"Habt ihr Tipps?" – Warum es so schwer ist, im Internet gute Empfehlungen zu bekommen

© Hella Wittenberg

In ihrer Kolumne "Fragen an das seltsame Leben" stellt Autorin Ilona Fragen zu den großen, aber vor allem zu den kleinen, unscheinbaren Rätseln des Alltags. In dieser Folge fragt sie sich, warum es so schwer ist, im Internet gute Tipps zu bekommen.

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich bereits weit weg. Ich habe meine Tasche gepackt und bin in eine andere Stadt geflogen. Das ist nicht neu, das kam schon häufiger vor, der Ablauf war wie immer. Tasche packen, Kontaktlinsenflüssigkeit vergessen, Tasche neu packen, losfahren, Security, 6€-Flughafenwasser kaufen, Start, Flug, Landung, in der fremden Stadt verlaufen, kurz heulen, ankommen, Betten-Test. Ich habe nichts anders gemacht als sonst, nur eine Sache, die habe ich dieses Mal weggelassen: vorher im Internet nach Empfehlungen fragen.

Ich weiß, das klingt paradox, wo ich doch für eine Seite schreibe, deren Kerngeschäft Empfehlungen sind. Aber ich will ja nicht lügen. Und ehrlicherweise ist es so, dass ich selbst zwar sehr gerne Empfehlungen und Tipps gebe, aber ich selbst eigentlich gar keine haben will. Oder nicht mit ihnen umgehen kann, wenn ich welche bekomme. Empfehlungen sind anstrengend, obwohl sie das Gegenteil sein wollen: das Leben erleichtern, Ärger oder schlechte Erfahrungen ersparen, auf verborgene Schönheit hinweisen und so weiter. Zumindest im besten Fall. Viele Empfehlungen und Empfehler haben nur Gutes im Sinn.

Tipps geben als indirekte Selbstinszenierung

In den vielen anderen Fällen aber, und vor allem auf sozialen Plattformen sind Empfehlungen reiner Narzissmus. Ein Fallbeispiel: Man postet bei Facebook die Frage, ob jemand etwas für einen Urlaub in, sagen wir, Lissabon empfehlen könne. Was dann passiert, konnte jeder schon mal in seiner eigenen Timeline beobachten. Drei Leute liken erstmal den Status, weil sie selbst schon in Lissabon waren. Ein Like kommt vielleicht noch von einer Person, mit der man mal fast was hatte und die sich auf diese Weise regelmäßig wieder ins Bewusstsein schieben möchte. Ein bis zwei der Personen kommentieren: „Lissabon! <3 So schön da“ und „Viel Spaß, war auch erst dort!“ – klingt nach netten Glückwünschen, erfüllen aber in erster Linie die Funktion, aller Welt klarzumachen, dass betreffende Kommentierer auch schon mal woanders im Urlaub waren als in Rothenburg ob der Tauber. So weit, so nutzlos.

Vor allem auf sozialen Plattformen sind Empfehlungen reiner Narzissmus.

Nach und nach posten dann Freunde, Bekannte und Leute, die man nur deswegen geadded hat, weil man sich aufgrund der zweistelligen Anzahl gemeinsamer Freunde nicht getraut hat, die Anfrage abzulehnen, Tipps, die mit der tatsächlichen Fragestellung zu tun haben. Zumindest mehr oder weniger. „Fahr lieber nach Porto, da isses nicht so überlaufen“, meint Freund 1. „In der Altstadt ist ein kleiner Laden mit den besten Pastel de Nata der Stadt, da musst du unbedingt hin!“ weiß Freundin 2 und Freundin 3 ergänzt: „Irgendwo in Hafennähe waren wir auch mal in einer kleinen Bar, das war richtig toll da“. Dieser Kommentar erfährt zusätzliche Validierung durch den Freund von Freundin 3, der war dabei. Klare Sache, die vier kennen sich richtig gut aus. Blöd nur, dass ihre Empfehlungen so schwer mangels konkreter Angaben umzusetzen sind – sollen sie ja aber vielleicht auch gar nicht sein.

Die Unmöglichkeit von Empfehlungen

Am Ende geht es womöglich nur darum, seine Ortskenntnis zu demonstrieren, aber niemanden wirklich an seinen geheimen Schätzen und Entdeckungen teilhaben zu lassen – und sich beim Schreiben des Kommentars noch einmal selbst zurückzuerinnern an den guten Moment, Wein und Abend. Es ist ein Phänomen, dass sich in dieser Art immer wieder beobachten lässt. Frag nach einem trockenen Rotwein und die Leute empfehlen dir ihren liebsten Weißwein, weil sie den mal bei einer schönen Party getrunken haben und ein bisschen in den Gastgeber verliebt waren. Frag nach einem Urlaubsort mit Strand und Sonne und sie empfehlen dir Oslo, weil sie da selbst gerne sind. Frag nach einer Übernachtungsmöglichkeit und sie wollen dich mit ihrer besten Freundin verbinden, die ganz tolle Stadtführungen macht – in einer 3 Stunden entfernten Stadt. Tipps wohnt immer zur einen Hälfte Wohlwollen und zur anderen Selbstreferenz inne, denn was man nicht kennt, kann man nicht empfehlen. (Außer vielleicht Leute, die bei Amazon Bücher mit 5 Sternen bewerten, die sie nicht gelesen haben, die können das. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Frag nach einem guten Rotwein und die Leute empfehlen dir ihren liebsten Weißwein, weil sie den mal bei einer schönen Party getrunken haben.

Gefangen in der Tripadvisor-Hölle

Zurück zum Fallbeispiel. Das weist bislang also genau null verwertbare Beiträge auf. Dann jedoch die Wende: Auftritt von Freundin 5. Ihre Nachricht erreicht einen spät, so, dass man schon längst wieder trübsinnig durch Tripadvisor-Bewertungen von amerikanischen Reisegruppen klickt. „Friendly staff, great sea food, scenic view, would recommend." Freundin 5 möchte man für ihre Nachricht um den Hals fallen, denn die enthält: endlich Tipps! Sie hat ein halbes Jahr in Lissabon gearbeitet, studiert oder sich anlässlich einer Romanze häufig in der Stadt aufgehalten – die Gründe für ihre Expertise nennt sie aber nur in einem Halbsatz, denn schließlich geht es hier um Empfehlungen und Beistand in der schweren Zeit der Urlaubsvorbereitung. Und dieses Wissen hat sie, eine ganze Menge sogar – inklusive Adressen, korrekten Namen und schrullig-sympathischen Beschreibungen von Lokalität und Einheimischen. Man möchte sofort los, zur Not auch zu Fuß, Hauptsache, noch heute Abend in dieser schummrigen Tapasbar bei einem Glas Vinho Verde sitzen, während der Fado über die gepflasterte Straße draußen weht und der übellaunige Besitzer mit einer glimmenden Zigarette im Mundwinkel die Gläser poliert.

Spontaneität und Entdeckergeist

Man bedankt sich überschwänglich für die Nachricht, dann das übliche Prozedere: Tasche packen, Kontaktlinsenflüssigkeit vergessen, Tasche neu packen, losfahren, Security, 6€-Flughafenwasser, Start, Flug, Landung, in der fremden Stadt verlaufen, kurz heulen, ankommen, Betten-Test. Dann gleich am ersten Abend die erste Möglichkeit, einen der Tipps von Freundin 5 zu testen. Wie sich herausstellt, haben alle empfohlenen Lokale, Bars, Kinos entweder zu, bauen um oder sind viel zu weit weg. Man erkundet also die Nachbarschaft auf eigene Faust und landet in einer Spelunke, die man unter normalen Umständen nie betreten hätte. 5 Tage später stellt man fest: Von 20 Tipps hat man 4 geschafft, die waren ziemlich okay, alles andere passierte irgendwie einfach so, nebenher. Denn zwei Dinge erwachen besonders auf Reisen wieder, die die Gegenspieler von Empfehlungen sind: Spontaneität und Entdeckergeist. Am schönsten sind Pläne im Urlaub ja dann, wenn man stattdessen etwas völlig anderes macht.

Am schönsten sind Pläne im Urlaub ja dann, wenn man stattdessen etwas völlig anderes macht.

Die Unmöglichkeit von Empfehlungen liegt aber nur zu einem Teil in der Abenteuerlust begründet – zum anderen liegt sie auch in der Natur des Präsentiermediums Internet. Da, wo jeder deine Antwort sieht, musst du dich erschaffen – und Geschmack ist nur in Gesellschaft wichtig. Beim Gespräch über dem Gartenzaun sagt der Nachbar vielleicht auch „Lissabon? War ich nie. Wir fahren immer nach Meck-Pomm, da iss’ auch schön, kann ich dir Fotos zeigen, warte mal.“ Dann hat man drei Minuten Zeit, um wegzulaufen. Im Internet kann man nicht weglaufen. Im Internet kann man nur hoffen, dass wenigstens 2 von 10 Befragten mit ihrer Antwort nicht sich selbst meinen. Von der entdeckten Spelunke erzählt man dann hinterher aber trotzdem auch als „romantisches kleines Bistro mit authentischem Essen“. Zum Beispiel dann, wenn jemand auf Facebook nach Empfehlungen für Lissabon fragt.

Geschmack ist nur in Gesellschaft wichtig.
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