Gina-Lisa Lohfink: Wenn ein "Hör auf" nichts mehr Wert ist
Triggerwarnung. Für alles.
Was ist das „Nein“ einer Frau wert? Was sind – wenn eine Frau vergewaltigt, die Tat gefilmt, das Video im Internet hochgeladen wird – alle „Neins“ dieser Welt wert? Darf eine Frau leben und arbeiten und sich kleiden, wie sie möchte, oder beeinflusst das den Wert einer Frau, den Wert ihres Körpers, ihr Recht auf Unversehrtheit und Schutz in jeder Hinsicht?
Wenn man verfolgt hat, wie Gina-Lisa Lohfinks Vergewaltigung in den Medien seit Tagen bagatellisiert wird, kennt man die Antworten: Nichts. Nichts. Nein. Ja.
Sexuelle Gewalt wird ausgeübt, wird gefilmt, wird im Internet hochgeladen. Konsens wird verletzt, wird verletzt, wird verletzt. Interessiert aber keinen, denn was Konsens heißt, versteht man in Deutschland wahrscheinlich immer noch nicht, auch nicht nach den Vorfällen in Köln an Silvester, obschon die uns ja angeblich zur Antisexismus-Nation Nummer 1 gemacht haben.
Sexuelle Gewalt verkommt zur Boulevard-Posse
Gina-Lisa Lohfink wehrt sich, doch das Ganze verkommt zur Boulevardposse, zum respektlosen Celebrity-Tratsch, zur Lachnummer – die für das Opfer auch noch teuer werden soll. Sie erhält einen Strafbefehl und soll wegen Falschbeschuldigung 24.000 Euro zahlen. Ich staune. Das Video, das die Übergriffe zeigt, wird lapidar als „Sex-Video“ bezeichnet. Die Abwesenheit von Konsens ist also „Sex“. Ich staune. Lohfink ist bei der Geschichte wahlweise ein „Busensternchen“ oder die „wasserstoffblonde Hessin“ – ich staune weiter.
Als Anfang dieses Jahres die US-amerikanische Sängerin Kesha Sebert dazu verpflichtet wurde, weiterhin mit ihrem Label Sony und ihrem ehemaligen Produzenten Dr. Luke zusammenzuarbeiten, war der Aufschrei groß. Weltstars wie Lady Gaga solidarisierten sich mit ihr, und auch in Deutschland verfolgte man den Fall mit Interesse und medial einigermaßen behutsam.
Gilt ein 'Nein' nur dann, wenn eine Frau nicht wasserstoffblond gefärbte Haare hat und keine Erotik-Messen bewirbt?
Als die Porno-Darstellerin Stoya im Februar via Twitter berichtet, dass ihr Ex-Freund sie während ihrer Beziehung vergewaltigte, hörte man ihr zu. Sie entfachte eine Debatte über sexuelle Gewalt in der Porno-Branche – und auch diese Diskussion reichte glücklicherweise bis nach Deutschland. Die WELT schrieb ein Porträt über Stoya, ein großes, ein respektvolles Porträt: „Sie liest Foucault, schreibt feministische Texte und hat einen weltberühmten Kollegen der Vergewaltigung bezichtigt: Stoya ist die neue Ikone der kritischen Intelligenz.“
Solidarität mit dem Opfer? Wozu?
Keins der vielen Schmierblätter in Deutschland fand in den letzten Tagen ähnlich große Worte für Gina-Lisa Lohfink. Respekt und Solidarität – das sind Attribute, die viele deutsche Medien im Umgang mit Lohfinks Geschichte anscheinend unbedingt vermeiden möchten. Die Bildungsbürgernation-Schreibergarde weiß nicht viel anzufangen mit einer, die unter anderem durch GNTM, Big Brother, den Wiener Opernball bekannt wurde. Dabei führt Lohfink gerade stellvetretend einen wichtigen Kampf für viele – und erträgt stoisch Häme und Spott der Medien und Öffentlichkeit.
Die WELT, die Monate zuvor immerhin noch Stoya die Hand reichte, weiß heute über Gina-Lisa nur folgendes zu berichten:
„Lohfink, der Name steht für Skandale, die meisten selbst inszeniert.“
„Die windige Geschichte von einem Sex-Video.“
„Hier eine Affäre mit einem bekannten Fußballer, dort ein Nackt-Shooting mit dem Playboy. Dazwischen Auftritte als DJane oder Jobs als Gesicht der Erotik-Messe Venus.“
„Das ist nichts Ungewöhnliches. Sie hat schon häufiger ähnliche Filme gedreht und im Internet vermarktet.“
Zwischen all dem Victim-Blaming, dem Slut-Shaming, den ganzen Rape-Culture-Apologien, liest man dann Sätze wie diesen: „Aber in diesem Film wirkt sie wie ausgewechselt. Merkwürdig abwesend, nein, abwehrend. Sie liegt auf einer Couch, dreht den Kopf zur Seite und wiederholt immer dieselben Worte: 'Hör auf!'"
Lohfink führt gerade stellvertretend einen wichtigen Kampf für viele – und erträgt stoisch Häme und Spott der Medien und Öffentlichkeit.
Eine Frau, die immer wieder dieselben Worte sagt: „Hör auf.“ Was will mir die WELT mit diesem Artikel sagen? Dass, wenn eine Frau mehrfach „Hör auf“ sagt, es wichtig ist zu wissen, dass sie „für Skandale, die meisten selbst inszeniert“, steht? Dass, wenn eine Frau mehrfach „Hör auf“ sagt, es wichtig ist zu wissen, dass ihre Haare „wasserstoffblond“ sind? Dass, wenn eine Frau mehrfach „Hör auf“ sagt, man wissen sollte, dass sie schon mal eine Affäre mit einem bekannten Fußballer hatte und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit auch eine Erotik-Messe promotet hat? Dass, wenn eine Frau „Hör auf“ sagt, dass das „nichts Ungewöhnliches“ ist, weil sie schon „häufiger ähnliche Filme gedreht und im Internet vermarktet hat“? Dass wegen all dieser Sachverhalte, wegen ihres Aussehens, ihres Lebens- und Kleidungsstils, ihrer beruflichen Tätigkeiten das „Nein“ von Gina-Lisa Lohfink weniger wert ist? Dass „Nein heißt nein“ nur dann gilt, wenn… ja, wann eigentlich? Wenn eine Frau nicht wasserstoffblond gefärbte Haare hat? Wenn sie keine Erotik-Messen bewirbt?
Dabei reicht es, allein Lohfink zuzuhören: „Diese Videos zu sehen, ist der Albtraum“, sagte sie vor ein paar Tagen. „Aber mir haben inzwischen so viele junge Mädels erzählt, dass ihnen auch schon solche Sachen passiert sind. Ich glaube, es hat schon Sinn, wenn ich das jetzt durchziehe. Nicht nur für mich, sondern für alle Frauen, denen nicht geglaubt wird.“
Vielen Dank Nadia von Shehadistan, die uns ihren Artikel zur Verfügung gestellt hat.