Berlin ist nicht Schuld, dass ihr Singles seid

© Odeta Catana

„Hast du schon mal daran gedacht, aus Berlin wegzuziehen?“. Das ist die Ultima Ratio am Ende der wohlwollenden Ratschlagsnahrungskette für verwirrte Berliner Singles. Und dank Michael Nasts literarischem Geschenk an die Menschheit – die Rede ist hier von seinem Bestseller „Generation beziehungsunfähig“ – ist dieser Vorschlag nicht nur ernst gemeint, sondern auch omni-fucking-präsent. Von Egoismus ist die Rede, von dem Unwillen, sich zu binden. Von emotional verkrüppelten Hedonisten und einer Generation, die erst mal nur sich selber sieht und dann erst das große Ganze.

Am Ende, so steht es auf der Bucheigenen Website, soll es eine Ermutigung zur Selbstreflexion sein. Vor allem aber sitzen am Ende tausende Zuhörer in den Lesungen und hören dem Manifest gebannt zu. Sie hören zu, während von der Bühne das Urteil gesprochen wird, in dem sie sich alle wiederfinden. Gebrochene Herzen? Singles soweit das verheulte Auge reicht, vom Berghain bis in die hinterste Spandauer Ecke. Kurzum: It’s not you, it’s not me. It’s Berlin.

Kann es etwa nur überall da, wo nicht Berlin ist, besser werden?

Man soll seine Krankheiten nicht googlen, denn in der Regel sieht es nie gut aus. Auch wenn es sich nur um einen blauen Fleck handelt. Genauso verhält es sich jedoch mit dem Googeln von „Berlin + Singles“. Man sollte erst gar nicht anfangen, sich näher damit auseinanderzusetzen. Von 50% und mehr Singlehaushalten ist die Rede, von rapide steigenden Zahlen, schlechten Prognosen. Es liest sich wie eine Apokalypse all dessen, was wir als Herden- und Paartiere gewohnt sind. Natürlich, wer es wirklich darauf anlegt, der kann gleich beim ersten Tinderdate sagen: „Hey, du bist echt süß. Aber hast du mal die Statistiken gelesen? Das mit uns, hier in Berlin, das wird nichts“. Unter uns: Auch ich hatte diese Dates. Diese Abende, an denen Resignation bereits beim ersten Schluck Gin in der Luft lag, der Wind der Durchreisenden durch meine Haare wehte. Diese Momente, in denen man seinem Gegenüber nicht über den Weg traut, weil dieser am nahenden Ende, das Ende vor dem eigentlichen Anfang, doch nur dein Herz mit in die nächste Metropole nimmt.

Vor meinem inneren Auge sehe ich mich dann vollbepackt am Bielefelder, im schlimmsten Fall am Münchner Bahnhof stehen. Wartend, auf den Richtigen. Weil dort, überall da, wo nicht Berlin ist, kann es ja nur besser werden.

„Vielleicht liegt es an Berlin?“. Auch ich habe diesen Satz gehört. Bei einem Glas Wein am Paul-Lincke-Ufer, während die Schwäne ihre letzten Bahnen ziehen, die Admiralsbrücke unter der menschlichen Last näher an die Spree rückt und im Il Casolare die Pizzen im Akkord backen. Dann schaut man sich um, beobachtet seine egoistische Peer-Group, die, rauchend und sinnierend, um einen herum sitzt und sich am kurzen, aber intensiven Sommer ergötzt. Innerlich schreist du: „Halt’s Maul! Bist du noch ganz dicht? Zieh doch selber weg, du Kackbratze!“ Äußerlich nickst du jedoch stumm und gibst vor, tatsächlich in Erwägung zu ziehen, Berlin den Rücken zu kehren.

Man erwartet ein gewisses Verhalten von den ach so verwirrten Berlinern. Den Tagträumern, den Drogensüchtigen, den Werbetreibenden und den Nichtsnutzen, die, neben den verschmierten Clubstempeln der letzten Nacht, nun den Stempel „beziehungsunfähig“ auf ihrer Pulsader tragen. Damit schlagen sie exakt auf dem Beat der Zeit. So sagt man. Ich sage: Schluss damit. Schluss mit dem Stigma, Schluss mit den Ausreden, den Ausflüchten und dem prophezeiten Verhalten. Berlin mag Hochmut, Geiz, Völlerei, Wollust, Zorn, Faulheit und Neid sein. Das sind die Sünden, die das Leben in dieser großartigen Stadt wert machen. Aber nicht doch ein Fehlen von Liebe.

Wer die Augen öffnet, sich ein bisschen am Riemen reißt, die Prediger predigen, die Autoren schreiben und die Richter urteilen lässt, der erkennt, dass Berlin Raum für Liebe hat. Für Konventionelle und Unkonventionelle. Für Mutige und Schüchterne, und für jene, die der Liebe hinterherrennen wie der U1 morgens um acht. Berlin steht seit jeher für „Anti“, daher liegt es nur nahe, den Urteilenden, den Statistikern und Wahrsagern den Mittelfinger zu zeigen. Wir mögen arm sein, und sexy und vielleicht etwas verplant. Doch lieben, lieben kann hier jeder.

Wir mögen arm sein, und sexy und vielleicht etwas verplant. Doch lieben, lieben kann hier jeder.
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