Lebensmittelproduktion mitten in der Stadt – Nikolaus Driessen über die Pläne der Markthalle Neun

© Hannah Bahl

Der Kik Disocunter in der Markthalle Neun ist verschwunden, der Streetfood Thursday brummt am Donnerstag wie eh und je, die Kantine hat mit den Jungs von Bone seit dieser Woche einen neuen Betreiber, das Kaffee Neun wird gerade vergrößert und die dritte Ausgabe des Stadt, Land, Food Festivals im Oktober steht auch noch an. Außerdem schwirren Gerüchte um eine Expansion in den Victoria Speicher als neuen Produktionsort der Markthalle herum. Es läuft also gut für die Markthalle Neun.

Nikolaus Driessen, einer der Gründer und Betreiber der Markthalle, hat gerade so einige Pläne in petto, um die Berliner Lebensmittellandschaft durcheinander zu wirbeln. Höchste Zeit, sich das mal genauer anzuschauen. Wir haben uns mit ihm auf einen schnellen Kaffee getroffen.

Der Kik Textildiscounter ist endlich aus der Markthalle verschwunden und plötzlich gibt es jede Menge neuen Freiraum. Was habt ihr vor?
Erstmal freuen wir uns über die Fläche, so dass wir den Markt jetzt kleinteilig weiterentwickeln können. Wir stehen zum Beispiel in Kontakt mit einer Indoor-Farm, das wäre irgendwie spektakulär. Wir haben die Nutzungsbedingung, dass wir maximal einen Discounter drin lassen dürfen – zwei Discounter wären langfristig also nicht möglich gewesen – und Aldi ist schon auch wichtig für uns. Wir haben uns ja auf die Fahnen geschrieben, integrativ zu sein und freuen uns deshalb über die Leute, die bei Aldi einkaufen und dann durch die Gelegenheit oder einen Zufall mit unseren Marktständen in Kontakt kommen.

© Hannah Bahl

Habt ihr schon neue Stände im Kopf, die die Fläche bespielen sollen?
Es geht weniger darum, die Fläche voll zu machen und zu vermieten, sondern es geht darum, die wenigen, spannenden, richtig guten Lebensmittelhandwerker zu bündeln und denen einen Raum zu geben. Wir halten die Fläche jetzt also erstmal als Spielraum ohne feste Stände frei, nachdem im Rest der Halle ja viel fest installiert wurde. Aber wir suchen immer Leute, die Lust auf Lebensmittel-Handwerk und Produktion haben und etwas starten wollen. Im Keller haben wir auch noch Kapazitäten für Produktion, unten wird ja schon Bier gebraut, die Tofu Tussis produzieren dort. Die Produktionsfläche im Keller ist nochmal genauso groß wie die Handelsfläche hier oben.

In letzter Zeit machen immer wieder Gerüchte die Runde, dass ihr den Victoria-Speicher in der Köpenicker Straße in einen Lebensmittelproduktionsort verwandeln wollt. Was sind da eure Pläne?
Es gibt eine Bewegung in Berlin, die im Foodbereich und Lebensmittelbereich viel verändern will. Das kommt ganz einfach daher, dass in Berlin sehr viele spannende internationale Menschen leben, die hier etwas anderes mit ihrem Leben machen wollen. Angefangen mit den Brauereien und Röstereien, die aufmachen. Es gibt aber auch im Schokoladen- oder Süßwarenbereich tolle Projekte. Diese Leute suchen jetzt Produktionsflächen. Wir finden, dass man diese Menschen an einem Ort zusammenbringen sollte. Denn sonst kann es passieren, dass die sich irgendwo in der Stadt verteilen – und das wäre schade. Wir wollen den Victoria-Speicher als Produktionsort in Berlin etablieren und eine neue Sichtbarkeit für Lebensmittelproduktion in der Stadt schaffen.

© Hannah Bahl

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den Speicher zu entwickeln?
Genau wie bei der Markthalle, war das erstmal eine wilde Idee, die seit drei Jahren immer konkreter wird. Wir sind überzeugt, dass diese Dinge in der Stadt passieren müssen! Beispiel Fleisch zerlegen: Das passiert gerade vor den Toren der Stadt, in irgendwelchen Schuhkartons ohne Fenster. Dann wird das Fleisch da abgepackt und im Supermarkt ausgelegt. Wir wollen aber transparente Lebensmittelproduktion, wie auch hier in der Markthalle. Das Kumpel und Keule etwa, das vor den Augen der Besucher das Fleisch in der Metzgerei zerlegt, führt nicht dazu, dass uns die Veganer die Hütte kaputt machen, sondern im Gegenteil, es ist für alle Beteiligten wertvoll und hilfreich. Es zeigt, wie Lebensmittel entstehen. Es geht uns auch um eine Wiederbelebung des Handwerks. Unser Metzger kann sich nicht retten vor Bewerbungen, aber an vielen Orten sieht das anders aus. Da wäre so ein Arbeitsplatz wie der Victoria-Speicher in der Stadt einfach sehr wichtig, um das Thema Nachwuchs im Handwerk mal weiter nach vorne zu bringen. Außerdem haben wir hier in der Halle auch Leute wie unseren Bäcker Sironi, die wachsen und aus allen Nähten platzen und mehr Raum brauchen.

Wie realistisch ist das Projekt aus eurer Sicht?
Hättest du uns damals mit bei der Markthalle gefragt „Wie realistisch ist das mit eurem Projekt?“, hätten wir immer idealistisch gesagt, dass das sehr realistisch ist. Jeder andere hätte wahrscheinlich „no chance“ gerufen. Ich glaube, das ist eigentlich immer so bei Projekten, die es noch nicht gibt. Auf den ersten Blick gibt es immer tausend Gründe, warum das nicht funktioniert. Deshalb müssen wir jetzt alle gemeinsam daran glauben und beharrlich sein.

Wir sind jetzt seit über drei Jahren mit der Stadt im Gespräch und haben mit dem Victoria Speicher in der Köpenicker Straße ein perfektes Gebäude identifiziert, über das wir jetzt verhandeln. Das war einst ein Kornspeicher, hat also eine Lebensmitteltradition. Das Grundstück gehört der Stadt und ist Industriefläche, da kann man von vornherein anders planen. Wir haben jetzt mit allen Beteiligten auf politischer Ebene gesprochen und eigentlichen hätte die Entscheidung für das Projekt schon am besten gestern fallen müssen, weil sich alle positiv dafür ausgesprochen haben. Jeder in der Stadtentwicklung träumt von dieser Kreuzberger Mischung, bei der es keine reinen Wohn- und Produktionssilos mehr gibt, sondern eine gute Mischung aus Leben und Arbeiten und trotzdem passiert gerade nichts.

Woran liegt das?
Das Problem ist, dass das Gelände der Senatswirtschaftsverwaltung untergeordnet ist, die das gesamte Gelände (es geht ja nicht nur um den Speicher) entwickeln möchte. Dazu braucht es einen Gesamtentwicklungsplan, in dem auch unser Projekt enthalten ist. Dieser Plan soll mit 4 bis 5 Großinvestoren geplant werden. Wir würden gerne mit der Stadt eine Vorfestlegung für die Nutzung und Bewirtschaftung des Victoria Speichers abschließen, die unabhängig von den Gesamtentwicklungsplänen funktioniert, sodass wir nicht mehr warten müssen. Wenn das klappt, könnten wir mit der Umsetzung beginnen. Dazu hat sich die Stadt leider bis jetzt nicht geäußert, wir rechnen aber eigentlich jeden Tag damit.

Ihr von der Markthalle wollt ja immer auch ein bisschen die Welt und Berlin verändern. Wird man dabei nicht irgendwann müde?
Doch, natürlich wird man irgendwann müde. Aber der Prozess ist vergleichbar mit dem Beginn der Markthalle, nur dass wir jetzt nach 5 Jahren gezeigt haben, was wir können. Ich glaube, das ist einfach richtig und wichtig, was wir hier machen! Wenn wir das mit dem Victoria-Speicher nicht hinkriegen, ist halt wieder eine Chance vertan, zu zeigen, wie man auch anders Lebensmittel produzieren kann. Hier gibt es ein unglaubliches Potenzial, auch in Kombination mit dem Brandenburger Umland, wie sich Stadt und Land gegenseitig gut tun können. Berlin ist ja der größte Biomarkt Europas. Jetzt zu sagen, die Entwicklung passiert nicht nur auf dem Land, sondern kommt auch aus der Stadt heraus, wäre toll.

Im Vergleich zu New York haben wir hier auch gerade noch Raum. Deshalb ist die Berliner Politik jetzt gefragt, eine Entscheidung zu treffen. Das ist eine echte Chance für Berlin, nicht mehr arm und sexy, sondern hungrig und sexy zu sein.

Vielen Dank!

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