3 Stunden flanieren in Weißensee

© Wiebke Jann

Denkt man an Weißensee, denkt man – logischerweise – zuerst an den See, dem der Stadtteil seinen Namen zu verdanken hat. Ebenso an die gleichnamige Kunsthochschule oder die Freilichtbühne und – wo wir schon beim Namen sind – fällt dem ein oder anderen Serien- oder Fernsehjunkie noch die ARD-Serie "Weißensee" ein. Und obwohl so viele schöne Dinge so heißen, muss ich gestehen, dass der Stadtteil selbst bisher noch nicht wirklich auf meinem Radar erschienen ist. Damit sich das aber ändert, mache ich mich von unserem Büro im Prenzlauer Berg auf, fahre die Greifswalder Straße entlang, bis ich auch schon kurze Zeit später das Ortsschild Weißensee erreiche.

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Früher waren Weißensee, Prenzlauer Berg und Pankow noch eigenständige Bezirke, 2001 fusionierten sie zum gemeinsamen Verwaltungsbezirk Pankow. Und obwohl die Bezirke inzwischen eins sind, merkt man doch schnell, dass man jetzt nicht mehr im Prenzlauer Berg ist. Die Häuser werden kleiner, die Straßen ruhiger und vor allem grüner, zumindest wenn man die ziemlich große und, zugegeben, nicht allzu hübsche Berliner Allee verlässt. Ich biege von der Gürtelstraße ab auf die Meyerbeerstraße, wo sich auf der rechten Seite ein wirklich zauberhafter kleiner Spielplatz in dem vielen Grün auftut.

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Ein kleiner Wegweiser leitet mich zu meinem ersten Ziel: der jüdische Friedhof Weißensee. Am Ende der Herbert-Baum-Straße öffnet sich das imposante Eingangsgebäude. Bereits 1875 erwarb die jüdische Gemeinde Berlins das 43 Hektar große Terrain, welches 1880 eingeweiht wurde und heute den größten europäischen Jüdischen Friedhof beherbergt. Am Eingang klärt mich das Aufsichtspersonal darüber auf, dass der Friedhof um 17 Uhr schließt. "Seltsam", dachte ich noch, es war ja erst 14 Uhr, "wer schlendert denn drei Stunden über einen Friedhof?"

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Normalerweise finde ich Friedhöfe gruselig, alles ist still, man verfällt augenblicklich in einen Flüsterton und die vielen ruhenden Gräber lösen irgendwie ein unangenehm bedrückendes Gefühl in mir aus. Aber hier ist es anders. Dieser Friedhof ist so unglaublich grün, die Gräber teilweise so nah beieinander, dass man gar nicht an ihnen vorbeilaufen kann, und es sich gar nicht anfühlt, als würde man über einen Friedhof gehen. Nachdem ich eine große Runde gedreht habe, weiß ich, wieso der Mann am Eingang mir die Schließzeiten gesagt hat: hier kann man sich wirklich in der Zeit verlieren und den ganzen Tag schlendern.

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Aber ich will ja noch mehr von Weißensee sehen. Also geht's wieder weg vom Friedhof, über die Smetana- und die Albertinenstraße, wo schon die nächste grüne Oase, nämlich der See, dem der Stadtteil seinen Namen verdankt: der Weiße See. Rund um den fast kreisrunden See ist ein wunderschöner Park, der nicht nur von Freunden des kühlen Nass zum Entspannen genutzt wird, sondern auch von Joggern, Hundebesitzern und allen, die sich gerne eine Pause gönnen möchten.

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Während man am südlichen Ufer des Sees wildbaden und sich anschließend im Schatten der großen Bäume ausruhen kann, befindet sich auf der östlichen Seite des Sees für alle, die auf Sand zwischen den Zehen beim Baden nicht verzichten möchten, das Strandbad Weißensee. Und wer keine Lust auf Abkühlung hat, der kann sich bei dem kleinen Bootsverleih ein Boot mieten und den See trockenen Fußes erobern.

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Da der See mit einem Durchmesser von ca. 300-350 Metern nicht gerade groß ist, kann man gemütlich einmal herumschlendern. Weil ich aber noch ein bisschen mehr erkunden möchte, belasse ich es bei einem guten Dreiviertel der Strecke, spaziere vorbei an einem Wasserspielplatz und einem Tiergehege und entdecke wahnsinnig schicke, weiße Häuser, die mich von der Architektur und mit ihrer Nähe zum Wasser ein bisschen an Alt-Stralau erinnern.

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Ich folge der Großen Seestraße eine ganze Weile und bin ziemlich verliebt in Weißensee. Alles ist hier so entschleunigt. Ich treffe kaum Menschen auf der Straße und genieße es, mir die hübschen Einfamilienhäuser anzuschauen, irgendwie erinnert mich das an meine Heimat. Hier gibt es keine Spätis an jeder Ecke, keine Rollkoffer, die über den Asphalt gezogen werden, sondern Eigenheime und große Gärten, die mit hübschen grünen Gartenzäunen voneinander getrennt sind.

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Neben den alten Einfamilienhäusern und den schicken Neubauten am Weißen See verstecken sich in Weißensee aber auch ein paar experimentierfreudigere Architekten. Denn anders kann ich mir diesen kleinen Schatz aus riesengroßen, ausgedruckten Blumen und aus der Wand herausragenden Schmetterlingen in der Gustav-Adolf-Straße nicht erklären.

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Direkt gegenüber finde ich dann aber auch einen der süßesten Läden mit echten Blumen. Herrlich unaufgeräumt, zwischen Bäumen und Gehweg findet man hier alles, was das Gärtnerherz begehrt, eine schöne Abwechslung im Vergleich zu den durchgestylten Blumenläden im Prenzlauer Berg.

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Vom vielen Laufen werde ich langsam hungrig und wie es sich für einen richtigen Ausflug gehört, würde ich jetzt am liebsten ein großes Stück Kuchen samt Kaffee herzaubern. Aber genauso, wie es hier keine Spätis gibt, scheinen auch die Cafés ziemlich rar zu sein, denn bisher habe ich noch keines gesehen. Bei meiner Suche nach einem Café komme ich an der Kunsthochschule Weißensee vorbei, die 1946 gegründet wurde, ihre Räumlichkeiten lustigerweise in den Resten einer Schokoladenfabrik gefunden hat und schon einige namenhafte Künstler wie Georg Baselitz hervorgebracht hat. In seine Fußstapfen wollen die rund 800 Studierenden sicher auch gerne treten, aber nicht heute, denn es sind Semesterferien und kaum ein Student ist in Sicht. Und obwohl Studenten bekanntermaßen im Café sitzen zu einer Art Sport erkoren haben, scheint es auch hier keine Cafés zu geben. Also laufe ich weiter, die Pistoriusstraße entlang.

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Über die Pistoriusstraße gelange ich auf den wunderschönen Mirbachplatz, an dem – im Gegensatz zur Ruhe der anderen Straßen – wieder Leben ist. Im Bücherantiquariat stöbern Leute nach alten Schätzen, in der Weinkiste sucht man den Wein fürs Abendessen aus, es gibt Restaurants und Bars und sogar eine Eisdiele. Und mitten auf dem Platz trohnt die Betahnienkirche, die 1902 errichtet und leider im zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Lediglich der rund 65 Meter hohe Glockenturm blieb erhalten und 2007 an einen Berliner Architekten verkauft. Ich frage mich, was man wohl alles mit einem Kirchturm anstellen kann. Vielleicht zieht der Architekt ja bald ein und läutet morgens die Glocken – oder lässt abends sein Haar herunter.

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Mein letzter Halt ist das Café Mirbach, das am gleichnamigen Platz Tische mit niedlichen weiß-blau karierten Tischdecken auf dem großen Bordstein stehen hat. Das Café gehört zwar sicher nicht zu den hippsten Lokalen der Stadt, aber nach dem langen Laufen, das sich ein bisschen wie Urlaub angefühlt hat, ist es nahezu perfekt, um hier einzukehren, die Füße zu entspannen und ein leckeres und sogar noch warmes Stück Zupfkuchen zu verdrücken.

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