Auch als Jude ist Weihnachten purer Stress

"It’s hard to be a Jew on Christmas“, besang der halslose Kyle aus der Serie South Park sein alljährliches Dilemma. Und es stimmt. Wenn Jüdischsein bereits 350 Tage im Jahr mühsam ist – der Nahostkonflikt, die verlorene Vorhaut, die Sache mit den unkoscheren Shrimps –, dann gipfelt die Last in den Tagen vor und an Weihnachten auf ein unerträgliches Maximum. Denn Weihnachten ist hart, das empfinden auch jene, die für Jesus’ Geburtstag ungefähr soviel übrig haben wie die Lombardis für Privatsphäre.

Nun kann man die Last so interpretieren, all das zu verpassen, was Weihnachten ausmacht: Geschenke, Baum, Familienfehde, Weihnachtsgans, und traurig darüber sein, lediglich von der Seitenlinie in die warm beleuchteten Wohnzimmer zu blicken. Die unschöne Wahrheit ist jedoch: Ich werde dem Stress, den sich sämtliche Christkinder und Weihnachtskitsch-Trittbrettfahrer machen, passiv ausgesetzt. Ungefähr so, wie ein Kleinkind der 80er-Jahre dem Zigarettenqualm seiner paffenden Eltern. Ergo: Weihnachten gefährdet die Gesundheit.

Weihnachten gefährdet die Gesundheit

An einem Ort ist es ganz besonders schlimm: In Shopping-Malls. Dort hängt der Konsumdruck in jedem Türrahmen wie ein satanischer Mistelzweig, unter dem man sich samstagmorgens in einer Zara-Home-Filiale nicht küsst, sondern prügelt. Und als wäre das Einkaufen in Einkaufszentren bereits 51 Wochen im Jahr nicht ohne Schnappatmung möglich, sollte man dies in der Vorweihnachtszeit ausschließlich mit Sauerstoffgerät und Brustpanzer tun. Denn auch als Weihnachtsverschonter muss man ab und an nach dem besonderen Paar Strumpfhosen suchen, das es nur im KaDeWe, in der Mall of Berlin oder bei Kaufhof am Alex gibt. Uncool.

Als wäre das Einkaufen in Einkaufszentren bereits 51 Wochen im Jahr nicht ohne Schnappatmung möglich, sollte man dies in der Vorweihnachtszeit ausschließlich mit Sauerstoffgerät und Brustpanzer tun.

Es ist mir ein Rätsel. Und damit meine ich nicht die unbefleckte Empfängnis. Es ist mir ein Rätsel, was sich Jahr für Jahr in den fünfstöckigen Geschenkhöllen abspielt. Quer verlaufende Rolltreppen, auf denen depressive, unter Druck stehende Kinder, Enkel, Partner, Mütter und Patentanten wie ferngesteuerte Lemminge stehen. Mit schwitzenden Nacken, vom Schal verfilzten Haaren, die wattierte Daunenjacke am Körper, die Arme braucht man zum Schleppen. So schwanke ich zwischen Mitleid und Unverständnis, da es doch spätestens am 25. Dezember klar sein sollte, dass ab jetzt der Countdown wieder runtergezählt wird. Ich meine, Jesus, alleine auf Buzzfeed gibt es 2016 Artikel darüber, wie man die Weihnachtseinkäufe logisch, chronologisch und weniger pathologisch angehen kann.

Die unschöne Wahrheit ist: Ich werde dem Stress, den sich sämtliche Christkinder und Weihnachtskitsch-Trittbrettfahrer machen, passiv ausgesetzt.

Wenn ich an Weihnachten nicht gerade in Selbstmitleid darüber versinke, keine Strümpfe am Kamin, keinen eigenen Baum und keinen Adventskalender zu haben, empfinde ich große Rachegelüste in Shopping Malls. Darüber, dass der eigentliche, von Coca Cola kreierte Weihnachtszauber derart mit Füßen getreten wird und zu einer Hetzjagd verkommt. Einer Hetzjagd nach dem letztbesten Kaffeevollautomaten, auf der ich – die „It’s hard to be an Jew on Christmas"-Jüdin – unter „ferner liefen“ und Kollateralschaden gelistet werde. Zumal Juden mit Listen keine guten Erfahrungen haben.

Der von Coca Cola kreierte Weihnachtszauber wird mit Füßen getreten

„Be water, my friend“. Die beste Methode, dem Stress entgegenzuwirken, ist, Teil des Stresses zu werden. Daher transformiere ich in einer Art Mimikry zu meinem christlichen Selbst, sobald ich ein Einkaufszentrum betrete. Gehetzt suche ich in sämtlichen Ecken nach idealen Geschenken für nicht existente Verwandte. Tante Birgit ist immer besonders schwierig, daher bekommt sie Jahr für Jahr einen Seidenschal, der imaginäre 35 Euro kostet. Ich esse dort kostenlosen Lebkuchen, schubse mit, wo geschubst wird, atme in der überfüllten Kassenschlange theatralisch durch aufgeplusterte Nasenlöcher, beschimpfe einen Mann, der nicht meiner ist, und schicke Stoßgebete zu Jesus – der nun mal an all dem Schuld ist.

Ich schicke Stoßgebete zu Jesus – der nun mal an all dem Schuld ist.

Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin kein semitischer Grinch. Eher ein konstruktiv-kritischer Knecht Ruprecht, der jedem Stressmacher gerne die Augen für das Schöne öffnen würde, das nur abseits der Einkaufszentren zu finden ist. Der in die Gesichter verzweifelter Geschenksuchender blickt, die ein überfülltes Parkhaus davon entfernt sind, ihre eigene weiße Weihnacht im King Size zu veranstalten, und sehnlichst darauf warten, von meiner Rute verprügelt zu werden.

Fröhliche Weihnachten und Mazel Tov.

© giphy
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