"Wir sind nicht rechts oder so." – Unterwegs im AfD-Land Pankow

„Ich sag Ihnen mal was, das können Sie sich notieren!“ Der Mann am Zaun trägt eine rote Latzhose. Sein Gesicht ist ebenfalls rot. „Schreiben Sie ruhig mit, hören Sie? Die Rechten in diesem Land wurden schon immer unterdrückt.“
„Naja“, ächze ich. Es tut mir leid, ihn unterbrechen zu müssen. „Seit '45 halt.“
„Genau! Seit 1945 werden die Rechten hier unterdrückt. Und jetzt kommt das alles hoch. Wir haben doch gar keine andere Wahl!“
„Darf ich ein Foto von Ihnen machen?“
„Nein, lieber nicht.“

© Screenshot Berliner Morgenpost Berlinwahlkarte 2016

Als mich die Redaktion am Montagabend anruft und fragt, ob ich nicht in den Wahlkreis mit dem höchsten AfD-Ergebnis fahren will, freue ich mich. Ein bisschen locker-flockige Landluft im schönen Marzahn schnuppern – warum nicht?

„Wo genau muss ich hin?“, frag ich.
„Pankow.“
„Wie bitte?“
„Pankow.“

Die Recherche bestätigt es. Pankow ist blau. Und nirgends ist es so eindeutig wie im Einzugsgebiet des Wahllokals 201. Stadtrandsiedlung Berlin Blankenfelde. Von 414 Wählern haben 154 die AfD gewählt. Das sind 37,2 Prozent.

Immerhin darf ich trotzdem aufs Land. Vom S-Bahnhof Pankow nehme ich den 250er Bus bis Hermann-Hesse-Straße, steige dort in den 107er um. Als ich nach einiger Zeit die Haltestelle „Kleingartenanlage Daheim“ passiere, komme ich langsam in Stimmung. Frage mich, ob ich einen Anschlussfahrschein für den C-Bereich brauche.

© Clint Lukas

Unterwegs auf Schotterstraßen, die sich Waldeckkarree oder Köppchenseeweg nennen

Am Lübarser Weg steige ich aus. Die nächste Station liegt schon in Brandenburg. Schildow. Da kommt die Hebamme her, die meine Tochter auf die Welt geholt hat. Ich schaue mich um, sehe einen Snack&Back-Imbiss, einen Biker-Laden. Ein Geschäft für Pumpen. Sonst nicht viel. Eine etwa 50-jährige Frau kommt mir entgegen.

„Entschuldigen Sie“, sage ich. „Darf ich fragen, was Sie von dem Wahlergebnis hier halten?“
„Was ist denn damit?“

Zögernd erkläre ich, was ich weiß.

„Wirklich?“, ruft sie. „Das hätte ich nicht gedacht. Wir sind eine SPD-Familie, schon seit Generationen.“
„Warum denken Sie, dass so viele die AfD gewählt haben?“
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Hier gibt’s keine Rechten. Das sind alles alte Leute, die haben andere Sorgen. Und die Jugendlichen hier sind auch sehr nett. Gehen Sie mal da rüber.“ Sie zeigt auf die andere Seite der B96. „In die Kleingartenanlage. Da könnten ein paar Kandidaten dabei sind. Hier bei uns in der Siedlung gibt’s sowas nicht.“

Ich folge ihrem Rat. Auf Schotterstraßen, die sich Waldeckkarree oder Köppchenseeweg nennen, streife ich durch die Anlage. Als Fremder spüre ich die Augen hinter den Gardinen beinahe körperlich. Aber niemand lässt sich blicken. Bis ich einen Mann treffe, der mit einer Laubsäge an seiner Hecke hantiert.

© Clint Lukas

Auf meine Frage, wie er sich das Wahlergebnis erklärt, reagiert er schockiert: „Wat? So viele? Ick hab noch gar nicht inne Zeitung jekiekt.“
„Was haben sie denn gewählt?“
„CDU. Mach ick schon immer. Gehn Se ma lieber rüber in die Stadtrandsiedlung. Da würd ick eher 'n paar Rechte vermuten.“
„Lustig“, sag ich. „Das haben die drüben auch gesagt.“

Der Mann lacht.

„Naja, det war schon immer so ’ne Rivalität. Die Siedlungen wurden beide 1932 gegründet. Aber die auf der anderen Seite haben als Starthilfe 'nen Apfelbaum und ein Kaninchen gekriegt. Die haben sich schon immer für wat besseres gehalten. Waren auch eher NSDAP nahe damals. Wie dit heute is, kann ick ihnen nich sagen.“

Ich gehe weiter, entdecke einen alten Knaben im Blaumann, der an den Zaun kommen muss, um mich zu verstehen.

„Nee, ich hab SPD gewählt“, sagt er. „Bin ja Arbeiter.“
„Warum denken Sie, sind hier so viele unzufrieden?“
„Na, wegen der Politik, nich?“

Lächelnd tippelt er zurück zu seinen Zucchinis. Na gut, denke ich. Zwei SPD-Wähler hab ich jetzt schon gefunden. Dann können es ja nur noch 58 weitere sein.

Kucken Sie doch, was die Merkel da macht. Immer nur sagen wir schaffen das. Wir schaffen das eben nicht!

Zurück auf der anderen Seite der Bundesstraße sehe ich eine Frau, die gerade die Fensterbänke ihres weißen Hauses mit einem Handbesen abfegt. Als ich ihr die gleiche Frage wie allen anderen stelle, stemmt sie die Hände in die Hüften.

„Das ist ja kein Wunder!“, ruft sie. „Kucken Sie doch, was die Merkel da macht. Immer nur sagen WIR SCHAFFEN DAS. Wir schaffen das eben nicht! Ich bin ja damals selbst als Flüchtling hierher gekommen aus Westpreußen. Uns haben auch alle schief angeschaut. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber die, die da jetzt kommen, halten doch nur die Hand auf. So geht’s doch nicht!“
„Moment“, sag ich. „Sie haben selbst erlebt, wie es als Geflüchtete war. Und trotzdem sind Sie jetzt dagegen, den Leuten zu helfen?“
„Wir haben doch auch nix gekriegt!“
„Haben Sie AfD gewählt?“
„Nein, sowas würde ich nicht machen. Aber ich kann verstehen, dass viele keinen anderen Ausweg sehen.“

An der Kreuzung Kartoffelsteig/Birnbaumring bleibe ich kurz im Schatten stehen, um mir Notizen zu machen. Dabei bemerke ich einen Mann um die 30, der mich aus seinem Garten anstarrt.

„Hallo!“, ruf ich. Er kommt langsam näher. „Haben Sie eine Idee, warum hier so viele Menschen AfD gewählt haben?“
„Vielleicht fühlt man sich nicht mehr sicher.“
„Wieso nicht?“
„Es gab viele Einbrüche in letzter Zeit. In Schildow wurden Flüchtlinge mit geklauten Sachen gesehen. Aber wenn man das der Polizei sagt, heißt es gleich, man wäre rassistisch.“
„Haben Sie AfD gewählt?“
„Jaa“, sagt er gedehnt. „Hab ich. Eigentlich interessier' ich mich nicht so für Politik. Aber ich find’s gut, dass die sich für mehr Parkplätze in der Innenstadt einsetzen. Und mehr Lehrer an den Schulen sind auch gut.“
„Was dagegen, wenn ich ein Foto mache?“
„Nein, lieber nicht.“

Das sind doch hier alles Alte. Die müssten’s doch eigentlich besser wissen.

Im Haus nebenan sind zwei Männer auf unser Gespräch aufmerksam geworden und warten bereits auf mich.

„Bevor du fragst: Ja, wir haben auch AfD gewählt.“
„Und warum?“
„Wir sind nicht rechts oder so. Aber es stimmt schon, viele Muslime haben was gegen Schwule. Wir haben uns so mühsam unsere Freiheiten erkämpft. Das sollen die uns jetzt nicht wegnehmen.“
„Aber die AfD tut auch nichts für eure Freiheiten.“
„Das stimmt nicht.“

Ich ziehe das Pankower Wahlprogramm aus der Tasche und zeige ihnen die Stelle: „Eine Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe, insbesondere beim Adoptionsrecht, lehnen wir ab.“
„Naja, wir wollen eh kein Kind adoptieren.“

© Clint Lukas

Zunehmend ratlos gehe ich weiter. Vor der Hausnummer 88 entsorgt ein Mann mit Glatze gerade Papiermüll. Sein Hund fängt an zu bellen.

„Was halten Sie von dem Wahlergebnis?“, frag ich.
„Wieso? Was ist damit? Ich hab noch gar nicht im Netz geschaut.“

Ich berichte ihm kurz, woraufhin er die Hand vor den Mund hält.

„Das ist ja schlimm“, sagt er. „In meinem Haus wählen alle Links. 37 Prozent AfD? Das sind doch hier alles Alte. Die müssten’s doch eigentlich besser wissen.“
„Ein Nachbar meinte, hier hätte es vor Kurzem Einbrüche gegeben.“
„Ja und? Hier hat’s schon immer Einbrüche gegeben. Und das sollen jetzt die Flüchtlinge gewesen sein?“
„Er meinte, in Schildow gibt’s eine Unterkunft.“
„So ein Quatsch. Das war nur für vier Wochen. Und die durften ihre Turnhalle nicht verlassen. Das ist doch alles zum Kotzen.“

Überall Hecken und Zäune, an jedem Tor ein Schild: Achtung bissiger Hund.

Zwei Straßen weiter scheuche ich ein altes Ehepaar von der Gartenarbeit hoch.

„Wir haben’s schon gehört“, sagt der Mann. „Aber wir sind gestern erst aus'm Urlaub zurück. Ich sag Ihnen was. Egal, wo wir gerade hinkommen, alle sind mit der Politik unzufrieden. Und jetzt setzen die uns hier auf die Elisabeth-Aue-Unterkünfte für’n paar Tausend Flüchtlinge. Da wurde keiner gefragt.“

Er erhebt seine Stimme. „Aber deswegen wähl ich doch nicht AfD. Für mich ist das alles Nazi-Kruppzeug! Ich weiß nicht, wie Sie das sehen.“
„Geht mir genauso.“
„Naja. Aber trotzdem sind die Leute hier sauer. Sind auch viele frühere Nichtwähler, die jetzt zur AfD gerannt sind.“

Zurück in der Kleingartenanlage treffe ich auf den Mann mit der roten Latzhose. Er klärt mich über die Unterdrückung der Rechten in Deutschland auf. Ein paar Leute mit ähnlicher Meinung folgen.

„Die Merkel baut doch nur Mist!“, rufen sie.
„Und glauben Sie, dass die AfD es besser machen wird?“
„Ein Versuch ist es wert.“

Überall Hecken und Zäune, an jedem Tor ein Schild: ACHTUNG BISSIGER HUND. Eine alte Frau schließt ihr Tor, während sie mit mir redet.

„Das sind doch alles junge Männer, die da kommen“, sagt sie. „Warum kämpfen die nicht für ihr Land?“
„Ich weiß nicht. Wenn ich an eine Front müsste, an der ich zu 95% sterben werde, würde ich vielleicht auch eher die Kurve kratzen.“
„Das stimmt schon. Aber trotzdem...“

Ich bemerke, dass auf einer der Straßen plötzlich sehr viele Autos fahren. Als ich ihr folge, komme ich zu einem Kindergarten. Es ist vier Uhr und offenbar Abholzeit. Die Betreuerin, die ich anspreche, ist die erste Person, die mir heute zur Begrüßung die Hand gibt.

© Clint Lukas

„Wir kriegen hier kaum was mit von der Siedlung“, sagt sie. „Die Kinder kommen alle aus der Innenstadt. Pankow, Mitte. Es waren zwar auch mal Eltern aus der Siedlung hier, aber die halten nicht viel von dem Modell Wald-Kindergarten.“
„Also kennen Sie gar niemanden aus der Siedlung?“
„Nur den Bauern von nebenan. Der lässt seine Schafe bei uns weiden. Aber sonst keinen. Man grüßt sich gerade so. Und auch das nicht immer. Ehrlich gesagt, überrascht mich das Wahlergebnis nicht besonders.“

Auf dem Weg zurück zur Bushaltestelle treffe ich die Frau nochmal, die ich als erste befragt habe. Sie ist inzwischen auch in ihrem Garten zugange.

„Und haben Sie ein paar Leute gefunden?“, fragt sie.
„Ja. Und viel Unzufriedenheit. Geht nur jeder anders damit um.“
„Wir sind hier nicht unzufrieden. Hat doch jeder alles, was er braucht. Und ich sag Ihnen was: Das mit der AfD legt sich auch wieder.“

Naja, es sind ja nicht alle rechts, die AfD wählen, oder?

„Schön. Aber bis dahin sind Sie für die Medien jetzt der Berliner Nazi-Bezirk Nummer eins. Ob Sie wollen oder nicht.“
„Naja, es sind ja nicht alle rechts, die AfD wählen, oder?“
„Ich würde sagen, spätestens wenn man die AfD wählt, wird man rechts.“

Die Frau schneidet unbeirrt ihre Hecke weiter. Sie ist mir nicht unsympathisch. Eigentlich mochte ich die meisten Menschen an diesem Tag. Wenn man sich mit ihnen auseinander setzt, kann man beinahe jeden verstehen. Ich bin gespannt, wie die 154 Protestwähler in ein, zwei Jahren über ihre Entscheidung denken. Wenn die AfD-Stadträte den Karren so richtig an die Wand gefahren haben. Dann schießt bestimmt die nächste Protestpartei aus dem Boden. Und das lustige Spiel geht wieder von vorn los.

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