Es geht um die Wurst – Zum Mittagstisch in der Blutwurstmanufaktur in Neukölln

© Lindsay Henwood | Unsplash

Fleischessen ist moralisch diskutabel. Mindestens. Es ist teuer, dabei in der Regel noch immer zu günstig und in punkto Nachhaltigkeit bedenklich. Die Smiths sagen das auch. Und wer würde schon wagen, Morrissey zu widersprechen? Also, wir nicht. Allerdings ist Fleisch ja nicht gleich Fleisch. Dass es sogar einen Unterschied macht, bei welchem Fleischer man einkauft und noch mehr, bei welchem man zu Mittag isst, zeigen wir euch hier.

Denn einen Vorzug, den Fleischer traditionell haben, ist der, dass sie meist preiswerte Mittagsgerichte anbieten, die häufig damit werben, wie bei Muttern zu sein. Auf der Ebene dessen, welche Gerichte es gibt, stimmt das meist. Auf der Ebene dessen, wie es schmeckt, ist dies allerdings ein hoher Anspruch. Ob der eingelöst wird, wollen wir überprüfen. Unsere erste Anlaufstelle: Die Blutwurstmanufaktur in Neukölln.

© Eva Juliane Reichert

Die Blutwurstmanufaktur

Der Laden: Wo Fahrradtaschen mit Barockmalerei verziert sind, tickt der Tafelspitz anders. Die Fleischerei am Karl-Marx-Platz wurde schon 1902 gegründet, heißt jedoch seit Übernahme des Familienbetriebes Blutwurstmanufaktur. Hier geht es, unschwer zu erraten, um die Blutwurst. Die mit Ornamenten verzierte Kachelwand der Fleischerei ist gesäumt von einem Wurstpanorama aus aufgehängten Salamis, Blut- und Leberwurst, in den Regalen stapeln sich die hausgemachten Wurstkonserven und vor dem Tresen sind Bouletten nebst Leberkäse drapiert. Das Angebot ist riesig und trägt die meisten erdenklichen Farben. Dass allerdings die mehrfach preisgekrönte Blutwurst der Platzhirsch im Angebot ist, ist unschwer zu übersehen. Ihre Blutwurstgewürzmischung verrät die Manufaktur nicht; drin ist allerdings Thüringer Majoran, handgestoßener brasilianischer Pfeffer und Zimt.

Die Crew: Nebst Fleischermeister und Blutwurstritter Marcus Benser schmeißen den Ladenverkauf drei junge und gut gelaunte Bedienungen. Das ist befremdlich. Fleischereifachverkäufer sollten alt sein und mürrisch. Mit Mett im Mundwinkel.

Das Gespräch: Es gibt einen Stehtisch und einen Holztisch in Biergartenformat. Entweder man hält die Klappe oder man spricht mit allen Anwesenden. Zum Beispiel über Claude Zidis Brust oder Keule. Oder die Arbeit auf dem Amt. Oder die an der Promotion. Umtriebig, aber nicht hektisch, gemütlich aber ohne durch Schiesser-Feinripp oder Blaumann erzeugte Rinderpiedel-Realness.

Fleisch & Wurst

© Eva Juliane Reichert

Der Mittagstisch: Es gibt Schnitzel mit Kartoffeln, Krautsalat und Spiegelei sowie einen Rosenkohleintopf mit Speck. Das Schnitzel ist ein wenig trocken und das Ei war zu lange in der Pfanne. Wäre Letztgenanntes nicht gewesen, hätte vermutlich auch Erstgenanntes verhindert werden können. So war in jedem Falle der Krautsalat köstlich und der Rosenkohleintopf eine kredible Tagesmitte für einen Januartag.

Die Boulette: Die Boulette ist eindrucksvoll dunkel. Warm kostet sie 20 Cent mehr als kalt und wird mit einem ausgezeichneten Senf serviert. Anfänglich verstörend gewürzt – leicht süßlich, ein bisschen metallisch und ziemlich schweinisch. Es bessert sich von Biss zu Biss und wenn man zum Ende hin Vermutungen anstellt, ob das nach Zimt oder nach etwas völlig anderem schmeckt, hat man es immerhin geschafft, in der Mittagspause einmal abzuschalten.

Die Beute: Mitgenommen und degoutiert werden auf die Hand ein paar Wienerwürstchen und zwei Blutwürste. Die Wiener schmeckt, doch die Angst vor dem Bouletten-Gewürz sitzt tief. Vielleicht ist da nordchinesischer Lapsang drin. Oder Blutwurst. Das Wiener Würstchen ist lecker, aber nicht aufregend. Der kleinen Mittagsbegleitung Ida ist es ein wenig zu runzelig (Öko eben) und zu klein, sie isst es aber trotzdem – und möchte danach noch eins.

Blutwurstmanufaktur | Karl-Marx-Platz 7, 12043 Berlin-Neukölln | Montag – Freitag: 8–18, Samstag: 8–13 Uhr | mehr Info

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