Warum ich für ein Comeback des Zivildienstes plädiere

Good Times im Wintergarten als Zivi in der Kurzzeitpflege. © Theo Rio

Mein „Dienst am Menschen“ ist mittlerweile schon fast 13 Jahre her und trotzdem ist diese Zeit bei mir immer noch viel präsenter als so einige Lebensphasen, die darauf folgten. Wenn es heute in einer Konversation über alte Menschen, den Tod oder ähnliche vermeintliche Grausamkeiten geht, dann gebe ich immer noch liebend gerne eine lustige oder auch mal eine etwas traurige, kleine Anekdote aus meinen aufregenden 10 Monaten „Zivi“ zum Besten.

Als ich mich damals wohl etwas zu spät um eine Zivi-Stelle bemüht hatte, waren die ganzen "Kiffer-Hausmeister-Jobs" schon längst vergeben und so landete ich ziemlich unfreiwillig in einer recht humorlosen Kurzzeitpflege-Station auf dem Hohenzollerndamm in Wilmersdorf. Nach 14 Jahren im Paralleluniversum Schule war ich also auf einmal mittendrin zwischen Demenz, Inkontinenz und Tod. In den ersten Wochen war ich ein einziger wandelnder Herpes, vollkommen überfordert und durchgehend extrem angeekelt. Ich konnte mir beim bestem Willen nicht vorstellen, wie ich diese 10 Monate durchstehen soll.

Nach 14 Jahren im Paralleluniversum Schule war ich auf einmal mittendrin zwischen Demenz, Inkontinenz und Tod.

Wenn Geschichten und Schicksale die Sicht auf das Leben, den Tod und das Sterben nachhaltig prägen

Aber es wurde recht schnell besser und ich fand sogar richtig Gefallen an der verdammt harten Arbeit mit den ganzen alten "Verrückten". Und dass ich meinen Dienst in einer Kurzzeitpflege verrichtete, wo die Pflegegäste ständig wechselten, hatte dazu noch den Vorteil, dass ich in recht kurzer Zeit Hunderte unterschiedliche, meist sehr alte Menschen mit ihren Geschichten und Schicksalen kennenlernte, die meine Sicht auf das Leben, den Tod und das Sterben nachhaltig prägten. Der kleine Nachteil war, dass ich, sobald ich jemanden richtig ins Herz geschlossen hatte, mich auch schon wieder verabschieden musste. Meist für immer.

Nun sind der Zivildienst und der Wehrdienst seit 5 Jahren Geschichte, wobei der "Dienst am Vaterland" in den letzten Jahren vor der Abschaffung stufenweise auf gerade mal 6 Monate herunter gekürzt wurde und somit etwas schleichend verschwand. Der unzeitgemäßen Wehrpflicht trauert wohl kaum noch jemand nach, allerdings ist die Lücke, die der Zivildienst hinterließ, meinem Kenntnisstand nach nie wirklich gefüllt worden.

Eigentlich wollte ich nur saufen, Mädchen kennenlernen und auf Open-Airs oder in Clubs abhängen.

Klar, ein freiwilliges soziales Jahr kann jeder machen, der möchte, aber bekanntlich ist nicht jeder auf Anhieb freiwillig sozial. Auch ich gebe gerne offen zu, dass ich mich zu der Zeit niemals aus freien Stücken mit alten, sterbenden Menschen beschäftigt oder mich sonst irgendwie sozial engagiert hätte. Eigentlich wollte ich nur saufen, Mädchen kennenlernen und auf Open-Airs oder in Clubs abhängen. Aber es hat mich und meine soziale Einstellung wirklich grundlegend verändert, als ich die schwere Anfangszeit hinter mir hatte und merkte, dass meine Hilfe wirklich benötigt wird und dass ich in Form von Dankbarkeit und etwas Liebe etwas zurück bekomme. Und auch wenn ich im Schnitt nur ca. 2 Euro die Stunde verdient habe, war es eine gute Zeit.

Die Lücke, die der Zivildienst hinterließ, ist nie wirklich gefüllt worden

Dass man besonders in jungen Jahren manchmal zu einem nachhaltigen Glück gezwungen werden muss, ist mir seitdem klar, aber nicht nur deshalb würde ein generelles "unfreiwilliges soziales Pflichtjahr" für beide Geschlechter doch großen Sinn machen. Ein kurzer Blick in eine Pflegeeinrichtung oder in manche Krankenhäuser würde genügen, um zu sehen, dass jegliche Unterstützung alles andere als überflüssig ist. Mal ehrlich, es wäre doch wirklich für Alle eine Win-Win-Situation: Die jungen Menschen lernen eine Lektion für das Leben, die Pflegekräfte werden entlastet und den Millionen hilfsbedürftigen Menschen dürfte es definitiv auch ganz gut in den Kram passen.

Ein "soziales Pflichtjahr" wäre zwar mit dem Blick auf den demographischen Wandel wohl nur ein mittelgroßer Tropfen auf dem heißen Stein in Zeiten des "Endzeit-Kapitalismus", aber trotzdem ein kleiner Schritt in die richtige Richtung zu einer etwas sozialeren Gesellschaft.

Besonders in jungen Jahren muss manchmal zu einem nachhaltigen Glück gezwungen werden.
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