"Das war keine Organisation, das war fahrlässig" – Wann lernen die Macher des Lollapalooza Festivals dazu?

© Milena Zwerenz

Ach Lollapalooza, nach gestern, dem 9. September, fehlen mir ein bisschen die Worte für diese Shit Show, die da passiert ist. Nach den letzten Jahren Organisationschaos hatte ich die Hoffnung, dass ihr das dieses Jahr einfach hinkriegen müsst. Dass ihr euch eine Treptower-Park-Situation wie im letzten Jahr nicht noch mal erlauben möchtet und vielleicht sogar dürft. Ich hatte die wilde Hoffnung, dass ihr aus euren Fehlern lernt und ihr deshalb dieses Jahr alles akribisch mit allen Eventualitäten vorgeplant habt.

Nachdem die Anreise schon sehr holprig war, wurden wir vom Festivalgelände auf der Rennbahn positiv überrascht. Hoppegarten bietet als Gelände genug Platz für drei Bühnen, die sich mit dem Sound nicht in die Quere kommen. Mit Bear’s Den, Wanda, The Vaccines, Marteria und den Beatsteaks gab es echt gute Konzerte zu sehen und mit Mumford and Sons einen routinierten und überzeugenden Headliner. So war dann auch eigentlich alles gut, bis wir irgendwann doch gerne nach Hause gefahren wären.

Wenn 85.000 Besucher das Gelände verlassen wollen

Das Wort Hoffnung habe ich dann nämlich spätestens gegen 22.40 Uhr des ersten Festivaltages aus meinem Wortschatz gestrichen, als 85.000 Besucher das Gelände verlassen wollten. Ich stand mitten in einer Menschentraube an einem Ausgang, der von einer künstlichen Ordner-Menschenkette abgeriegelt wurde, die nur eine Person nach der anderen raus ließ und das als “Sicherheitskonzept” verkaufte. Dass solch eine Nadelöhr-Situation eher für Panik sorgt, wenn von hinten weitere Menschen nachströmen und drücken, sollte man eigentlich niemandem, der schon mal nur eines der Videos von der Loveparade aus Duisburg gesehen hat, erklären müssen. Das war keine Organisation, das war fahrlässig.

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Tausende Sicherheitsbestimmungen im Vorfeld, aber ein Level vor Massenpanik ist okay? Ein schöner Tag wurde erfolgreich im Nachgang mit dem Mist ruiniert. Danke 🙏🏾 👺

Posted by Helene Grünpflanze on Saturday, September 9, 2017

Das wir noch “Glück hatten” habe ich ganz schnell gelernt, als ich heute in die Facebook-Gruppe der Veranstaltung geschaut habe. Wer nämlich schon gegen 22 Uhr vor dem Ende der Show von Mumford and Sons das Gelände verlassen wollte, hatte keine Chance. Die Ausgänge waren abgeriegelt und niemand durfte das Gelände verlassen. Wer es zur S-Bahn Hoppegarten geschafft hat, stand bis zu 3 Stunden eingepfercht zwischen Menschenmassen, ohne Wasser, Verpflegung oder die Chance, sich zu erleichtern. Angesichts dieser Situation und der lapidaren Aussage eines Ordners “mit den Shuttle-Bussen müsst ihr es gar nicht erst versuchen” haben wir uns schließlich entschieden, ohne Handynetz den Weg durch den Wald zur nächsten Station zu suchen. Abenteuer in der Wildnis, auch wenn wir das wirklich nicht geplant hatten. Zwischendurch trafen wir immer wieder auf Polizei, die auch keine Ahnung hatte, was sie den Leuten raten soll.

Wir haben uns schließlich entschieden, ohne Handynetz den Weg durch den Wald zur nächsten Station zu suchen.

Am Bahnhof angekommen haben wir den Zug nach Strausberg genommen und wollten am nächsten Bahnhof in die S-Bahn nach Spandau umsteigen. Da gab es die nächste Überraschung, die uns fassungslos zurückließ. Wir steigen aus und rennen wie der Rest zum gegenüberliegenden Gleis, wo die S-Bahn die Türen nicht öffnet, obwohl Menschen an die Bahn trommeln, um reingelassen zu werden. Die leere S-Bahn fuhr ohne eine Menschenseele ab. In dem Moment fragte ich mich, wie viele Einzelpersonen heute noch dumme Entscheidungen treffen werden.

Wenn man kein Organisationstalent ist, sollte man kein Festival veranstalten.

Dass ihr am Nachmittag einen Typen, der sich als “Schutzengel” vorstellte und die Menschen über die aktuelle Sicherheitslage auf dem Festivalgelände informieren sollte, auf die Bühne geschickt habt, ist im Nachhinein einfach nur noch ironisch. Von dieser Kommunikation war und ist an dem Abend einfach nichts zu merken. Wenn man eine Situation wirklich nicht im Griff hat und mit solch einer Menschenmasse umgeht, sollte man wissen, dass viel Kommunikation in so einem Fall auch viel hilft. Stattdessen schweigt ihr, kommentiert nichts und entschuldigt euch noch nicht mal für das, was da gestern passiert ist. Dass die Besucher ernsthaft viel Geld für diese zwei Tage hingeblättert haben, davon will ich gar nicht erst anfangen. Vielleicht solltet ihr in eurer Kalkulation demnächst einfach mal ein paar der Zirkusgestalten und Influencer streichen und in ein Shuttlebus-System und neues Sicherheitskonzept investieren, frei nach dem Motto: Erst die Pflicht (by the way, dazu würden dann auch genug Toiletten zählen und vielleicht sogar Handyempfang?!) und dann die Kür.

Das ist der Moment, in dem man froh ist, dass alle um einen herum einfach plötzlich sehr nüchtern und besonnen reagiert haben und keine Massenpanik ausgebrochen ist.

Als Veranstalter seid ihr gestern leider wirklich nicht dem Schutz von Menschen nachgekommen und das ist der Moment, in dem man froh ist, dass alle um einen herum einfach plötzlich sehr nüchtern und besonnen reagiert haben und keine Massenpanik ausgebrochen ist. Das hätte nicht gut gehen müssen und ist es für einige Leute, die an der S-Bahn kollabiert sind, ja auch leider nicht. Dass es schwierig ist, eine geregelte Heimreise für 85.000 Menschen zu organisieren? Geschenkt, das weiß man ja auch, wenn man in die Wuhlheide oder Waldbühne geht. Trotzdem ist das, was gestern bei der Heimfahrt vom Lollapalooza passiert ist, nicht mehr zu toppen.

Am meisten würde ich mir wünschen, heute Abend entspannt The XX hören zu können. Den Text von “Dangerous” könntet ihr euch dabei direkt mal zu Herzen nehmen: “They say you are dangerous but I don’t care, I’m going to pretend that I’m not scared”. Dass ich mir vor einem Festival ernsthaft überlege, ob ich mich noch mal so einer Situation aussetze, die ein so ungutes Gefühl hinterlässt, ist schade, genauso wie die Tatsache, dass viele den Song live wahrscheinlich leider nicht bei euch auf dem Festival erleben werden, weil sie entweder ganz zuhause bleiben oder nach dem 2. Song abhauen, weil sie morgen arbeiten müssen.

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