Flechtfrisur statt wildes Tanzen – Der Modewahn auf Festivals nervt mich so

Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Ich sitze mit meiner damaligen besten Freundin Irene mit Trägertop und Baggypants in unserem Mini-Zelt, welches wir beim Verlassen mit einem Mini-Schloss abschließen, damit uns ja nichts geklaut wird. In unserem Zelt befinden sich aber eigentlich keine Wertsachen, denn das Nokia 3310 trage ich in der Hosentasche und als 16-Jährige hat man ja auch noch keine Bankkarten.

Wir sitzen da also so in unserem Zeltausgang und trinken warmes Ottakringer Bier. Campingstühle und Kühltasche wären ja extra Gepäck gewesen, welches wir im Zug und Bus hätten mitschleppen müssen. Es ist unser erstes Festival, da lernt man im Anschluss noch so einiges dazu. Wir sind schon sehr aufgeregt, Placebo ist der heutige Headliner. Da dieser Abend sehr besonders für uns ist, wollen wir uns auch besonders fühlen. Wir schminken uns gegenseitig mit stumpfen, schwarzem Kajal die Augen. Wollen verrucht und geheimnisvoll aussehen. Wollen auffallen. Vor allem aber wollen wir eins: Spaß haben, tanzen, schwitzen, die Welt vergessen. Und wir wollen ein klein wenig schön sein, denn Brian Molko soll sich nach Möglichkeit direkt in uns verlieben, wenn er uns von der Bühne aus entdeckt.

Brian Molko soll sich nach Möglichkeit direkt in uns verlieben, wenn er uns von der Bühne aus entdeckt.

Das Konzert ist vorbei, Brian Molko hat uns zugezwinkert, natürlich (!), und wir haben riesige Pandaaugen, da das Tanzen und der Schweiß der Haltbarkeit des Kajals nicht so zuträglich war. Doch das fällt uns erst am nächsten Morgen auf, als wir bemerkten, dass wir natürlich keine Abschminktücher dabei hatten. Blutige Anfänger waren wir, im Jahre 2003.

14 Jahre Festivalerfahrungen prägen

14 Jahre später – mittlerweile bin ich ein echter Festival-Profi. Ich habe seit damals viel dazugelernt. Jetzt nehme ich nicht nur eine Kühltasche mit, sondern gleich eine Trockeneisbox. Statt Bier kommen jetzt Wein, Wodka, Gin und eine Gurke als Deko in den Pappbecher. Ganz abgesehen von dem 5-Liter-Kanister stilles Wasser. Wasser braucht man einfach immer. Zum Zähneputzen, zum Abwaschen, zum Trinken, zum Haare waschen. Vom Zelt hab ich kurz mal auf den Autokofferraum gewechselt, um dann schließlich mit Wohnwagen zu fahren, um ein bequemes Bett zu haben und Scheiben, die man verdunkeln kann. Schminktücher sind jetzt immer dabei und auch ein Desinfektionsgel. Vor allem aber auch mehr Gewand: Regenjacke, Gummistiefeln, Mütze, Sonnenhut, Schal, lange Hose, kurze Hose, Rock, dicker Pulli, dünner Pulli und Bikini – falls es so heiß ist, dass man unter dem 5 Liter Kanister duschen will. Für mich stand beim Packen aber immer der praktische Hintergrund im Vordergrund. Alles was ich einpacke, muss Sinn ergeben. So starte ich in die Festivalsaison.

Alles was ich einpacke, muss Sinn ergeben.

Mein erstes kleines "Coachella"

Sommer 2017, ich sitze am Strand von Kroatien. Die Sonne knallt mir ins Gesicht, hinter mir tönt elektronische Musik vom Feinsten. Es ist soweit, ich bin auf meinem ersten eigenen kleinen Coachella. Angereist von Berlin mit einen Handgepäckrolli, eingecheckt in einem Apartment mit Kühlschrank, Herd und Balkon. Im Koffer viele Kleider und Bikinis, aber wir sind ja auch am Strand. Den Luxus gönne ich mir mittlerweile, doch mein Festivalgedanke von früher ist immer noch der gleiche. Vorwiegend geht es um die Musik, das Feiern und die Freunde, die mit mir da sind. Meine Haare verstecke ich unter einem Turban als Sonnen- und Windschutz und geschminkt bin ich tagsüber gar nicht. Beim steigenden Alkoholpegel fällt es irgendwann ja sowieso niemanden mehr auf, ob meine Wimpern durch das Tuschen jetzt voller sind oder nicht.

Das Festival als Runway

So denke ich, doch da gibt es so viele andere, die ein Festival mittlerweile als Laufsteg sehen und sich am Tag viermal umziehen, um für jede Tageszeit das perfekte Outfit zu haben. Die sich komplizierte Frisuren klöppeln und dann gehemmt sind, damit ins Meer zu gehen, weil ja alles ruiniert werden könnte. Doch an diesem Punkt ist für solche Fashionistas eigentlich schon das ganze Festival vorbei. Denn durch dieses ständige Weglaufen vom eigentlichen Festivalgeschehen, um sich umziehen, zu schminken und das Handy zu laden, weil man davor den ganzen Akku für Snapchat und Instastorys verbraucht hat, verpasst man das gesamte Ereignis. Verpasst lustige Momente mit seinen Freunden, geile Musik, Sonnenuntergänge und die Chance auf einen natürlich gemütlich steigenden Alkoholpegel.

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Diese Coachellaisierung teilt die Festivalbesucher in zwei Kategorien: die Tanzwütigen, Feierfreudigen und Trinkfesten und die Schönen mit Parfüm und Strickjäckchen. Für mich haben Letztgenannte den Sinn von einem Festival nicht verstanden und sie wären sie vermutlich besser auf der Fashion Week oder auf einer Aftershowparty aufgehoben. Festivals vermitteln doch vor allem ein Gefühl von Freiheit und Lebensfreude und nicht Stilkontrolle durch Schminke, Parfüm und Spiegel. Denn wenn ich an meine schönsten Festivalmomente zurückdenke, erinnere ich mich nicht mehr daran, wie ich aussah, was ich anhatte und ob meine Haare gerade perfekt lagen. Sondern an das riesige Glücksgefühl, das mich durchströmt hat. Die Magie von Festivals kann man eben nicht anziehen und aufmalen, sondern nur erleben.

Wenn ich an meine schönsten Festivalmomente denke, erinnere ich mich nicht mehr daran, wie ich aussah, was ich anhatte und ob meine Haare gerade perfekt lagen.
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