Zwischen Weihnachtsshoppern und Käsetheke – Ein Abend Saufen im Karstadt am Hermannplatz

© Peggy Wellerdt | Stadtaspekte

Die Vorweihnachtszeit ist bekanntlich die Zeit der exorbitanten Shoppingexzesse und alle, die sich den üblichen Ramsch nicht online nach Hause liefern lassen, stürmen die Kaufhäuser der Stadt. Es wird gestöbert, gedrängelt, Parfüm am Handgelenk gekostet und – was viele in all dem Trubel nicht mitbekommen – es wird auch richtig gesoffen.

Im Untergeschoss des Karstadt am Hermannplatz gibt es, wie in fast jedem großen Kaufhaus, eine kleine Spelunke mit allem, was das Altberliner Trinkerherz verzückt. Ich muss gestehen, dass ich schon lange mit dem Gedanken gespielt habe, hier irgendwann einmal „was zu trinken“. Jetzt packe ich nun endlich die Gelegenheit beim leicht fettigem Schopfe und platziere mich direkt an dem Tresen des Zapfhahns, bestelle ein großes Schultheiss und lasse diese wunderbar absurde Szenerie erstmal auf mich wirken.

© Theo Rio

Vom Zapfhahn aus hat man wirklich alles im Blick: den Eingang zum hauseigenen Supermarkt, den Kassenbereich und die Rolltreppen, auf denen die Menschen in Zeitlupe in mein Blickfeld rein- und wieder rausgegondelt werden. Eingerahmt wird die offene Eckkneipe von diversen Glücksspielautomaten, wo ein Frührentner und eine ältere Dame mit Pelzmütze schon eifrig die Früchte zirkulieren lassen.

Langsam weht der Duft der Käsetheke genau in mein Bier.

„Frau Tschiballa, bitte zur Kasse 3“ schallt es aus den Speakern und langsam weht der „Duft“ der Käsetheke genau in mein Bier. Leichte Übelkeit ist die Folge, aber zum Glück gibt es hier reichlich Ablenkung.

Hinter dem Tresen tanzt der wohl deutscheste Südländer aller Zeiten mit einer faustgroßen Bulette in der Backe bestens gelaunt zu Helene Fischer. „Willste noch ein Großes, Großer?“ fragt er mich mit Schwung und ich nicke zustimmend. „Trinkste auch ein Schnaps mit?“ Auch dies wird von mir abgenickt und eh ich mich versehe, habe ich – zwischen all den geschäftigen Advents-Shoppern – schon ordentlich Schlagseite.

Zum Glück sind der Schankmeister und ich nicht die einzigen Fahruntüchtigen hier: Zwei Spätrentner direkt neben mir trinken „Futschi" (Weinbrand mit Cola), ein weiterer Herr, bei dem Stammgast auf der Stirn steht, liest das Kicker-Sonderheft und er sagt mehrfach „wie immer“. Sogar die „Grande Dame des Automatencasinos" mit der Pelzmütze gönnt sich mal eine Glückspielpause mit einem Mariacron und einer kühlen Fanta („Fatschi").

© Theo Rio

Der Großteil der Menschen, die sich sonst an diese Theke verirren, wollen lediglich Kleingeld für die Einkaufswagen wechseln und schauen dabei meist leicht verwirrt in unsere kleine illustre Runde. Nur eine schwerbetütete junge Familie gesellt sich zu uns und bestellt „zwei schnelle Biere". Die Tochter hält scheinbar nicht viel von diesem Päuschen und spielt gelangweilt an der Bierrosette vom Vater, während die Mutter ihr 0,3er in einem Zug runterstürzt. (Als Bierrossette bezeichnet man das Papierchen unten am Pilsglas, ihr Schweine!) Nach zwei Minuten werden die Tüten wieder umgeschnallt und sie verschwinden im Getümmel.

Arrivederci Hans, das ist der letzte Tanz.

Der Käsegestank lässt derweil nicht nach und vermischt sich nun auch noch mit diesem fiesem Geruch von der kleinen, verwaisten Subways-Filiale hinter dem Kassenbereich. Da es weder Handyempfang noch W-LAN gibt, kann ich keinen Notruf absetzen oder sonst jemanden anflehen, mich hier raus zu holen. Also entscheide ich mich doch noch für ein letztes „Großes", weil ich Angst habe, dass, wenn ich mich jetzt aufrichte, ich direkt ins Gemüse falle. Aber die Sperrstunde (Ladenschluss) naht und anscheinend wird die „Rausschmeisser-Platte" gerade aufgelegt. „Arrivederci Hans, das ist der letzte Tanz“ schallt es aus der Stereoanlage und ich befürchte, dass dieser Endzeitschlager wohl exemplarisch für den großen Kaufhausdinosaurier steht.

Auch für mich persönlich war es wohl trotz aller toller Verrücktheiten mein erster und letzter Tanz im Untergeschoss. Ich stürze die letzten fahlen Schlucke meines Biers runter und laufe, so schnell das mit Schlagseite eben geht, an die kalte Berliner Abendluft. Gut, wieder hier oben zu sein.

Das Magazin Stadtaspekte, von denen wir das Titelbild borgen durften, hat mal was zum Zapfhahn als Begegnungsort geschrieben. Interessant!

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