Fade, teuer, anstrengend – Deshalb essen wir trotzdem jedes Jahr Spargel

© Milena Zwerenz

Ich stehe an der Kasse im Supermarkt. Die Frau vor mir kauft Spargel. Ich kaufe Spargel. Als ich beim Warten den Kopf nach links zu den Zeitschriften drehe, schreien mich die Titelblätter einer Zeitschrift in Großbuchstaben an: „Endlich Spargel!“, „Feines mit Spargel“, „Schlank durch Spargel“. Spargel ist überall. Aber ist Spargel eigentlich wirklich so toll, dass wir uns zwischen April und Juli davon ernähren müssen? Oder essen wir ihn nur, weil es ihn so kurz gibt?

Spargel hat es einfach: Als Saisongemüse strahlt er eine fast unwiderstehliche Exklusivität aus. Jetzt oder nie! Nur für kurze Zeit! Er ist weiß und schlank und zart wie ein Mädchen auf einem romantischen Ölgemälde von 1814 oder naja, jede Yogalehrerin auf Instagram. Neulich habe ich Spargel gebraten, wie Elisabeth Raether das empfohlen hat, da ich fast alles tue, was sie empfiehlt. Man möchte dem Spargel nicht wehtun. Ich hatte das Bedürfnis „Es ist gleich vorbei, es tut gleich nicht mehr weh!“ in die Pfanne zu flüstern. Diese schöne Alabasterhaut! Gerne hätte ich den Spargel danach eingecremt und in eine Decke gehüllt. Stattdessen habe ich ihn einfach gegessen.

Die Diva unter den Gemüsesorten

Dabei schmeckt Spargel gar nicht mal so wahnsinnig aufregend. Ein wenig bitter, ein wenig wässrig, ein bisschen süß. Würde man allein wegen des Geschmacks Spargel das ganze Jahr essen wollen? Ich glaube nicht. Überhaupt gibt es rein rational betrachtet wenig Gründe, Spargel toll zu finden. Er ist zuallererst ziemlich teuer. Ein Kilo Beelitzer Spargel bekommt man so ungefähr für zehn bis zwölf Euro, gegen Ende der Saison wird’s glücklicherweise etwas günstiger. Die Spargelstecher, die als Saisonarbeiter aus Polen oder Rumänien nach Brandenburg kommen, bekommen immerhin seit 2017 Mindestlohn, also 8,50 Euro.

Zudem ist Spargel sehr empfindlich. Wenn Spargel ein Mensch wäre, hätte er bestimmt Hausstaub- und Sonnenallergie, würde sich nur mit parfümfreier Seife waschen und vertrüge keine Laktose. Ironischerweise übergießt man ihn gerne mit Sauce Hollandaise, dieser eitrigen Mischung aus Butter, Eigelb und Sahne, die seit den 1950ern die Gesellschaft zusammenhält. Damit er sich hält, muss man mit Spargel genau das tun, was man selbst gerne im Sommer machen würde: ihn in ein feuchtes, kühles Tuch einschlagen und in den Kühlschrank legen. Bei keinem anderen Gemüse gibt man sich so viel Mühe, es sanft zu betten.

Spargel wirft Benutzerfragen auf

Außerdem muss man ihn schälen, zumindest den weißen. Seit wann mögen wir denn bitte Gemüse, das man schälen muss? Das ist altmodisch und zeitraubend. Andererseits gibt es auch nichts Schlimmeres als holzige Spargelstangen. Das macht ihn nicht nur anspruchsvoll, sondern auch ausgesprochen benutzerunfreundlich. Man könnte fast eine kleine Statistik aufstellen: Was macht ihr mit faserigen Spargelschalenmatsch im Mund, wenn die Stangen nicht gut geschält waren?

a) in die Serviette spucken

b) runterschlucken und mit Sauce Hollandaise nachspülen

c) in einer Backentasche sammeln und danach auf der Toilette entsorgen

Stichwort Spargelpipi

Wo wir grade von Toiletten reden: Stichwort Spargelpipi. Manche Glückliche haben oder riechen es nicht, aber bei den meisten Menschen sorgt Spargel für einen schwefeligen Geruch im Urin, der auch noch ein paar Stunden nach dem Essen anhält. Es soll Leute geben, die deswegen öffentliche Toiletten in der Spargelsaison meiden. Das finde ich übertrieben, aber es ist eben doch eine weitere Eigenschaft, die nicht unbedingt für den Spargel spricht.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Spargel ist hochsensibel, verwöhnt, anstrengend in Zubereitung und Verzehr, kostet einen Haufen Geld und am Ende riecht es im Bad seltsam. Hat überhaupt schon mal jemand darüber nachgedacht, während der Spargelsaison keinen Spargel zu essen? Ist es möglich?

Spargel ist der innere Wecker für den müden Winterkörper

Nein, ist es nicht. Ein Frühling ohne Spargel ist möglich, aber sinnlos. Er ist vielleicht als Gemüse eher belanglos und fordert so einiges an Zeit, Geduld und Kreativität von jenen, die ihn gut zubereiten und essen wollen. Aber Spargel ist der innere Wecker für unseren müden Winterkörper, der uns wissen lässt, dass der Winter vorbei ist. Jahreszeiten gehen durch den Magen, so ist es mit dem Frühling genauso. Spargel schmeckt nämlich nicht nur wässrig-bitter, sondern auch, zumindest gedanklich, nach den ersten Erdbeeren, dem ersten Glas Wein in der Sonne, dem ersten Mal mit nackten Beinen auf dem Fahrrad und dem intensiven Geruch von Bärlauch im Grunewald. Natürlich könnte man Spargel auch einfach direkt durch die erste Grillwurst ersetzen, aber damit beraubt man sich dieser schönen, subtilen Assoziationen, die so sanft durch die Geschmacksknospen ins Bewusstsein sickern. Und das ist eigentlich ganz schön – jedes Jahr auf's Neue.

Ein Frühling ohne Spargel ist möglich, aber sinnlos.

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