Armut ist nicht sexy!

© Raffik Lopes | Unsplash

Berlin ist die Hauptstadt der Startup-Gründer und der Modeblogger, der Ewig-Praktikanten und der unglaublich gut angezogenen Kellnerinnen, die eigentlich ganz was anderes machen. Die Hauptstadt der prekären Beschäftigungsverhältnisse, der Hartz-IV-Aufstocker, der miesen Löhne und immer weiter steigenden Mieten.

Seit den Zeiten des alten West-Berlins, das als Eldorado der Künstler, Hausbesetzer, Wehrdienstverweigerer und besitzlosen Glücksritter galt, hat die Stadt sich ihren Ruf und ihre beneidenswerte Scheißegal-Attitüde erhalten. Dumm nur, dass man heutzutage hier nicht mehr überleben kann, wenn man genau diesen Lebensstil pflegen will. Die ehemals günstigen Mieten in einer aufregenden Metropole, in der scheinbar jeder tun und lassen kann, was er will, hat die Stadt für Neu-Berliner aus aller Welt attraktiv gemacht. Auch für internationale Investoren und Miethaie, die genau an diesen Leuten ihr Geld verdienen wollen.

Modeblogger vs. Hartz-IV-Aufstocker

Natürlich gibt es im Leben Wichtigeres als Geld – wer wüsste das besser als all die freiheitsliebenden Kosmopoliten, die es auf der Suche nach einem freien und aufregenden Leben in die Arme dieser Stadt getrieben hat. Um reich zu werden, geht man lieber woanders hin. Trotzdem ist es manchmal schwer zu ertragen, wenn man sich damit abfinden muss, dass der Traum von der Freiheit spätestens dann an der Realität zerschellt, wenn man akribisch Preise im Supermarkt vergleichen muss und die finanziellen Sorgen im Alltag immer mehr die Oberhand gewinnen.

Jeden zweiten Abend Spaghettigericht für 69 Cent zu essen, während man in der kalten Wohnung friert, mag in der Studentenzeit noch ein gewissen Bohème-Glamour versprühen, doch spästens wenn man im Berufsleben nach acht Stunden Arbeit nach Hause kommt und wieder nur in den Spaghettitopf starrt, weil man sich nichts Besseres leisten kann, ist jeder Glamour verflogen – egal wie oft du dir einzureden versuchst, dass eine überteuerte Ein-Zimmer-Wohnung in Kreuzberg oder Friedrichshain immer noch besser ist als eine Eigentumsvilla in Wattenscheid.

Um reich zu werden, geht man lieber woanders hin.

Wenn dich der Blick auf den eigenen Kontostand regelmäßig an den Rand der Verzweiflung treibt, wird das Großstadtleben schnell zum nervenstrapazierenden Hindernisparcours. Wenn die Hälfte deines Lohns für Miete, Strom- und Heizkosten draufgehen, während Du Dir gleichzeitig nicht sicher sein kannst, dass dein dritter befristeter Arbeitsvertrag verlängert wird. Oder wenn du als Selbstständige im Café an einem unterbezahlten Auftrag arbeitest und dabei hoffst, dass der schicke Barista, der auch nicht viel verdient, nicht bemerkt, dass du schon seit drei Stunden im selben schwarzen Kaffee rührst, während du mit schlechtem Gewissen das gratis W-Lan schnorrst. Deine Urlaubspläne verschiebst du immer weiter in eine imaginäre Zukunft, in der dich ein überraschender Geldsegen überkommen wird. An die Zukunft selbst willst du am liebsten gar nicht denken.

Arm zu sein ist kein sexy Zustand, an dem du auf attraktiv arrangierten Instagram-Posts die Welt teilhaben lässt.

Arm zu sein ist kein sexy Zustand, an dem du auf attraktiv arrangierten Instagram-Posts die Welt teilhaben lässt. Armut ist ein soziales Tabu, da sie in unserer leistungshungrigen Gesellschaft immer noch den Vorwurf weckt, man strenge sich einfach nicht genug an und sei am Ende selber Schuld. Also triffst du dich irgendwann nur noch mit den ebenfalls armen Freunden zu Stulle und Sterni vor dem Späti, anstatt mit den Besserverdienern im Freundeskreis im Restaurant zu sitzen und mit schwitzigen Händen auf die Rechnung zu warten.

Zurück zur Startseite