Der Kotti und ich – Beziehungsstatus "Es ist kompliziert"

© Kerstin Musl

Mit dem Kottbusser Tor ist es wie mit Koriander – entweder liebt man ihn oder man hasst ihn. Ich bin eher der Anti-Koriander, Anti-Kotti-Typ. Er ist laut, unübersichtlich und stinkt. Mal ganz abgesehen davon, dass der Kotti auch zu den gefährlichsten Plätzen Berlins gehört. "Platz der Verdammten“ (Spiegel), "Ort zum Fürchten" (Berliner Zeitung) oder auch eine "No-Go-Area" unter der Hochbahn wie ihn die „Welt“ schon beschrieben haben.

Ich muss zugeben, ich kam noch nie in eine kritische Situation wie zum Beispiel unser Autor Julius und trotzdem fühl ich mich irgendwie nicht wohl an diesem Platz. Es gibt keine einleuchtende Erklärung, einfach nur ein Gefühl. Und trotzdem will ich es immer wieder mal wissen und fahre alle paar Monate oder spätestens wenn ich zu einem Konzert ins SO36 will, an das Kottbusser Tor und beobachte. Beobachte die Menschen, beobachte das bunte Treiben, beobachte das Gefühl in meinem Körper. Denn meine innere Entdeckerin will entdecken und will eintauchen in fremde Kulturen und neue Orte und sie will sich sicher fühlen – auch in meiner Wahlheimat Berlin.

Meine innerere Entdeckerin will entdecken und sich sicher fühlen – auch in meiner Wahlheimat Berlin.

Bestärkt durch einen Artikel, den ich am Morgen gelesen hatte, in welchem geschrieben steht, dass das Kottbusser Tor sicherer geworden ist, steige ich an der Warschauer Straße in die U1 ein und fahre die drei Stationen bis zu meinem Ziel des heutigen Tages. Die Fahrt mit der U1 ist für mich immer noch einer der schönsten U-Bahn Strecken Berlins. Im Sommer erstickt man zwar fast in den alten Waggons, aber der Ausblick von der Hochbahn ist einfach immer spektakulär.

Die U Bahn fährt am Kottbusser Tor ein, ich steige aus, suche den Ausgang, werde aber sofort abgelenkt von einem scharfen, beißenden, unangenehmen Geruch. Ich drehe meinen Kopf auf der Suche nach der Ursprungsquelle und frage mich im gleichen Moment, warum ich das eigentlich getan habe. Ein Obdachloser steht bei den Gittern, die die Treppen zum Ausgang versperren und pinkelt einfach runter. Ich schlucke. Das geht ja gut los.

Kotti, du machst es mir nicht leicht

Etwas angeekelt, aber immer noch in der Hoffnung, dass der Kotti dieses Mal anders zu mir ist, geh ich weiter. Ich möchte Köfte essen gehen. Denn eines muss man dem Kotti wirklich zugestehen, gutes Essen hat er durchaus zu bieten. Mein Weg führt vorbei an Drogendealern, die mir hastig Weed andrehen wollen, ich senke den Kopf und vermeide den Blickkontakt. Das funktioniert immer. Ein paar Meter später stehen auch schon zwei Polizisten und ich traue mir den Kopf wieder zu heben. Da die Unterführung auf gefühlt unbestimmte Zeit geschlossen ist, muss ich oberirdisch über die Straße. Auf der anderen Straßenseite herrscht buntes Treiben, und eine gewisse Enge. Polizisten, Obdachlose, Punks mit Hunden, Business-Menschen und Touris teilen sich den Gehweg. Es ist supereng, aber keiner berührt den anderen, wahrscheinlich gewollt.

Ich gehe zielstrebig zur Reichenberger Straße und versuche dabei auch, nichts und niemanden zu berühren. Doch das ist gar nicht so leicht, wenn man darin nicht geübt ist. Verwahrloste Hunde, die einem zwischen die Beine laufen und immer wieder betrunkene, tänzelnde Menschen kommen einen entgegen. Ich frage mich ob diese Menschen eigentlich auf dem Kotti wohnen oder jeden Tag herkommen, quasi zu ihrer Arbeit. Statisten in der Kotti Horror Picture Show.

Willkommen bei der Kotti Horror Picture Show

Angekommen bei Izmir Koftecisi, hier soll es die besten Köpfte geben, bestelle ich und sitze mich raus auf die Bänke. Den Geruch von Benzin, Pisse und Verwesung, der hier allgegenwärtig ist, probiere ich zu ignorieren und freue mich auf mein Essen. Doch plötzlich kommt aus dem Nichts eine zerzauste, alte Frau, die unverständlich schimpft. Sie geht nah an meinem Tisch vorbei und funkelt mich mit leerem Blick an und ich sehe, wie während ihres undeutlichen Gebrabbels viele kleine Spucketröpfchen auf meinen Köfte landen. Mir wird schlecht. Ich schäme mich für meinen Ekel vor dieser Frau, kann mich aber auch genauso wenig dagegen wehren. Die Alte humpelt weiter und verwünscht dabei die Welt – ich kann es ihr nicht verdenken.

Mit zugeschnürtem Hals und angehaltenem Atem stehe ich hastig auf und bahne mir den Weg zurück zur Bahn. Der Kotti hat es wiedermal nicht geschafft, mich für sich zu gewinnen. Irgendwie macht mich das traurig, dass auch bei diesem erneuten Versuch, ich es wieder nicht geschafft habe, den Kotti anders zu sehen, anders wahrzunehmen. Ich frage mich woran das liegen könnte. Ist es der Geruch, die Angst, dass mir etwas passieren könnte oder auch das Leid der anderen? Hier wird man mit soviel Elend und Armut konfrontiert – das löst in mir eine gewisse Hilflosigkeit aus. Ich frage mich auch, ob es vielleicht einfach nur Selbstschutz für mich ist, dass ich mir selber erspare, dass alles zu riechen und zu sehen? Für heute ist das Projekt "Kotti" auf alle Fälle mal abgeschlossen, aber ich werde versuchen in einem kürzeren Abstand wieder herzukommen und probieren, den Kotti und seine Bewohner kennenzulernen.

Der Kotti hat es wiedermal nicht geschafft, mich für sich zu gewinnen.
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