Die Bewegung muss weiterlaufen – Ein Gedankenbrief zum Frauentag
„Linda, du starrst“. Das habe ich schon oft gehört. Weil es stimmt, ich starre viel und gerne. Manchmal, ohne es zu merken. Dabei sind es oft Frauen, die ich anstarre. Nicht, weil ich auf Frauen stehe, sondern weil Frauenkörper, Frauen in bestimmter Kleidung, Frauen mit raspelkurzen Haaren oder einem bis zum Po reichenden Zopf, einfach schön sind. Wir Frauen, das sollte öfters laut ausgesprochen werden, sind faszinierende Wesen. Wir erkennen es zu selten, sind hart zu uns selbst und leider auch oft miteinander. So sollten wir, das ist in Zeiten nonverbaler Konversation äußerst wichtig, uns das gegenseitig immer wieder sagen: Du bist schön. Dein Kleid ist schön. Deine Schuhe und die Art, wie du Dinge machst, ist schön. Komplimente von Frauen an Frauen, die sind so ehrlich, so prall gefüllt mit Verständnis, Respekt und schwesterlicher Zuneigung. Und das sage ich nicht, weil heute Frauentag ist.
Von Männern, die glauben, die feministische Bewegung sei überholt
Das sage ich, weil ich erst kürzlich wieder in ein Gespräch verwickelt war, indem ein Mann meines Alters die Existenz von Ungleichheit leugnete, „das Thema“, er meinte wohl die feministische Bewegung, als überholt ansah. Dass wir als Gesellschaft schon viel weiter sein, es gäbe schließlich andere Themen, für die wir uns als Menschen einsetzen sollten. Menschen, deren Weltanschauung nach dem Ausschlussprinzip verläuft, die kommen bei mir gleich nach Berliner Ordnungsbeamten. Ich musste in diesem Moment seine Meinung akzeptieren – schlichtweg, weil ich zu angetrunken war, um mein vollständiges Argumentationsportfolio wohl artikuliert und möglichst emotionslos auf den Tisch zu legen.
Auch Männer dürfen die finanzielle und institutionelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern leugnen, wenn sie nichts Besseres zu tun haben.
Dass seine Meinung, als Nichtfrau, zu diesem Thema völlig irrelevant war, das wird er selbst gewusst haben. Deswegen musste er sie besonders laut mitteilen. Denn, wer weiß das nicht, laut ist gleich richtig. Diese Gleichung gilt jedoch auch für mich. Ich darf zu Themen, die mich nicht betreffen eine kritische Meinung haben. Doch solange ich der betroffenen Gruppe nicht angehöre, bin ich lediglich Diskussionsstatistin.
Natürlich darf sich jeder äußern und leugnen. Alles, außer den Holocaust. Hier muss ich an Louis CK und an einen Ausschnitt seines Programms denken. Es heißt „Of course, but maybe“ und lässt sich auch auf dieses kürzlich geschehene Szenario anwenden: Of course, natürlich dürfen wir alle zu allem eine Meinung haben. Auch Männer dürfen die finanzielle und institutionelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern leugnen, wenn sie nichts Besseres zu tun haben. But maybe, maybe nobody cares what they have to say.
Die Frauenbewegung muss in vollem Gange bleiben
Untergrabe ich, als berufstätige, den Alltag alleine bestreitende Frau mit Vorliebe die Ansichten meiner männlichen Mitmenschen? Nein. Ganz im Gegenteil. Ich bin austauschsüchtig und Gedankenfetischistin. Jedoch: In Zeiten des Women’s March, in Zeiten von Trump, und einer sich immer weiter ausbreitenden rechtskonservativen Gedankenkultur, in manchen Ländern auch einer manifestierenden Legislative, muss die Frauenbewegung in vollem Gange bleiben.
Solange im Europarlament Männer wie der rechtsextreme polnische Abgeordnete Janusz Korwin-Mikke sitzen, müssen wir Frauen jeden Tag zu einem Frauentag machen. „Natürlich müssen Frauen weniger verdienen als Männer“, sagte er, „denn Frauen sind schwächer, sie sind kleiner und sie sind weniger intelligent“.
Ich profitiere vom Emanzipationsbemühen unserer Großmütter und Mütter. Ich sollte mich nicht auf ihnen ausruhen, sie gar mit Füßen treten wie ein bockiger Teenager.
Erst kürzlich machte die Serie „The Big Bang Theory“ damit Schlagzeilen, dass männliche Kollegen jeweils 100.000 Dollar ihrer Gage, pro Folge, abgaben, damit ihre weiblichen Kolleginnen gleichberechtigt verdienen. Auf dem Clickbaiting verschriebenen Portalen nannten sie es „Weniger Gage bei the Big Bang Theory“. Alternative Fakten sind so schön wandelbar.
In Russland werden Frauen, Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Großmütter, mit Blumen beschenkt. Das ist schön, das ist nett, das ist aufmerksam. Doch ich sehe den heutigen 8. März, obwohl ich Gedenktagen nicht viel abgewinnen kann, als eine gute Gelegenheit, meine Rolle als Frau zu analysieren und, vielleicht, sogar zu optimieren. Ich profitiere vom Emanzipationsbemühen unserer Großmütter und Mütter. Ich sollte mich nicht auf ihnen ausruhen, sie gar mit Füßen treten wie ein bockiger Teenager.
Wir müssen Emanzipation in allen Facetten feiern
Ich kann mich nicht frei davon sprechen, Frauen, die ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit operieren und sich oder Männern besser zu gefallen, bemitleidend anzuschauen und dabei zu hoffen, meine eigene Tochter, sofern ich eine haben werde, im Sinne jener große Frauen zu erziehen, die ackerten, damit wir ernten können. Denn was feiern wir eigentlich? Wir feiern unter anderem Clara Zetkin, die in ihrem berühmten Referat im Juli 1889 die benachteiligte Rolle der Frau im herrschenden System kritisierte. Wir feiern Rosa Luxemburg, die Frauen der 68er und auch Alice Schwarzer, ob es uns passt oder nicht.
Wer sich entscheidet, am 8. März die Frau zu feiern, der darf nicht außer Acht lassen, dass Zetkins Zitat von 1889 noch immer für Diskussion sorgt: „Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte.“