Lasst mich mit eurem elitären Frühstücksgetue in Ruhe!

Eigelb läuft wie Lava über die dunkelbraune Kruste meiner Sauerteigscheibe. 9 Euro 70, gönn dir. Mit aufgestütztem Ellenbogen und meinem in die hohle Hand gelegtem Kinn starre ich benommen auf dieses lukullische Schauspiel, bis sich ein gelber, krustiger Rand auf dem weichen Inneren dieser Teigextravaganz bildet. Manch einer würde das, was hier aufgeführt wird, Frühstück nennen. Ich empfinde es als Tanz auf dem Vulkan. Sonntagmorgens um halb zehn, eigentlich ist es 12, in Berlin: Die gleichen Fressen, die man unter der Woche, an ihren Rohkostschalen knabbernd, im Daluma – "die Tomatenpaste muss kalt sein, sonst sterben die Vitamine" – sieht, fressen sich wochenends wie untergewichtige Raupen Nimmersatt durch ein Schlaraffenland südkalifornischer Frühstückskultur. Hauptsache poached.

Während von Montag bis Freitag eiserner Verzicht geübt, den Friedrichshain auf und ab gejoggt wird, frönt und labt man sich sonntags durch den von Bloggern empfohlenen Carb- und Cholesterinhimmel. Leider nicht in Newport, dafür aber in Neukölln. Denkt man sich Scheiße und Zigarettenstummel auf der Sonnenallee weg, wird die Realität erträglich. Wir schaffen uns elitäre Mikrokosmen, die rein gar nichts mit der harten Realität zu tun haben, die nur wenige Meter außerhalb der Avocado-Arroganz stattfindet. Mindestlohn? Bandenkriminalität? Übergewicht? 9 Euro 70 für zwei Scheiben Brot. Weil wir es uns wert sind.

9 Euro 70 für zwei Scheiben Brot. Ich sehne mich nach pappigem Schokocroissant von der Aral-Tankstelle

 

45 Minuten. So lange brauchte unsere neofeministische WhatsApp-Gruppe, um sich mehr oder minder demokratisch für eines der vom Hype geküssten Cafés zu entscheiden. Die Kriterien: Hübsch muss es sein, kochen muss es können, Platz muss es haben. 90 Minuten später sitzen wir, eingerahmt von einer sich vor Euphorie überschlagenden, schwedischen Touristengruppe, an einem wackelnden Holztisch. Man nickt höflich-distanziert in die Richtung eines Typen, mit dem man irgendwann mal geknutscht hat. Natürlich erwidert er deinen Anflug minimaler Zwischenmenschlichkeit nicht. Wieso auch? Er ist schließlich Soho-House-Founding-Member. Noch Fragen? Daher versteckst du dich hinter der Speisekarte, die euch ein Kellner/Yogalehrer/Theaterschauspieler in die Runde geworfen hat. Die Karte, wie auch alles andere hier, spricht Englisch. Empören über Anglizismen ist leider total Neunzehnhundert-Deine-Mutter.

Meiner Freundin Nora läuft Speckfett über ihre schmatzenden Lippen. Foodporn, nennt man das. Ich jedoch kann nicht essen, ist zu perfekt, um an meinem Zäpfchen kitzeln zu dürfen. Schiele gestresst auf die benachbarten Teller. Auch auf die, die nicht zu unserem Tisch gehören. Habe ich das Falsche bestellt? Wahrscheinlich. Man nennt es "fomo": fear of missing out. Klingt besser als "Lückenpanik". Oder so. Pancakes, Granola, essbare Blüten – da mach ich nicht mit -, Huevos Rancheros, Blaubeerscones. Momentan schmecke ich bloß den kalten Angstschweiß auf meiner Oberlippe. Es ist wie Instagram in 4-D, sehne mich nach pappigem Schokocroissant von der Aral-Tankstelle. Akute Reizüberflutung betäubt meinen knurrenden Magen.

 

erliner Lässigkeit hört dort auf, wo hochstilisiertes Essen beginnt.

Machen wir es uns schön, weil alles andere so hässlich ist? Schön sind hier alle. Wenngleich man sie nicht wirklich auseinanderhalten kann. Ist das nicht die? Egal. Der beste Foodtruck, der beste Burger, die beste Pizza. Die vermeintliche Berliner Lässigkeit, eigentlich ignorantes Laissez-faire, hört dort auf, wo hochstilisiertes Essen beginnt: Zeig mir wo du isst, und ich sag dir, wer du bist.

Jemand bestellt Ingwer-Shots. Würge mir einen runter, lasse ihn brennen. Ist schließlich bezahlt. Nur 4 Euro 80.

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