"Ich würge panisch den Schnodder mit einem Schluck Riesling herunter" – Mein erster Besuch in der Austernbar im KaDeWe

Austern haben viele natürliche Feinde: Schnecken, Krebse, Möwen und sogar die süßen Seesterne ziehen bei Bedarf den armen Muscheln einfach die Schalen auseinander und saugen die glibberigen Weichkörper in einem Zug weg. Weil die französische oder schottische Atlantikküste etwas zu weit weg ist, um sich das mal genauer anzugucken, gehe ich nun dorthin, wo ich hier in Berlin die meisten natürlichen Fressfeinde vermute: im KaDeWe auf der Feinschmeckeretage, an der Austern Bar.

Ich durchschreite den historischen Haupteingang des legendären Kaufhaus des Westens und nehme "voll auf Austern programmiert" direkt den Aufzug hoch in das fast noch legendärere Schlemmerparadies. Die kleine Austernbar befindet sich etwas versteckt in der letzten Ecke der Gourmet-Etage, die auf den ersten Blick nicht so glamourös daherkommt, wie es so mancher vielleicht vermuten würde. Wenn man die Fischtheke und die 3 Tische in ein Raststätten-Klo schieben würde, dann erschüfe man wohl einen sehr ähnlichen Look. Es gibt wenig Platz, keine Fenster, aber dafür massig weiße Fliesen und im Zentrum eine azurblau angestrahlte Bar im 80er-Stil.

Austern schlürfen zwischen weißen Fliesen und Stehtischen

Flink sichere ich mir den Eckplatz mit dem besten Ausblick auf die Runde der feinen Leckermäuler und bestelle bei einem wohlgenährten Herrn mit Kochmütze ein Glas vom günstigsten Weißwein und 7 französische Felsenaustern aus Marennes. Kaum habe ich meine Lumpen abgestreift, landen die in Eis gebetteten Dinger schon auf dem marmorierten Tresen und auch wenn ich noch niemals auf Sylt war, kommt bei mir sofort etwas "Sylt-Feeling" auf. Bevor ich ungelenk über meine erste Auster herfalle, studiere ich erstmal unauffällig, wie das fachkundige Publikum die fast heilige Muschel konsumiert.

Auch wenn ich noch niemals auf Sylt war, kommt bei mir sofort etwas Sylt-Feeling auf.

Schnell wird klar, dass es durchaus unterschiedliche Stile gibt, sich die Austern einzuverleiben: Eine Dame mit einem unfassbar gelben Schal scheint eine Art "Schubkarren-Technik" für sich entdeckt zu haben und kippt das Muschelinnere, welches bis zu 40% aus dem Schließmuskel besteht, mit einem Ruck in den weit geöffneten Schlund. Ein älterer Herr mit einer besonders häßlichen Lesebrille präferiert hingegen eine Saugtechnik und setzt pro Auster in kurzen Intervallen ca. 3 Mal zum genüßlichen Auslutschen an. Bei einem auffällig langweilig anmutendem Pärchen am Ende der Bar sieht es derweil eher so aus, als würden sie geheime Hilferufe in ihr "Austerntelefon" flüstern, wenn sie sich die Schalen vor die wackelnden Münder halten.

© giphy

Ich beschließe, das dies genug Inspiration war und mache mich nun endgültig bereit für die wirklich allererste kulinarische Auster meines bescheidenen Lebens. Ich löse mit einer Gabel vorsichtig den Weichkörper von der Schale, tröpfele etwas Zitrone hinüber und drücke mir hastig diese komische Masse in den Rachen. Die extrem glibberige Substanz wabert durch meinem Mund und ich würge panisch den ganzen Schnodder mit einem großen Schluck Riesling herunter. Pfui! Aber auch geil. Ich bin am Meer oder sogar im Meer, unter Wasser. Hilfe ich ertrinke! Ach nein doch nicht.

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Mit etwas Stolz prüfe ich, ob jemand meine Heldentat registriert hat und lausche dabei notgedrungen einem wohl typischen Austernbar-Trash-Talk. Ein Typ in einem weißen Poloshirt, das einen gigantischen aufgestickten Poloreiter ziert, berichtet lautstark von einer „wirklich geilen Safari“ und dass sich „der Krüger immer noch voll lohnt". Bevor ich mich übergeben muss, drücke ich mir lieber schnell die nächste Muschel ins Gesicht und diese flutscht zwar schon etwas besser, aber warum dieser Glibber jetzt so hart abgefeiert wird, leuchtet mir immer noch nicht ganz ein.

Der glibberige Weichkörper ist auf einmal die salzige Riesenzunge von Miriam B. und wir kugeln uns wieder im Sand von Cala Ratjada.

Doch dann entdecke ich schließlich eine einsame ältere Dame mit dick aufgetragenem, rosa Lippenstift, die beim Schlürfen immer wieder die Augen schließt und dabei scheinbar in Gedanken ganz woanders ist. Das wird es sein und ja, das ist es: Mithilfe der Auster kann man sich das Meer und damit all die verbundenen tollen Erinnerungen direkt hier ins kalte, meerlose Berlin holen. Die Dame ist wohl im Moment des Schlürfens der hermaphroditischen Wesen wieder 24 Jahre jung und turtelt salztrunken mit ihrem Liebhaber oder ihrer Liebhaberin in der Brandung am Strand von Marbella.

Dass ihre Brosche exakt so aussieht wie eine ihrer englischen Blackwater Austern ist jetzt nur noch eine kleine Randnotiz, denn jetzt schließe auch ich bei der nächsten Muschel meine Augen und denke ganz fest an meine erste Beach-Romanze mit Happy End und ob es jemand glaubt oder nicht, es funktioniert wirklich! Der glibberige Weichkörper ist auf einmal die salzige Riesenzunge von Miriam B. und wir kugeln uns wieder im Sand von Cala Ratjada.

Die Muschel, das Symbol der weiblichen Sexualität

Aprospos Sex, auch wenn sich die meisten Gäste, wie die ältere Dame, wahrscheinlich nicht mehr in der sexuell aktivsten Zeit ihres Lebens befinden, umgarnt das Schlürfen der Austern generell eine gewisse Portion Erotik. Die Muschel, das Symbol der weiblichen Sexualität, das von der Schale umschlossene Zarte, in dem etwas sehr Wertvolles, die Perle, liegen kann. Wobei die Austern, die amtliche Perlen produzieren, ziemlich ungenießbar sind und es beinahe ausgeschlossen ist, beim Essen einer kulinarischen Auster, eine Perle zu entdecken.

Das ist natürlich verdammt schade, aber mittlerweile habe ich leider andere Sorgen. Zwischen all den tollen Gedanken an Sex, Meer-Sex und Romantik habe ich nach der 7. Auster ein ziemlich flaues Gefühl im Magen und auch wenn ich im Wikipedia-Artikel über das KaDeWe lese, dass sich hier auf der Schlemmer-Etage die hauseigene Krankenstation befindet, weiß ich spätestens jetzt, dass dies zumindest für heute meine erste und letzte Runde Muschelschlürfen war.

Zwischen all den tollen Gedanken an Sex, Meer-Sex und Romantik habe ich nach der 7. Auster ein ziemlich flaues Gefühl im Magen.

Ich werfe mich langsam wieder in mein Lumpengewand und bezahle für die 7 Austern und meinen Wein 35 Euro inklusive Trinkgeld. Auf dem Weg nach unten checke ich Miriam Bs Facebook-Profil und habe nicht wirklich das Gefühl, einen Cent zu viel gezahlt zu haben.

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