"Ich bin viel häufiger von günstigem Essen beeindruckt als von teurem Fine Dining" – Interview mit Koch Magnus Nilsson

© Milena Zwerenz

Koch Magnus Nilsson kennen Essensinteressierte spätestens seit er in der Netflix-Serie Chef's Table porträtiert wurde. Gutes Haar, eine Vorliebe für regionale Produkte und sehr an der kulinarischen Geschichte des Nordens interessiert. Sein Restaurant Fäviken liegt irgendwo in Schwedens Einöde, ist dennoch immer gut besucht und unter den 50 besten Restaurants der Welt zu finden. 2015 brachte Magnus "The Nordic Cookbook" auf den Markt, ein Kochbuch, das die nordische Essenskultur in all ihren Facetten zu umfassen versucht – und so schwer ist wie ein kleiner Hirschbraten.

Bevor ich Magnus im The Store im Soho House treffe, bin ich etwas aufgeregt. Kann man mit ihm überhaupt locker über sein Buch sprechen? Erster Eindruck: sympathischer Typ, die Haare enttäuschen auch live nicht. Ob er schon mal in Berlin war? Ja, mit zarten 21 Jahren, als er noch in Paris gekocht hat, ist er am Wochenende immer zum Feiern hierher gefahren. An viel erinnern kann er sich aber nicht mehr. Eine lustige Vorstellung. Während des Interviews merkt man dann aber doch, dieser Herr ist Koch durch und durch – und nimmt seine Sache ernst.

Wer kümmert sich gerade um dein Restaurant, während du unterwegs bist?
Gerade ist bei uns Raufußhühner-Jagdsaison, deshalb ist es diese Woche sowieso geschlossen. Komischerweise haben die Leute aber immer dieses Bild von meinem Restaurant im Kopf, von einem kleinen Häuschen, wo nur ich arbeite. Das stimmt natürlich nicht. Zwar gibt es bei uns gerade mal 24 Plätze, aber es ist immer voll ausgebucht. Wir haben 6000 Gäste im Jahr. Und bei mir arbeiten 40 Leute Vollzeit. Das erste halbe Jahr, war es tatsächlich nur ich, aber mittlerweile ist das Unternehmen gewachsen.

Anlass deiner Reise ist dein neues Kochbuch, das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. Wahrscheinlich eines der größten Kochbücher, das ich je gesehen habe. Erzähl mir ein bisschen davon, wie das Buch entstanden ist. Denn es ist kein Kochbuch, wie man es kennt, oder?
Ja und nein. Die Idee hinter dem Buch ist, die nordische Essenskultur zu dokumentieren. Was die Menschen heutzutage täglich essen, was sie früher gegessen haben und warum. Ich wollte die Rezepte nicht einfach nur abdrucken, sondern die Gerichte auch in einen allgemeinen Kontext setzen. Insgesamt sind 760-irgendwas Rezepte in dem Buch zu finden.

© Milena Zwerenz

Das ist ganz schön viel. Wie sollte man das Buch lesen?
Bestenfalls kocht man daraus. Denn dann verstehen die Leute die nordische Essenskultur besser, auch wann bestimmte Gerichte gegessen werden. Ich glaube, eine der missverstandensten Essenskulturen der Welt ist die nordische Küche. Kaum jemand, sogar in der nördlichen Region, weiß wirklich, wie sie aussieht. Die Leute wissen nicht mal wirklich, welche Länder nordisch sind. Weißt du es?

Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark...
... insgesamt sind es sieben. Åland, eine kleine Insel zwischen Finnland und Schweden, Färöer-Inseln, Island, Grönland. Und dann hast du auch Kulturen ohne Länder, etwa die Ureinwohner Skandinaviens, im Norden Schwedens, Finnlands und Russlands. Ich war überall, das war auch ein wichtiger Teil, um die Rezepte zu sammeln und Fotos zu machen.

Was ist das wohl eigenartigste Rezept im ganzen Buch?
Das kommt wirklich auf die Perspektive an. Das ist auch etwas, das ich feststelle, wenn ich herumreise: Natürlich gibt es in der nordischen Region ganz viele Sachen, die ich noch nicht gesehen habe, aber ob man etwas exotisch oder eigenartig findet, hängt ja letztlich vor allem davon ab, ob man es vorher schon mal gesehen hat. Darum musste ich meine eigene Meinung beim Inhalt des Buches auch stark zurücknehmen. Denn das Buch soll ja repräsentativ sein. Für mich waren die ganzen Seevögel, die sie zum Beispiel auf den Färöer-Inseln essen, etwas Besonderes. Für die Leute dort ist das ganz normal.

Es war auch interessant, zu sehen, dass zum Beispiel die aktuell beliebtesten Gerichte in Schweden noch relativ neu und gerade mal 30-40 Jahre alt sind. Zum Beispiel ein Gericht, das "Taco Quiche" heißt. Ein Meat Pie mit Taco Seasoning, das man mit Salsa und Nachos isst. Anfang der 90er kam sie zum ersten Mal auf, das kann man ganz gut zurückverfolgen. Da stellt sich natürlich auch die Frage, was regionale Spezialitäten, was Teil der Essenskultur ist.

Welches Rezept aus deinem Buch würdest du kochen, wenn deine Eltern zu Besuch kommen?
Puh, keine Ahnung. Das hängt total von der Jahreszeit und dem Anlass ab. In unserer Familie essen alle gern Gemüse. Aber ich würde jetzt nicht zwangsläufig ein Rezept aus dem Buch kochen, denn es ist ja kein Buch, das mit meinen Rezepten gefüllt ist, sondern es ist wirklich nur dokumentarisch. Leute wollen zwar, dass es mein Buch ist, aber ich bin nur der Autor. Natürlich gibt es auch eine Verbindung zu der Art, wie ich in meinem Restaurant koche. Die Produkte, die wir benutzen, die Gerichte, die wir zubereiten.

Wenn wir schon so viel über den Norden sprechen: Was ist typisch nordisch an dir selbst?
Das ist eine schwierige Frage, denn die nordische Region ist so groß und die Leute so unterschiedlich. Selbst in einem einzigen Land gibt es keine Homogenität. Das kann ich also nicht beantworten.

© Milena Zwerenz

Spätestens seit Chef's Table und Mind of a Chef kennt man dein Gesicht. Wenn du selbst essen gehst, haben die Köche dann Angst vor dir und wie nimmst du sie ihnen?
In Restaurants werde ich häufiger erkannt, einfach weil die Leute dort schon ein größeres Interesse an der Gastronomiebranche haben, auf der Straße werde ich fast gar nicht angesprochen. Aber wie sie in den Restaurants reagieren, kommt wirklich drauf an. Manche Restaurantbesitzer interessiert es, andere nicht.

Und du bist ein netter Typ.
Ja, das denke ich auch. Was passieren kann, ist, dass die Leute zu weit gehen und mir zu viel zu Essen bringen, was nicht wirklich angenehm ist. Aber da kann man nicht wirklich etwas gegen sagen, denn es ist nett gemeint. Dann habe ich einen ganzen fucking Tisch mit Essen voll, aber kann nichts machen.

Was macht für dich ein gutes Restaurant aus?
Wenn man schaut, was ein Restaurant ist, ist es im Endeffekt ein Ort, an den Leute gehen, um eine gute Zeit zu haben. Das ist die Basis, die viele Leute vergessen. Dann braucht man gutes Essen, wobei die Bewertung am Ende auch subjektiv ist. Gute Drinks und genug davon. Genügend Essen. Guten Service. Und gutes Gedeck. Im Fäviken versuchen wir das zu erfüllen und noch etwas obendrauf zu setzen, etwa ein Gericht mit einer interessanten Geschichte. Aber du kannst nicht einfach nur ein Gericht machen, weil es interessant klingt. Es muss auch schmecken. Es ist also ganz schön komplex, ein Restaurant zu schaffen, in dem man mehr als "nur eine gute Zeit" hat.

Wann hast du zuletzt richtig gut für unter 10 Euro gegessen?
Wenn du zu einem Foodtruck oder zu einem Imbiss gehst, kannst du oft gut für unter 10 Euro essen. Es kommt ja auch darauf an, was man für den Preis, den man zahlt, erwartet. Ich war in Kopenhagen bevor ich hierher geflogen bin. Eine Freundin von mir, Rosio Sanchez, die die Pastry-Chefin im Noma war, hat vor zwei Jahren einen kleinen Taco-Kiosk aufgemacht und dort isst man für 8 Euro mega gute Tacos. Das Essen ist lecker, die Getränke passen dazu – Frozen Margaritas – du wirst satt, die Bedienungen sind nett und selbst die Pappteller sehen gut aus. Es muss kein formelles Essen für 500 Euro sein, damit es schmeckt.

Aber das ist trotzdem schön zu hören, denn viele kennen dich ja nur in der Fine Dining Umgebung. Der Typ in seiner Hütte in Schweden.
Ja, aber ich bin viel häufiger von günstigem Essen beeindruckt als von teurem Fine Dining. Wie oft ist das Essen wirklich so gut, dass es sein Geld wert ist?

Da hast du Recht. Welches Projekt steht bei dir als Nächstes an?
Ich überlege, ein ähnliches Buch wie das jetzige mit dem Fokus auf's Backen herauszubringen. Aber da steht noch nicht mehr als die Idee.

Dann sehen wir uns ja vielleicht in ein paar Jahren hier wieder. Danke, Magnus.

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