Ein Haus sieht rot – Warum die Scheu vor Veränderung an der Volksbühne so hoch ist

© Matze Hielscher

Mittlerweile flattert jeden Tag ein neuer offener Brief ins Internet. So richtig kommt man nicht dahinter, warum die Mitarbeiter der Volksbühne so vehement gegen die zukünftige Intendanz wettern. Man durchschaut aber ebenso wenig, was die kulturpolitische Seite eigentlich genau macht. Es ist ja nicht der erste Intendantenwechsel der Welt, der hier vollzogen werden muss. Im Gegenteil, nahezu parallel wechselt das Berliner Ensemble gerade still und heimlich und ohne Murren die Intendanz. Warum es sich an der Volksbühne anders verhält – eine Spurensuche.

Als vor gut einem Jahr bekannt wurde, dass die Mammut-Intendanz von Frank Castorf an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz enden und dass Chris Dercon sein Nachfolger sein würde, ging ein Raunen durch die Theater- und Kulturszene. Viele Artikel wurden geschrieben, Meinungen drifteten polarisiert auseinander, Diskussionen und Streitigkeiten wurden geführt, aber so richtig passierte erstmal nichts.

Jetzt, da der Wechsel immer näher rückt (zur Spielzeit 2017/18 soll es soweit sein), haben Mitarbeiter und Künstler der Volksbühne am Montag einen offenen Brief voller Sorge an die Parteien im Abgeordnetenhaus und die Staatsministerien für Kultur und Medien aufgesetzt – mit der Bitte, das neue Konzept nochmal zu überprüfen.

Dercon, Castorf, Renner, Peymann - nur Photoshop bringt sie auf ein Bild.

Castorf wirkt seit 1992 als Intendant der Volksbühne. Bereits im ersten Jahr unter ihm wurde das Haus zum Theater des Jahres gekürt. Seitdem hat er nicht nur die Volksbühne, sondern auch die deutsche Theaterlandschaft insgesamt geprägt wie kein anderer. Ganz im Sinne des postdramatischen Theaters betreibt er eine Arbeitsweise, die sich von herkömmlichen Herangehensweisen unterscheidet. So entfernen sich seine Inszenierung sehr von der literarischen Vorlage und werden durch Slapstick, Zitate, Video und eine einmalig eigensinnige Perspektive verfremdet.

Aber genauso speziell, wie seine Inszenierungen auf den Zuschauer wirken, ist auch die Arbeitsweise, mit der Frank Castorf an seine Schauspieler und Mitarbeiter herantritt. Versteht man diese, lässt sich erst die starke Bindung der Spieler an ihren Intendanten und Regisseur nachvollziehen. Sie verausgaben sich bis zur Erschöpfung, und das tun sie eben für die Volksbühne unter Castorf. Mit hoher Wahrscheinlichkeit tun sie es sogar gern. Das bezeugt, dass dort doch irgendetwas sein muss. Etwas, dass es in dieser Form an anderen Häusern nicht gibt, und das so viele herausragende Künstler an die Volksbühne bindet.

Einen Tag nach Veröffentlichung des ersten Breifes hat ein anderer in einem weiteren Brief nachgeschossen: Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles (der, der sich gerade willig auswechseln lässt). Er bringt die Dinge anders auf den Punkt und richtet sich dabei direkt an den regierenden Bürgermeister Michael Müller:

Einigen Sie sich mit dem Museumsdirektor Dercon (der sicher nicht glücklich ist, gegen alles und alle seine Arbeit in Berlin zu beginnen) und zahlen Sie ihn aus. (...) Dann könnten Sie „unsterblich“ sein und würden nicht als Killer der Volksbühne in die Geschichte eingehen.

Aber neben diesen abstrakten, künstlerischen Gründen, kann man aus dem Brief der Volksbühnenbelegschaft noch etwas anderes rauslesen: Eine Form der Angst vor Veränderung, die wohl am ehesten nachvollziehbar ist. Denn durch die Umstrukturierung und der damit verbundenen Ankündigung, dass das "Sprechtheater nicht die dominante Säule des Hauses sein wird", befürchten viele Mitarbeiter aller Gewerke einen Stellenabbau. Zu Recht, denn momentan ist das "Sprechtheater" die dominante Säule der Volksbühne.

© Matze Hielscher

Ganz davon abgesehen: In dem neuen Konzept würden Musik, Tanz und Medienkunst in den Vordergrund gestellt werden. Darauf folgt der berechtigte Kommentar im Brief, dass diese Sparten sowieso schon Bestandteile des aktuellen Programms sind. Das als neu zu verkaufen ist also wenig originell. Was hat Chris Dercon dann genau vor?

Das ist die Frage, die offen bleibt. Und genau das sorgt wohlmöglich für die meiste Unruhe. Wenn man als Mitarbeiter seit knapp 25 Jahren und seit 1992 (man halte sich die politischen Umstände vor Augen) an einem Haus arbeitet, dann hat man Angst vor Veränderungen. Vor allem vor Veränderungen, die so undefinierbar und diffus bleiben.

Es bleibt festzuhalten: Unter Castorf hat die Volksbühne das Gesicht bekommen, das ihr gut steht. Regisseure wie René Pollesch, Herbert Fritsch und Christoph Schlingensief, Schauspieler wie Martin Wuttke, Sophie Rois und Bernhard Schütz – und das sind nur einige wenige Namen – stehen dafür.

Es ist von außen sehr schwer zu beurteilen, unter welchen Bedingungen Mitarbeiter und Künstler an einem Theater gut zusammen arbeiten können. Es ist sicherlich unersetzlich, ein eingespieltes Team zu haben, ein Team, das genau weiß, was es macht – und das auch noch sehr gut.

Damit, dass nun über 200 Unterschriften unter dem offenen Brief stehen, in dem die Angst um die Zukunft der Volksbühne präsent ist und der mit der klaren Forderung endet, das neue Konzept zu überdenken, wird ein Zeichen gesetzt. Das sollte man ernst nehmen.

Genauso ernst sollte man aber auch hinterfragen, ob ein Intendantenwechsel nicht vielleicht an manchen Stellen Verbesserungen bringen könnte. Dadurch, dass Dercons Pläne undefiniert bleiben, kann man ihn inhaltlich nicht konsequent ablehnen. Vielleicht bleibt ja wirklich alles so wie es ist – vielleicht wird es teilweise aber sogar besser.

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