Bin ich ein Rabenvater, wenn das Kind einen Bluterguss von mir hat?

© Rike Schäfer

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge entpuppt er sich als genauso ratlos wie alle anderen.

Ich bin jetzt seit drei Jahren Vater. In meinem Leben war bisher nichts so überwältigend wie diese Erfahrung. Das meine ich völlig wertfrei. Klingt natürlich trotzdem abgedroschen. Ich versuche es zu erklären. Die Gefühle für meine Tochter sind in manchen Augenblicken so stark, dass sie mir glatt den Atem nehmen.

Die Gefühle für meine Tochter sind in manchen Augenblicken so stark, dass sie mir glatt den Atem nehmen.

Zum Beispiel dieser Beschützerinstinkt. Der fühlt sich gut an. Die Tatsache, dass dieses Kind mich bedingungslos liebt und braucht. Gleichzeitig tun sich Abgründe auf. Ein unseliges Kopfkino, was dem Kind alles zustoßen könnte. Aber Moment, soweit muss ich nicht mal gehen. Bleiben wir bei dem Punkt: Das Kind braucht mich. Sie braucht mich wirklich. Sie würde sich unglücklich fühlen, wenn ich nicht da wäre. Existentiell bedroht. Es liegt in meiner Hand, dass sie nicht leidet. Das muss ich einfach hinkriegen.

Nein, ich habe mein Kind nicht geschlagen

Versteht ihr, was ich meine? Vieles ist so schön und gleichzeitig schrecklich. Es ist manchmal einfach zu intensiv. Herzzerreißend. Damit muss man erstmal umgehen können. Ich werde es, glaube ich, nie lernen. (Während ich das hier schreibe, kommt sie gerade angewackelt. Es ist halb sechs in der Frühe und sie ist aufgewacht. Dieser Moment ist nicht ambivalent. Sondern einfach nur toll. Die Freude, das Wiedersehen. Kind noch halb müde und verschmust. Brauchen wir nicht drüber zu reden.)

Nun zum Thema. Erst so ein Titel und dann mache ich einen auf sentimental. Ganz schön perfide, was? Um es vorweg zu nehmen: Nein, ich habe mein Kind nicht geschlagen. Oder sonst irgendwie Macht auf sie ausgeübt. Bilde ich mir zumindest ein. Aber in diesem Sommer wurde eine Grenze überschritten. Davon will ich berichten.

Das Kind hat uns den Krieg erklärt

Bis zu diesem August dachte ich, wir hätten alles im Griff, meine Freundin und ich. Cool trotz Kind. Dann sind wir in Urlaub gefahren. 5 Wochen Israel. Nach der ersten Woche waren wir mit den Nerven am Ende. Das Kind hat uns den Krieg erklärt und obwohl meine Freundin und ich an einem Strang ziehen, sind wir kolossal untergegangen. Abends saßen wir manchmal da und konnten uns gegenseitig kaum in die Augen schauen. So tief saß der Schock. Die Fassungslosigkeit darüber, in was für ein Monstrum sich unsere Tochter verwandeln kann.

Anscheinend ist dieses Alter eh schwierig. Drei. Wenn man mit ihr allein unterwegs ist, gibt’s keine Schwierigkeiten. Aber sobald wir alle zusammen sind, tickt sie aus. Sie redet ständig dazwischen. Ich meine, IMMER. Sobald man einen Satz anfängt, beim zweiten Wort, legt sie ihren Plapperteppich darüber. Eine vollständige Sabotage sämtlicher Kommunikationskanäle. Als ob sie bewusst verhindern will, dass meine Freundin und ich miteinander reden.

Sobald man einen Satz anfängt, legt sie ihren Plapperteppich darüber. Eine vollständige Sabotage sämtlicher Kommunikationskanäle.

Sie beschäftigt sich keine Sekunde allein. Das konnte sie mal. Kann sie nicht mehr. Man ist in jedem einzelnen Augenblick mit dem Kind beschäftigt. Kein Raum mehr für einen Gedanken, einen Blick in die Landschaft, eine eigene Identität. Und dann will sie ein Eis. Und noch eins. Und Videos auf dem Smartphone anschauen. Und wenn man ihr das nicht zugesteht, weil Zucker alles noch schlimmer macht, oder ihr das Telefon nicht geben will, weil das WLAN ihre DNA zum Sieden zu bringen scheint... Wenn man ihre Forderungen nicht augenblicklich erfüllt, flippt sie aus.

Und ich meine AUSFLIPPEN. Schreikrämpfe, Kratzen, Beißen, Schläge ins Gesicht ihrer Mutter, Schläge in mein Gesicht. Kurze Ruhepause, um Kraft zu sammeln. Dann der nächste Schreikrampf. Und das mitten auf einer Kreuzung in Tel Aviv. Oder im Bus. Oder im Supermarkt an der Kasse. Immer weit außerhalb der Komfortzone.

Schreikrämpfe, Kratzen, Schläge ins Gesicht ihrer Mutter

Und natürlich hatten wir Verständnis. Für das Kind gab es keine Komfortzone. Sie hat sich in Berlin gerade an einen Rhythmus gewöhnt. An klare Strukturen aus Kita, Mittagsschlaf, Wochenende, Zeiten mit ihrer Mutter, Zeiten mit mir. Und plötzlich gibt es das alles nicht mehr. Wir hängen jede Sekunde aufeinander, in einer völlig unbekannten Umgebung. Dazu kommt, dass sie gerade gelernt hat zu sprechen, sich auszutauschen. Um sich dann an einem Ort wieder zu finden, wo sie niemand versteht.

Keine Sorge, nach einer Woche haben wir einen guten Rhythmus gefunden. Strandtage fürs Kind, dann ein Städtetrip für die Eltern. Hin und wieder getrennt voneinander was unternehmen. Und immer erklären, was als nächstes passieren wird, damit das Kind eine Struktur hat. So ließ es sich dann gut leben.

Doch es gab diesen Moment in der ersten Woche. Den Tiefpunkt der Reise. Wir waren gerade in Haifa. 38 Grad im Schatten, Luftfeuchtigkeit 100%. Das Kind sitzt auf meinen Schultern, weil sie neuerdings auch nicht mehr laufen kann. Wir haben uns Falafel an einem Imbiss bestellt. Dann flippt sie aus.

Das Kind auf den Schultern. An jedem Arm eine Tasche. Auf dem Rücken ein Rucksack. Der arabische Verkäufer, der tausend Sachen fragt, während das Kind direkt an meinem Ohr vor sich hin plappert. Die Hitze. Das Kind: „Ich will einen Strohhalm! Ich will die Brause allein aus dem Kühlschrank holen!“ Und dann besitze ich die Unverfrorenheit zu bezahlen. Dabei wollte das Kind bezahlen. „Ich will bezahlen! PAPA, ICH WOLLTE BEZAHLEN! HAST DU BEZAHLT? ABER ICH WOLLTE BEZAHLEN.“

In ihrer Wut haut sie mir mit beiden Fäusten voll auf die Fontanelle. In meiner Wut packe ich sie und stelle sie auf die Straße.

In ihrer Wut haut sie mir mit beiden Fäusten voll auf die Fontanelle. In meiner Wut packe ich sie und stelle sie auf die Straße. Die Hitze. Der Schweiß. Die glotzenden Araber. Und dann geht das Geschrei erst so richtig los.

Ich weiß nicht mehr, wie wir zurück in unser Mietzimmer gekommen sind. Auf jeden Fall flossen zum ersten Mal auch Tränen auf Elternseite. Das scheint für das Kind eine Zäsur gewesen zu sein. Von da an wurde es besser. Wir haben einen Modus gefunden, in dem das Kind sich geborgen fühlt. Trotz Reise und Ausnahmezustand.

Am Morgen nach diesem letzten Ausraster hab ich das Kind wie immer mit Sunblocker eingecremt. Und dabei fiel es mir auf. Ein blauer Fleck am Oberarm, dort wo ich sie gepackt habe. Ganz klein, nicht größer als eine Erbse. Meine Freundin und ich sind auch gezeichnet. Zerkratzte Gesichter, Biss-Spuren. So geht’s halt gerade zu in unsrer schrecklich netten Familie. Das Kind scheint von dem Bluterguss nichts zu spüren. Und doch. Ich habe das gemacht. Ein Hämatom. Bin ich jetzt noch ein guter Vater?

So geht’s halt gerade zu in unserer schrecklich netten Familie

Inzwischen sind wir wieder zurück in unserer alten Struktur. Das Kind reagiert noch immer allergisch, wenn meine Freundin und ich mal ein Wort wechseln wollen. Wir gehen irgendwie damit um. Und ich stelle fest, wie schnell sich alles verändert. Vor ein paar Wochen hab ich hier noch voller Überzeugung geschrieben, dass wir unsere Tochter nicht bei Verwandten parken. Das wir alles mit ihr erleben wollen, weil wir sie gern bei uns haben.

Doch der Urlaub hat uns deutlich gemacht, dass wir auch auf uns selbst schauen müssen. Wir haben jetzt einen Babysitter. Und das Kind bleibt am Wochenende auch mal über Nacht bei seiner Oma. Keine Ahnung, ob das richtig ist. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken. Zeit, die ich nicht habe, wenn das Kind mit seinem monströsen Ego mein Hirn belagert. Klingt gerade ein wenig düster? Das muss auch mal sein. Man kann immer nur ausprobieren. Und sicher ist bei alldem nur eins: Ich liebe das Kind so sehr, dass es weh tut.

TIPP DES TAGES: Ihr findet, Clint ist ein Schwein? Einfach das Jugendamt anrufen.

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