Heiße Ware für Ali – Wie ich in der U7 einmal fast in krumme Geschäfte geraten wäre

© Charlott Tornow

Mein bester Kumpel Andy und ich sind nicht immer klug. „Das geht dann schon!“, ist quasi unser Lebensmotto. Und tatsächlich: Meistens geht das dann schon. Oft geht es aber zugegebenermaßen nur unter höllischen Strapazen, die man mit ein wenig Vorausplanung hätte vermeiden können. Als ich das letzte Mal sagte, „Das geht dann schon!“, mussten Andy und ich anschließend ein Sofa per U-Bahn umziehen. Und ja, das war mit höllischen Strapazen verbunden. Man könnte meinen, Andy hätte aus der Nummer gelernt. Man würde irren.

Ohne lange zu überlegen war Andy an diesem Morgen losgezogen, um sich einen neuen Schreibtischstuhl zuzulegen. Nachdem er einen gefunden, bezahlt und den unhandlichen Karton mühsam ins Freie geschleift hatte, wurde ihm klar, dass er das gute Stück alleine niemals nach Hause kriegen würde. Hier kam ich ins Spiel – nach der Sofa-Aktion konnte ich mich schließlich schlecht weigern, ihm mit seiner monströs schweren Neuanschaffung zu helfen. "Das geht dann schon", versuchte ich mir selbst einzureden, als ich mich mit unguter Vorahnung auf den Weg zu ihm machte.

Nun sitzen wir also mit einem schon ziemlich lädierten Karton in der U7. Am U-Bahnhof Hermannplatz steigt eine Art Höhlentroll zu. Der Troll wäre der ideale Türsteher, weil er mit seiner Statur wirklich jede erdenkliche Tür komplett versperren würde. Er ist zwar nur knapp einen Kopf größer als ich, dafür aber fast drei Mal so breit. Das fehlende Haupthaar wird durch einen pechschwarzen buschigen Bart kompensiert. Um den Hals baumelt eine Goldkette, mit der man vermutlich auch jemanden erschlagen könnte. Ein schmutzig-grauer Kapuzenpulli spannt sich straff um Brust und Arme.

Der Troll wäre der ideale Türsteher, weil er mit seiner Statur wirklich jede erdenkliche Tür komplett versperren würde.

Der Troll sieht sich kurz um, dann lässt er sich breitbeinig auf die Dreierbank fallen, die unserer gegenüber liegt. Die Bahn fährt an. Der Troll mustert uns. Über den schmalen Gang hinweg grinst er uns zu. Ein Silberzahn blitzt. Andy lächelt dünn zurück. Der Troll beugt sich ein Stück zu uns vor. „Schönes Wetter heute, was?“

Er betont jedes einzelne Wort, als wäre es von besonderer Wichtigkeit und klingt dabei ungefähr so authentisch wie ein frisch gecasteter Nachwuchsschauspieler bei „Berlin Tag und Nacht“. Aber das ist es nicht, was Andy und mich stutzen lässt. Wir stocken, weil es schon seit heute Nacht in Strömen regnet. Im ganzen Waggon sitzt nicht ein einzige Person mit trockenen Sachen. Dazu kommt ein ziemlich eindeutiger Geruch nach nassem Hund, der sich langsam in alle Ecken verteilt. Schön ist anders. Der Troll schaut erwartungsvoll. „Ja, schön“, antwortet Andy zögerlich.

Der Troll nickt zufrieden und lässt sich in die Sitzpolster zurücksinken. Er schaut aus dem Fenster, auch wenn es da nichts zu sehen gibt, außer der Dunkelheit des Tunnels. Andy und ich bekommen noch mit, wie der Troll geräuschvoll die Nase hochzieht, dann sind wir wieder in unser Gespräch vertieft und haben ihn vergessen.

Er betont jedes einzelne Wort, als wäre es von besonderer Wichtigkeit und klingt dabei ungefähr so authentisch wie ein frisch gecasteter Nachwuchsschauspieler bei 'Berlin Tag und Nacht'.

Die Bahn fährt in den nächsten Bahnhof ein. Der Troll erhebt sich und greift wie selbstverständlich nach dem Paket mit Andys Schreibtischstuhl, das neben uns an der Dreierbank lehnt. „Hey! Finger weg!“, ruft Andy, jetzt gar nicht mehr zögerlich. Wir springen auf, der Troll weicht zurück. Ein paar andere Fahrgäste schielen neugierig zu uns hinüber. Der Troll schaut von einem zum anderen; seine Miene ist ein einziges großes Fragezeichen. Schließlich setzt er sich wieder auf seinen Platz. Die Türen schließen sich. Die U-Bahn fährt weiter.

Auch wir setzen uns wieder. Der Blick des Trolls ruht auf uns. Wir bemühen uns, durch ihn hindurch zu gucken. Als der Zug in den nächsten U-Bahnhof einfährt, beugt sich ein weiteres Mal zu uns rüber. „Ist das die Ware für Ali Baba?“, fragt er leise.

Der Troll schaut von einem zum anderen; seine Miene ist ein einziges großes Fragezeichen.

Andy und ich glotzen erst einander an, dann ihn. „Nein!“, antworten wir wie aus einem Mund. „Oh“, macht der Troll. In diesem Moment öffnen sich die Türen des Zuges. Noch nie habe ich einen Menschen dieses Formats gesehen, der sich so schnell bewegt. Mit zwei großen Schritten schafft der Troll es von seinem Sitzplatz auf den Bahnsteig. Hier zieht er sich die Kapuze seines Pullis über den Kopf und tritt, mit jedem Schritt schneller werdend, den Weg zum Ausgang an. Die letzten Treppenstufen hoch zur Straße nimmt er im Spurt.

Andy und ich glotzen. Die Türen schließen sich. Die U-Bahn fährt weiter. Andy klopft auf den Karton, der neben uns steht. „Siehst du?“, sagt er. „Das geht dann schon.“

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