"Heiraten Sie niemals" – Ratschläge von einem Eheberater in der S-Bahn

© Felix Kayser

In Berlin gehört es irgendwie zum guten Ton, auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu schimpfen. Mal ist die S-Bahn wieder viel zu spät dran, mal der Busfahrer zu grimmig, zu meckern findet sich fast immer was. Aber wer die Stadt erleben möchte in der Zeit, die man für einen "Coffee to go" braucht, den würde ich ohne zu Zögern in die Öffentlichen setzen. Nirgendwo anders kommen Manager und “Motz”-Verkäufer, Hipster und Gangster, Zugezogene und Urberliner so zuverlässig zusammen wie hier. Wen man trifft, das weiß man nie.

Ich erinnere mich an diesen Herren. Am Potsdamer Platz setzt er sich mir gegenüber ins Vierer-Abteil: Kinnlange braune Haare, silbrig-graue Schläfen, Drei-Tage-Bart, das knallige Orange des kantigen Brillengestells perfekt abgestimmt auf das des Polo-Shirts, das unter dem geöffneten Sakko hervorblitzt. Wie alt er ist – unmöglich zu sagen. Er hat eines dieser Gesichter, das zu einem 30-Jährigen ebenso passen könnte wie zu einem 50-Jährigen. Er scheint meinen Blick bemerkt zu haben und lächelt mich verschmitzt an. Es ist, als gäbe es eine geheime Verabredung zwischen uns von der nur er weiß.

Der Eheberater mit dem Grinsen

"Heiraten Sie niemals", sagt er unvermittelt. „Seien Sie glücklich.“ Was soll man dazu sagen? Ich nicke erstmal. Er beugt sich ein wenig zu mir vor. "Aber seien Sie sich sicher, dass es das ist, was Sie wollen."

Er spricht mit einer scharfen, unbeschwerten Eleganz. Seinen leichten Akzent kann ich beim besten Willen nicht zuordnen, aber er ist eingängig. Ich beuge mich ebenfalls etwas vor. "Na ja", gebe ich zu bedenken, "ob es wirklich das ist, was ich will, das werde ich wohl erst wissen, wenn ich's ausprobiert habe." "Ah!" Er hebt einen mahnenden Finger auf Augenhöhe und erinnert mich plötzlich an meinen alten Mathelehrer. "Dann müssten wir doch aber, schon aus Gründen der Objektivität, eigentlich alle Möglichkeiten so angehen. Das heißt, wir müssten ausprobieren, zu heiraten."

Ich stutze. "Das stimmt natürlich auch wieder", muss ich zugeben. Pause. "Waren Sie denn mal verheiratet?" "Ich?" Er lacht auf, als ich hätte ich ihn gefragt, ob er schon mal auf dem Mond spazieren gegangen sei. Kopfschütteln. "Nein." "Und hatten Sie jemals den Wunsch zu heiraten?"

Heiraten Sie niemals. Seien Sie glücklich.

Er hält inne, überlegt kurz. Erneutes Kopfschütteln, diesmal vehement. "Nein. Nein. Ich habe wohl das ein oder andere Mal darüber nachgedacht zu heiraten, theoretisch – aber niemals eine bestimmte Person. Und wenn es keine bestimmte Person gibt, mit der man tatsächlich ganz praktisch den Rest seines Lebens verbringen möchte, was soll das dann?" Er hält erneut inne.

"Eine Frau gab es", sagt er. "Die hätte ich heiraten können. Vielleicht. Aber es gab da ein Problem: Sie war verheiratet." Ein spitzbübisches Lächeln huscht über sein Gesicht. "Das hat uns natürlich nicht abgehalten. 17 Jahre waren wir zusammen. Aber so auf Dauer? Nein. Nein."

Sein Grinsen ist ansteckend, und nun frage ich mich, wie alt man wohl werden muss, um 17 Jahre Beziehung als nichts Dauerhaftes einzustufen.

Im Leben gibt es grundsätzlich immer zwei Fragen. Die erste Frage ist, was Sie vom Leben wollen. Die zweite, was Sie haben können.

"Im Leben", fährt er fort, "gibt es grundsätzlich immer zwei Fragen. Die erste Frage ist, was Sie vom Leben wollen. Die zweite Frage ist, was Sie haben können. Die Antworten auf diese beiden Fragen sind meist unterschiedlich."
"Aber doch nicht zwangsläufig." Er nickt. "Aber meistens schon."
"Klingt als hätten Sie Erfahrung. Was machen Sie denn so?" Das spitzbübische Lächeln ist zurück. Als hätte er nur darauf gewartet. "Ich bin Eheberater."

Ich fange zuerst an zu lachen, dann er. Wir sind wohl ziemlich laut; ein paar Fahrgäste drehen sich neugierig zu uns um. Wir beachten sie nicht weiter. "Jetzt nehmen Sie mich auf den Arm!", sage ich. Wortlos greift in die Innentasche seines Sakkos und zieht ein schmales silbernes Etui hervor. Aus dem zaubert er ein rechteckiges Kärtchen hervor, das er mir überreicht. Er ist Eheberater. Der Praxisanschrift nach zu urteilen muss er sogar ein ziemlich erfolgreicher Eheberater sein.

Yorckstraße. Er steht auf. "Das ist meine Haltestelle", sagt er. "Aber Sie haben ja jetzt meine Karte wenn Sie diese Diskussion bei Gelegenheit fortführen wollen." Er geht mit einem Augenzwinkern.

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