Ist Dating ohne Chatten heutzutage noch möglich?

© Michael Ramey | Unsplash

Mein Smartphone blinkt. Ich habe eine der unzähligen Nachrichten bekommen, die mich täglich erreichen. Ich werde gefragt, wie mein Wochenend-Ausflug war. Ich habe gerade keine Lust zu tippen. Ich schicke Fotos. Und einen Smiley. Fertig.
Plötzlich frage ich mich: Wie konnte das passieren? Ich, die es liebt Geschichten zu erzählen, die immer großen Wert darauf legt, aus jeder kleinen Anekdote ein Abenteuer zu machen und dabei kein Detail zu vergessen – ich also habe keine Lust zu kommunizieren? Ich schicke nur Bilder und einen Smiley? Was ist passiert?

Texten suggeriert uns Nähe und Vertrautheit

Meine Art der Kommunikation hat sich komplett verändert. Ich habe das Gefühl, viele meiner Freundschaften existieren nur noch über Nachrichten, weil ich viel Zeit mit Texten verbringe. Ich liebe es und hasse es gleichzeitig. Es ist das perfekte Instrument um Menschen, die mir wichtig sind, an meinem Leben teilhaben zu lassen. So suggerieren wir Nähe und Vertrautheit. Aber kann virtuelle Nähe das reale Beisammensein ersetzen?

Meine Lust am Geschichtenerzählen hat vom permanenten Kommunikationsdrang einen Knacks bekommen.

Ich bin unendlich froh, meine liebsten Menschen ständig und überall erreichen zu können und mit ihnen meine Gedanken teilen zu können. Gleichzeitig hasse ich es zutiefst. Ich fühle mich überfordert und unter Druck gesetzt vom Gefühl zügig antworten zu müssen. Mir ist klar, dass ich mir diesen Druck zu einem großen Teil selbst mache und das Beantworten auch einfach mal warten kann. Trotzdem fällt es mir teilweise schwer, dieses Pflichtgefühl auszuschalten oder zumindest zu ignorieren. Meine Lust am Geschichtenerzählen hat vom permanenten Kommunikationsdrang einen Knacks bekommen.

Vom Entschleunigen des Kennenlerns

Im Spätsommer finde ich mich auf diesem wirklich tollen Date wieder. Wir hatten im Vorfeld ein bisschen geschrieben, aber dabei ging es in erster Linie darum, ein Treffen zu vereinbaren. Flirten via Nachricht ist meine Paradedisziplin. Ich liebe es, raffinierte, ausgefallene Nachrichten zu verfassen und den Adressaten so zum Lachen zu bringen.

Ich sitze also in diesem Ruderboot, die Sonne glitzert auf der Wasseroberfläche und mein Date rudert mich über den See. Wie in einer ekelhaft romantischen Komödie, denen ich prinzipiell sehr selten irgendetwas abgewinnen kann. Ich bin nicht sicher, ob es ein Überdruss an Verpflichtung ist oder die romantische Stimmung, die mein Hirn vernebelt: Plötzlich frage ich ihn: „Was hälst du davon, wenn wir nicht whatsappen?!“

Vielleicht habe ich gehofft, die Romantik zu konservieren. Viellicht war mein Wunsch, das Kennenlernen mit ihm zu entschleunigen. Vielleicht wollte ich einfach mal etwas ganz anders machen. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, so den Verlauf des Kennenlernens in eine völlig neue Richtung zu bewegen. Ganz genau kann ich es jetzt nicht mehr sagen.

Er muss nicht lange überlegen. Er schlägt ein. Wir haben einen Deal!

Wir haben einen Deal

Nur wenige Minuten nachdem wir uns verabschiedet haben, setzen die ersten Entzugserscheinungen ein. Ich möchte einen ausgeklügelten Text schreiben, ihm spielerisch mitteilen, wie schön ich unser Date fand, ihn vielleicht sogar schon nach einem zweiten Treffen fragen...

Ich lege mir die Worte zurecht. Und schreibe ihm nicht. Wir haben einen Deal. Ich fühle mich ein bisschen hilflos. Wie kann ich ihm denn zeigen, dass ich ihn toll finde? Ich entscheide, am Abend des nächsten Tages anzurufen.

Noch am selben Abend bin ich leicht betrunken und völlig euphorisiert, weil ich einem Freund von der schönen Begegnung am Nachmittag erzählt habe. Ich greife zum Smartphone und rufe einfach an. Ich bin völlig zitterig. Mein Bauch kribbelt wie verrückt. Die Sekunden des Verbindungsaufbaus verstreichen zäh und quälend langsam. Das Handy ist aus; Mailbox. Ich lege auf.

Das ist blöd. Die Denkmaschine springt kurz an: Warum ist sein Handy aus? Dafür gibt es viele logische Gründe, die rein gar nichts mit mir zu tun haben. Fertig. Der Gedankengang ist fertig. Ich bin verblüfft. Zwei blaue Häkchen und keine Antwort lassen deutlich mehr Spielraum für Interpretation und blöde Gedankenspiele. Unser Deal hat der Denkmaschine den Saft abgedreht. Sie stottert nur noch und hört auf zu rotieren.

Zwei blaue Häkchen und keine Antwort lassen deutlich mehr Spielraum für Interpretation und blöde Gedankenspiele.

Er ruft am nächsten Nachmittag zurück. Mein Herz pocht. Wir quatschen kurz. Nur fünf Minuten. Wir sind beide unterwegs. Aber es ist genug Zeit, uns zu sagen, was für eine schöne Zeit wir zusammen hatten und dass wir uns sehr gerne wieder sehen möchten. Fünf Minuten Hochgefühl. Intensiver als jede Nachricht. Aber eben auch nur fünf Minuten.

Kein tägliches Hin- und Herschreiben. Keine Bilder oder Selfies. Keine virtuellen Gute-Nacht-Küsse.

Ich werde jetzt also einen völlig fremden Menschen kennenlernen, ihm näher kommen, mich vielleicht in ihn verlieben, OHNE, dass wir uns texten, chatten oder whatsappen. Kein tägliches Hin- und Herschreiben. Kein sehnliches Warten auf die Antwort. Keine süßen „Ich denke gerade an dich“-Nachrichten. Keine Missverständnisse, weil Humor schriftlich oft schlecht funktioniert. Keine Bilder oder Selfies. Kein Checken, wann der andere zuletzt online war und ob er die Nachrichten schon gelesen hat. Keine virtuellen Gute-Nacht-Küsse. Sondern richtig oldschool telefonieren und sich verabreden. Mit festem Ort und fester Zeit.

Die nächsten drei Wochen genieße ich die Gewissheit, dass wir uns wirklich mögen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Wahrscheinlich weil sich gegenseitig anrufen in der heutigen Zeit etwas ganz Besonderes ist, Mut kostet und man es nur macht, wenn man der Meinung ist, dass es sich lohnt. Damit erübrigen sich viele der gängigen Interessant-Mach-Spielchen. Und das fühlt sich unwahrscheinlich gut an.

Brauchen wir den täglichen Austausch von schönen Banalitäten, Bildern, Links und Songs, um Vertrautheit aufzubauen und zueinander zu finden?

Ich lerne ihn nur sehr langsam kennen, dafür aber immer gleich in großen Portionen. Das ist extrem ungewohnt. Ich frage mich, ob wir mit unserer Vereinbarung viele kleine, schöne und spannende Zwischenstufen im Kennenlernprozess überspringen. Brauchen wir den täglichen Austausch von schönen Banalitäten, Bildern, Links und Songs via Messenger vielleicht sogar, um Vertrautheit aufzubauen und zueinander zu finden? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich mich extrem freue, ihn zu treffen oder mit ihm zu telefonieren, weil ich dann alle kleinen Geschichten und Anekdoten der vergangenen Tage in ihrer vollen Schönheit erzählen kann und ich mir dabei nie denke: „Ach Mist, da muss ich ja jetzt auch noch antworten!“

Zurück zur Startseite