Ich habe einen Kokser alles gefragt, was ich schon immer übers Koksen wissen wollte
Im Berliner Nachtleben scheint es nur zwei Arten von Partymenschen zu geben: Die, die koksen, und die, die es nicht tun. Und beide Seiten schauen etwas herablassend aufeinander. Die Verklemmten hier, die Abhängigen da. Darüber zu sprechen ist Tabu und darum hat Kokain an sich auch immer etwas Mystisches.
Ich habe noch nie gekokst und gehöre auch eher zu den militanten Nicht-Koksern. Das könnte daran liegen, dass ich bis 28 gar nicht gemerkt habe, das Ectasy, Speed und Koks in meinem Freundeskreis eine Rolle spielen. Ein Freund hat mir damals ein Päckchen Koks zugesteckt: "Hier, falls du mal probieren willst. Dich fragt ja sowieso niemand." Plötzlich habe ich verstanden, warum ich zu manchen Abenden nicht eingeladen wurde, warum sich auf Partys Grüppchen bilden, warum manche Freunde einfach anders drauf sind – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich habe meinen Freund Paul angerufen. Ich wollte wissen warum er kokst, wie das mit der Beschaffung funktioniert und warum man dafür auf Toilette gehen muss. Paul hat seinen Drogenkonsum nämlich nie vor irgendjemandem verheimlicht und war immer extrem offen. Paul macht irgendwas mit Medien, heißt natürlich ganz anders und hat mich besucht, um meine Fragen zu beantworten.
Wann hast du das letzte Mal gekokst?
Auf der Fashion-Week-Party vom ZEIT Magazin.
Warum?
Weil ich auf Partys oder zu besonderen Anlässen sehr gern Kokain nehme. Wenn ich das tue, was man Ausgehen nennt, dann finde ich, dass Kokain nehmen, eine Option ist. Genauso wie Alkohol zu trinken oder auch kein Alkohol zu trinken und nicht zu koksen.
Wie oft kokst du?
Im Durchschnitt zwei bis drei Abende die Woche.
Das bedeutet, dass du quasi auf jeder Veranstaltung kokst?
Jein, ich kokse nur, wenn ich es mir erlauben kann. Ich nehme kein Kokain und betrinke mich auch nicht, wenn ich weiß, dass ich am nächsten Morgen einen Termine habe und eine Außenwirkung haben muss.
Was macht Koks mit dir?
Drogen machen eigentlich gar nichts, was du gar nicht in dir hast. Es ist nur eine Art Abkürzung dahin. Ich glaube, du kannst alle Bewusstseinszustände auch ohne Drogen erreichen, ob durch Meditieren, Yoga, Laufen oder Musik machen. Drogen sind einfacher, um zu dem Zustand zu kommen. Man sagt ja immer, dass Leute, die koksen, wahnsinnig viel ficken und ganz selbstbewusst werden. Mich hat das nie interessiert. Mir ermöglicht Kokain am Ende nicht mehr Reden zu müssen oder nicht mehr reden zu können. Es befreit mich vom Teilnehmen müssen, es ermöglicht mir auf meine komplette Umwelt zu schauen, ohne Teil davon zu sein. Ich kann raustreten. Das gelingt aber erst am Ende, wenn ich wirklich viel genommen habe.
Du nimmst also Koks, um bestenfalls zu diesem losgelösten Ende zu kommen?
Ich fand ganz lange den Tag danach viel interessanter. Das Aufwachen, wenn sich das Denken und Empfinden so anfühlt, als ob man etwas zu lange auf einer Hautstelle gerieben hat. Dann ist es rot und empfindlich. Die Sensorik ist ganz anders. Man läuft durch Berlin und weint plötzlich, weil man sieht, wie traurig die Verkäuferin bei Kaisers ist.
Wenn du drei mal die Woche kokst, dann hast du doch die Hälfte der Woche einen wahnsinnigen Kater?
Es ist ein Irrtum, dass man denkt, dass das vom Koksen kommt. Ich habe festgestellt, wenn ich kokse und einfach nur Wasser trinke, dann ist bei mir am nächsten Tag alles okay. Der schlimme Kater kommt von Mischkonsum mit Alkohol. Wenn man kokst, kann man wahnsinnig viel trinken, weil der Körper das anders abbaut.
Es befreit mich vom Teilnehmen müssen, es ermöglicht mir auf meine komplette Umwelt zu schauen, ohne Teil davon zu sein.
Wann hast es zum ersten Mal probiert?
Als ich 2008 nach Berlin gezogen bin, kannte ich Kokain nur als Idee. Drogen haben mich immer wahnsinnig interessiert, doch in meiner Heimat gab es nur Speed und Crystal. Vor meiner Einweihungsparty haben ein Freund und ich beschlossen, Kokain zu kaufen. Ich bin dann die ganze Oranienburger Straße rauf und runter und von Nutte zu Nutte gegangen und habe höflich gefragt, ob sie mir hier helfen könnten. Die waren total nett, aber wussten angeblich nichts. Dann bin ich zum Tacheles und habe – es hört sich total bescheuert an – den einzigen Schwarzen vor der Tür ganz höflich gefragt. Und der hat mir was besorgt. Aus heutiger Sicht kann ich aber auch nicht mehr sagen, ob das wirklich Kokain war.
Wie ging es weiter?
Über einen Job habe ich eine Stylistin kennengelernt. Die hat mich zu einer Party eingeladen. An dem Abend erzählte sie, dass sie eine Nummer hat, wo man anrufen kann, um Kokain zu bestellen. Sie bat mich, das zu machen.
Und dann ruft man an und sagt: "Guten Tag, mein Name ist Paul, ich hätte gern Kokain?"
Nein, natürlich nicht. Man ruft an, es meldet sich einer und fragt: "Na Großer, alles klar?" Dann sagt man, wo man ist, und innerhalb von 30 Minuten kommt jemand vorbei und ruft wieder an. Dann geht man raus und steigt in sein Auto. Aus der Mittelkonsole holt der Dealer Socken mit kleinen Plastikdingern drin, wie man sie in der Apotheke bekommt. Da ist eine Einheit drin – ich nehme an, das ist ein Gramm. Dafür zahlt man in Berlin 50 Euro.
Hast du einen Dealer des Vertrauens?
Ja, das hat sich so ergeben. Bei einem hatte ich das Gefühl, dass sowohl das professionelle Auftreten, als auch das Produkt und die Verpackung am besten sind.
Und das ist eine Einzelperson, die das geschäftlich macht?
Nein, das ist vergleichbar mit einem mittelständischem Unternehmen. Die haben eine Telefonzentrale, da ruft man an und die Vermittlung sagt, welcher Fahrer gerade in der Nähe ist und schickt ihn vorbei.
Koks hat ja kein so tolles Marketing wie zum Beispiel Kiffen.
Und was sind das für Typen?
Es ist ein bisschen lustig: Die hören beim Fahren tatsächlich Bushido und Fler und sehen auch so aus. Wenn ich Koksdealer wäre, würde ich mich auf keinen Fall so anziehen und versuchen, eher auszusehen, wie jemand der Schichtleiter bei der Bio Company ist.
Mich hat, bis ich Ende 20 war, nie jemand angesprochen, ob ich was habe oder mitmachen möchte, und seitdem auch nur ein paar Mal. Woran erkennen sich die Kokser untereinander?
Das weiß ich nicht. Bei mir ergibt sich das in Gesprächen, wenn man sich darüber austauscht, was man gern macht. Ich glaube das Kokainkonsumenten selber Angst haben, dass andere denken, sie seien drogensüchtig, nicht emotional oder da stimmt was nicht. Koks hat ja kein so tolles Marketing wie zum Beispiel Kiffen.
Wieso eigentlich dieses auf Toilette gehen, um zu koksen?
Es ist so ein emotionales Pseudogefühl. Weil man ja nur in einer kleinen Gruppe, also einer kleinen verschworenen Gemeinschaft, aufs Klo gehen kann. Es ist halt nach wie vor illegal und irgendwie macht es ja auch einen Reiz aus, etwas "Verbotenes" zu tun. Das Klo ist auch eine Tarnung und ein Schutzort vor Autoritäten, wie zum Beispiel Türsteher. Man kann ja nicht einfach in eine Toilette reintreten.
Im privaten Rahmen ist das ja aber auch so, da ist man auf einem Dinner und dann gehen Grüppchen aufs Klo. Man weiß doch sowieso, was da gemacht wird.
Ja und ich finde das so absurd. Bei einem Freund von mir hat es sich etabliert, dass man in den Wandschrank zum Koksen geht. Vorher redet man in einer riesigen Wohnung noch darüber, wie man die Flüchtlingskrise lösen kann und dass die neue Kollektion von Bobby Colada langweilig ist und dann gehen diese mündigen Leute in einen Wandschrank und verstecken sich voreinander.
Bei einem Freund von mir hat es sich etabliert, dass man in den Wandschrank zum Koksen geht.
Meine Koksfreunde verstecken sich auch vor mir und tun so, als wäre nichts. Ein bisschen so wie früher mit dem Rauchen vor den Eltern. Inzwischen merke ich es aber und finde dieses Anlügen blöd.
Ich glaube, es ist ein generelles Missverständnis von Leuten, dass man davon ausgeht, dass Menschen, die etwas nicht tun, auch aktiv dagegen sind. Fleischesser gehen oft davon aus, dass der vegane Sitznachbar es doof findet, dass man in eine Salami beißt. Ich trinke zum Beispiel auch keine Landliebe Vanille-Milch, aber ich finde Leute auch nicht doof, die das trinken.
Ich verstehe auch gar nicht, warum man bei einem Dinner kokst.
Vor dem Essen macht das auch gar keinen Sinn, aber danach finde ich es eine gute Option, um in den Abend zu starten.
Aber es wird dadurch ja auch nicht unbedingt aufregender. Ich erinnere mich an eine Party, da saßen alle um den Tisch, haben geballert, aber es war total langweilig.
Wie schon gesagt, Drogen machen nichts, was du nicht sowieso in dir hast. Langweilige Menschen bleiben auch langweilige Menschen, wenn sie koksen.
Würdest du sagen, dass du süchtig bist?
Nein. Der Punkt, an dem Sucht einsetzt, ist, wenn man den Konsum von Drogen über wichtige Dinge wie Arbeit stellt und nicht hingeht. Oder Freunde und sich selbst vernachlässigt und anlügt.
Zu den Dingen, die ich gern tue, gehört koksen dazu, aber auch eine Kunstausstellung sehen, im Sommer auf einen Berg steigen, Wurst kaufen, ein Buch lesen, ins Theater gehen oder diese Tapete hier schön finden.
Du nimmst nach meinem Empfinden schon viele Drogen. Beobachtest du an dir irgendwelche geistigen oder körperlichen Veränderungen?
Vor einem Jahr bin ich nachts aufgewacht und hatte höllische Brustschmerzen und habe direkt "Schlaganfall" gegoogelt. Und es hat auch alles gestimmt, aber ich habe mir gesagt, dass das jetzt total lächerlich ist, dass ich mit 26 an einem Herzstillstand sterbe, weil ich Drogen nehme.
Hast du davor Angst?
Ich habe wirklich keine Angst vor dem Tod. Alles, was ich tue, tue ich nicht, weil ich Angst vor etwas habe, sondern weil ich etwas schön finde. Für mich ist ein hohes Lebensalter kein Gradmesser, was nicht heißt, dass ich nicht alt werden will. Das, was ich tue, das muss gut sein. Ich möchte verliebt sein, ich möchte die richtigen Dinge essen und trinken und empfinden. Zu den Dingen, die ich gern tue, gehört koksen dazu, aber auch eine Kunstausstellung sehen, im Sommer auf einen Berg steigen, Wurst kaufen, ein Buch lesen, ins Theater gehen oder diese Tapete hier schön finden. Ich möchte auf nichts davon verzichten.
Vielen Dank.
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Titelbild © Pink Zebra