"Ich hatte mit 1.200 Menschen Sex" – Interview mit einer Sex-Escort

© Aria

Mit der Berufsbezeichnung geht es schon mal los: Wie nennt man Frauen und Männer, die ihre Körper für sexuelle Leistungen verkaufen? Prostituierte, Sexarbeiter, Escort? Ist es so, dass Frauen von Männern unterdrückt und dazu gezwungen werden, ein Leben an der Armutsgrenze zu führen? Und ist es so, dass nur schmierige, dickbäuchige Typen Sex bekommen, wenn sie einen Fuffi auf den Nachttisch legen?

Oder könnte es sein, dass der lässige Typ, der neben uns im Club mit einer Frau flirtet, dafür Geld bekommt und sie später fesseln und auspeitschen wird? Könnte es sein, dass die grinsende Kollegin in der Agentur so gut gelaunt ist, weil sie gestern ein Sexdate hatte und dafür 600 Euro bekommen hat?

In den letzten Monaten bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass Prostitution nicht nur auf der Kurfürstenstraße, sondern auch in meinem Lieblingsclub stattfindet. Für manche vermutlich ein alter Hut, für mich Naivling doch überraschend.

Darum habe ich nach einer Person gesucht, die mir erklärt, wie das mit den Lifestyle- so funktioniert. Bei der Agentur Wayfare Escort kann man Frauen und Männer für ein Date buchen. Auf ihrem Agentur-Profil beschreibt sich Aria als maximal begeisterungsfähig. Sie mag Indierock, neue Klassik von Philip Glass, Foie gras, Weißwein Strap On und ist komplett gewaxt. Das steht alles selbstverständlich untereinander. Aria ist 27 Jahre alt und arbeitet seit 7 Jahren als Escort.

Ich habe mich mit ihr im Büro getroffen und ein paar Klischeefragen gestellt. Ein Mitarbeiter dachte übrigens, dass sie sich auf eine ausgeschriebene Redakteurstelle beworben hat.

© Aria

Lass uns ganz vorn anfangen, du bekommst eine Anfrage von einem Mann....
Aria: Oder einer Frau. Ich bekomme gerade viele Anfragen von Frauen, die nach einer sexuellen Erfahrung mit Frauen suchen.

Kriegst du ein Foto zugeschickt?
Nein. Im Buchungsformular meiner Agentur muss man aber unter anderem Körpergröße und Statur angeben und die sexuellen Präferenzen, wenn es denn dazu kommen sollte.

Ist es klar, dass du Sex haben wirst?
Klar, Escort impliziert Sex. Man trifft sich für 4 bis 6 Stunden, es ist aber wie ein Date und dann passiert Sexualität von ganz allein.

Was triffst du da für Kunden?
Das ist total unterschiedlich, da ist der tätowierte Bomberjackentyp - ein richtig cooler Kerl. Auf der anderen Seite gibt es den süßen, schüchternen Pinguin im Anzug, der Investment-Banker ist und vielleicht Drogen braucht, um locker zu sein. Und klar sind da auch verheiratete Männer dabei. Ich erlebe es aber oft, dass diese Männer mir erzählen, dass die Frauen davon wissen, gerade mit dem dritten Kind zu tun und deshalb gerade kein Interesse an Sexualität haben. Die Frauen sagen dann: Lass es nur nicht zu teuer werden. Ich hatte auch schon Dates, wo beim ersten Mal nur ein Mann kam und beim zweiten Mal waren wir dann zu dritt mit der Frau. Es gibt keine Tabu-Themen.

Was glaubst du, warum der Bomberjackentyp zu dir kommt?
Wahrscheinlich aus der gleichen Einfachheit wie der schnieke Jurist, der auch Anfang 30 ist und nur für eine Nacht in der Stadt ist. Meine Kunden wollen einfach eine gute Zeit mit jemanden haben und nicht allein in einer Bar abhängen.

Wo trefft ihr euch?
Ganz unterschiedlich; ich mag es eigentlich, wenn man Essen geht, weil man da schon etwas Genussvolles teilt. Aber manchmal trifft man sich auch vor dem Prince Charles und geht erst einmal feiern oder in den Würgeengel.

Gehst du das an wie ein normales Date? Gibt es einen Unterschied zu einem Tinder-Date?
Tinder ist schale Fanta in Zehlendorf und Escort ist Essen gehen im Sternerestaurant. Es ist viel höflicher, weil andere Erwartungen damit verknüpft sind, und natürlich auch, weil es Geld kostet. Ich persönlich bin einerseits aufgeregt, weil ich nicht weiß, wen ich treffen werde und was das für ein Typ ist. Anderseits bin ich sehr entspannt, weil ich weiß, dass es ein guter Abend werden wird. Beide Seiten nehmen es ernster – oft ist es viel respektvoller. Beim Tinder-Date denken die Leute, dass könnte der Partner meines Lebens sein. Auch das ist beim Escort natürlich anders.

Lehnst du auch Kunden ab?
Ich bin bekannt dafür, dass ich mir meine Kunden stark aussuche. Wenn es einfach nicht passt, dann passt es nicht und dann gehe ich auch vor dem Sex. Ich hatte neulich einen Kunden, der mir beim Dinner erzählte, dass es ja nicht gehen würde, wenn Frauen in Führungspositionen sind und das wir Frauen uns eher der Kunst und den schönen Dingen widmen sollten. Ich bin Feministin, mit so jemanden kann ich nicht Sex haben.

Ich bin Feministin, mit so jemanden kann ich nicht Sex haben.

Welches Date ist das erste was dir in den Kopf kommt, wenn du an ein sehr cooles Date denkst?
Warum ich den Job generell mag, ist, weil ich gern überrascht werde. Ich bin mal auf ein Date gekommen, da war ein kleiner untersetzter Typ und ich dachte erst, dass das schwierig wird. Er war Mitte 50, mit Haarkranz, lebte in Süddeutschland, Medizinprofessor – überhaupt nicht mein Typ. Dann haben wir uns unterhalten und er hatte voll den guten Humor und es wurde immer besser. Obwohl ich am Anfang dachte, dass wir keinen Sex haben werden, sind wir im Bett gelandet. Der Sex war so gut. Ich musste mich beim Doggy-Style immer wieder umdrehen, weil ich es nicht zusammengebracht habe, dass das jetzt der Typ mit dem Haarkranz ist, der mich da gerade von vorne, von hinten, von oben und unten krass durchnimmt.

Was war daran so gut?
Er hat mich einfach richtig angefasst. Es gibt Menschen und ich glaube, dass ist das was guten Sex ausmacht, die einfach Bock auf guten Sex haben. Dem war das egal, ob er einen Bauch und einen Haarkranz hat. Ich habe gemerkt, dass er meinen Körper scharf findet und das ist natürlich toll.

Für dich ist es also auch wichtig, obwohl es nur ein Job ist, zu spüren, dass er dich gut findet?
Man sagt immer das sei ein Jobam Ende des Tages hat man ja Sex mit jemanden. Ich bin immer die, die ich sonst auch bin. Aber klar, ist es sexuell wichtig, zu spüren, dass der Andere einen total anziehend findet.

Wie lange dauert der Sex?
Der Sexpart ist der kürzeste Part. Zwischen 10 Minuten bis zu 45 Minuten. Es geht viel um das ganze Drumherum.

© Aria

Mit wie vielen Menschen hast du schon geschlafen?
Ich habe es mal ausgerechnet. Ich glaube, es waren um die 1200. Dieses Jahr musste ich schlimm viel Steuern zahlen.

Weil du im letzten Jahr so viel Sex hattest?
(Lacht) Ja. Und das Finanzamt ist da auch hinterher, man muss das alles genau belegen.

Wie bezeichnest du deinen Beruf? Bist du eine Sexarbeiterin?
Ich bin auch Feministin, ohne mich Feministin zu nennen. Sexarbeiterin hat gleich so etwas Vice-mäßiges. Escort finde ich gut oder Lifestyle-Escort. Im Grunde machen es meine Kolleginnen aus der Agentur nicht wegen des Geldes. Die haben alle ihren festen Job. Die gehen von dem Geld, was sie als Escort verdienen, reisen oder kaufen sich Plattenspieler.

Warum machen sie es?
Weil sie Sex gut finden, weil sie eine gute Zeit haben wollen, weil es umkompliziert ist.

Am Anfang einer Beziehung hat man vielleicht mal gesagt, dass man auf Latex oder BDSM steht, aber im Alltag kommt man einfach nicht dazu. Man bringt gerade noch den Müll runter, sitzt auf dem Sofa, isst Chips und soll dann die Peitsche rausholen? Das funktioniert nicht.

Gibt es einen Unterschied beim Sex mit Escort und mit dem festen Partner?
Das kann ich schwer sagen, weil ich ja keine Beziehung zu meinen Kunden habe (lacht). Ich glaube, dass viele Klienten und Klientinnen bei uns Escorts offener sein können, was ihre sexuellen Wünsche betrifft. Am Anfang einer Beziehung hat man vielleicht mal gesagt, dass man auf Latex oder BDSM steht, aber im Alltag kommt man einfach nicht dazu. Man bringt gerade noch den Müll runter, sitzt auf dem Sofa, isst Chips und soll dann die Peitsche rausholen? Das funktioniert nicht. Man muss sich Zeit nehmen, die im Alltag oft nicht da ist. Aber das Bedürfnis, zum Beispiel mal jemanden vollzupinkeln, bleibt – einfach nur, um zu wissen, wie es ist, jemanden vollzupinkeln.

Und wie ist das, wenn man jemanden anpinkelt oder angepinkelt wird?
Es ist halt warm. Wenn ich selbst jemand anpinkeln soll, brauche richtig krass viel zu Trinken. Ich ziehe aus dem Pinkeln aber selbst keine Lust. Ein Klient wollte mal gar keinen Sex mit mir, sondern nur, dass ich ihn den Mund pinkele, während er sich einen runterholt. Es war eine große Hürde, vor allem, jemandem direkt in den Mund zu pinkeln. Ich konnte nicht hinschauen. Irgendwann habe ich es geschafft und er hat es sogar hinbekommen, zur gleichen Zeit zu kommen. Krasses Timing. Ich muss das aber nicht noch mal machen.

Bist du besser im Bett, weil du mit so vielen Menschen Sex hattest?
Man entwickelt sich natürlich weiter. Wenn man 1000 verschiedene Menschen anfasst, merkt man natürlich, was sie wollen.

Wie findet man heraus, was jemand will?
In dem man fragt, was der andere will. Ich frage zum Einstieg gern: Hast du schon mal 'nen Finger im Po gehabt und dann schaue ich weiter. Man muss Selbstbewusstsein haben und Lust, etwas auszuprobieren – das ist wichtig für guten Sex. Ich habe in den Jahren viel mehr Gefühl für Situationserotik bekommen. Man merkt, dass ein Blick etwas intensiver war, als er hätte sein können. Ich achte auf andere Dinge, als auf die Mechanik. Für mich persönlich ist es gut, Sex mit vielen verschiedenen Menschen zu haben, weil ich mich dadurch besser kennenlerne. Jedes Date, auf das ich gehe, ist eine Selbstreflektion. Wer bin ich im Kontext mit anderen Leuten – auch sexuell?

Das sind Frauen zwischen 25 und 40, die untervögelt und enttäuscht sind, dass es nicht wie bei 50 Shades of Grey läuft.

Du hast einen festen Freund, wie geht der damit um?
Ich hatte Beziehungen, wo es ein extremes Problem war, weil ich quasi die "Quality Time" – Essen gehen und Sex haben – mit anderen Menschen geteilt habe. Er musste um 7 Uhr aufstehen und ins Büro. Mein jetziger Freund muss nicht ins Büro und hat kein Problem mit meinem Job.

Kannst du nach der Arbeit nach Hause kommen und mit ihm noch mal Sex haben?
Ja, da geht.

Welche unterschiedlichen Komplexe haben Männer und Frauen?
Frauen fühlen sich generell zu dick und Männer haben eine Performance-Angst. Sie haben Angst, dass sie zu kurz Sex mit einem hatten. Das kommt durch die Pornos: Da sind dünne Mädchen und Männer, die lange können. Im Porno sind sie voll rasiert und durchtrainiert, in der Realität hat man Haare auf dem Rücken.
Und es gibt noch einen Unterschied: Männer mit großen Penissen haben Bock auf Pussysex, was manchmal gar nicht so einfach ist, denn in die Pussy passt nicht ganz so viel rein, wie in den Po. Männer mit kleineren Penissen sind eher oral fixiert und finden Analsex ziemlich gut.

Welche Frauen buchen dich und deine männlichen Kollegen?
Das sind Frauen zwischen 25 und 40, die untervögelt und enttäuscht sind, dass es nicht wie bei "50 Shades of Grey" läuft.

 

© Aria

Die wollen sich gern mal auspeitschen lassen?
Es sind Frauen, die viel arbeiten, keine Zeit für Dates haben oder nicht nächtelang in einer Bar verbringen wollen und dann nicht bekommen, wonach sie suchen. Die buchen sich einen Kerl, der sie ein bisschen fesseln und auspeitschen kann und auch weiß, wie es geht. Die meisten Frauen sind ja eher devot.

Klassiker-Frage: Wissen deine Eltern, dass du das machst?
Nein, ich muss aber mal mit denen darüber reden. Ich glaube, die werden das aber locker nehmen. Sie sind schon immer sehr unterstützend gewesen.

Was verdienst du an einem Abend?
Bei 4 Stunden privater Zeit sind das 600 Euro und davon gehen 30% an die Agentur. Es ist nicht viel, wenn man Hemmungen und keinen Spaß hat, mit Menschen Sex zu haben.

Glaubst du, dass du das noch lange machst?
Es ist ein ziemlich cooler Job, ich habe tolle Abende und mache Menschen einfach glücklich.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Aria. Ich muss jetzt nach Hause.
Das sagen sie immer.

Buch, Mit Vergnügen, Berlin für alle Lebenslagen
Zurück zur Startseite