anschaulich illustriert gesehen wie an einem großen Umsteigebahnhof wie Alexanderplatz oder Friedrichstraße. Willenlos wird man von dem Pulk verängstigter Leiber mal hierhin, mal dorthin geschwemmt. Wie die Sache mit den Rolltreppen funktioniert, haben nur die allerwenigsten begriffen. Und die Fahrstühle sind Orte stummer Verzweiflung: Es kommt immer NOCH jemand, bevor sich die Türen schließen können.

Wie die Sache mit den Rolltreppen funktioniert, haben nur die allerwenigsten begriffen. Und die Fahrstühle sind Orte stummer Verzweiflung.

Ich betrachte sie dann, meine Artgenossen, staunend, ganz ohne Groll. Sie können es halt einfach nicht besser. Man darf ihnen ihr Unvermögen nicht übel nehmen. Insofern hat die BVG schon recht: weil wir dich lieben. Weil man auch die dümmsten Kinder des Wurfes lieben muss. Aber eines ist sicher: Ich will nicht dabei sein, wenn mal was wirklich Schlimmes passiert. Ein Streik, zum Beispiel. Oder eine Signalstörung. Nicht auszudenken, was dann auf den Bahnhöfen los wäre.

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