ARTVERGNÜGEN #100 – 11 Dinge, die ihr über den Berliner Kunstmarkt wissen solltet

© Staatliche Museen zu Berlin | Valerie Schmidt. Installation: Andreea Cioran

100! 100 Ausgaben Artvergnügen haben wir seit 2012 online gebracht. Es wurde gefiltert, interviewt, betrauert, gelobt und verurteilt, was und wer die Kunst in unserer Hauptstadt serviert. Zum goldenen Jubiläum ziehen wir ein Zwischenfazit. Die Subline bleibt, womit wir das erste Artvergnügen einleiteten: "Die Kunst ist zwar nicht das Brot, wohl aber der Wein des Lebens." (Jean Paul) Chin chin!

1. 5000 deiner Freunde nehmen auch teil

Wir sind jetzt da, wo Guy Debord uns 1967 mit seiner legendären Schrift wägte. Wir leben in einem ständigen Spektakel. Alles und jeder kommuniziert, wir sind immer überall irgendwie dabei und nie richtig da, wo der Körper steht. Der Launch eines neuen Smartphones findet heute in DER Galerie der Stadt statt und wird zwischen ohrenbetäubendem Sound und poppiger Kunst zur Nebensache. Ein Produkt-Launch wird zum Event, Kunst zum Magnet für Tausende und zum Instrument der großen Marken.  

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2. Openings sind die neuen Vernissagen

In 2016 erhielt ich genau fünf Presseinfos mit dem Betreff "Vernissage". Das ist ein Rückgang um 75% seit 2015. Wir können nicht erklären, warum das so ist, Fakt ist aber, neuerdings eröffnen Ausstellungen mit einem "Opening". Wir vermuten eine Verbindung zum Phänomen 1, die Spektakularisierung der Kunst. 

3. Berlin ist eine Muse, kein Markt

Schon 1998 vermeldete eine Berliner Zeitung: “Galerien schließen, weil betuchte Kunden fehlen”. Eine Dekade später betrauert die Stadt das Ende der Flagship-Kunstmesse Art Forum, wir in diesem Jahr den Wegzug renommierter Galerien und jetzt auch noch das leise Schrumpfen der Messe abc. Was sich hier abzeichnet, kennt auch die Modebranche: Appetit holt man sich in Berlin, gekauft wird da, wo man es immer getan hat; im Fall der Kunst in Paris und Basel. Berlin bleibt Muse. 

4. Museumsführer für Kinder sind hilfreicher als jedes Ausstellungshandout

Manche Kunst erklärt sich einfach nicht von selbst. Da sind Museumsführer für Kinder, digital oder gedruckt, ja oft unterschätzte Helfer: mit simpler Sprache und undogmatischer Betrachtungsempfehlung lassen sie genug Freiheit für eigene Gedanken. Danach kann jeder für sich entscheiden, ob ein Werk durch Zusatzwissen besser wird oder hohl bleibt. Der Betrachter hat es aber verdient, Infos an die Hand zu bekommen, die über eine reine Materialliste ("Acryl auf Papier") hinausgeht. Liebe passiert schließlich auch nicht immer auf den ersten Blick.  

5. Das ist Kunst, kein Spaß!

Der Ausstellungsbesuch folgt einer ungeschriebenen Etikette. Eine Regel lautet: Kunst ist ernst und so ist ihr zu begegnen. Selbst bei einer David-Shrigley-Ausstellung (#veryveryfunny) schmunzeln alle schrill-leise in sich hinein. Bei Anne Imhofs "ANGST II" beängstigt vor allem der leblose Blick des Publikums, als sei es den Männern und Frauen aufgetragen worden. Dass Mit Vergnügen eine Kunstsparte führt hat schon auch einen Hintergedanken. Smile!

6. PR-Abteilungen spielen gern Bullshit-Bingo, auch in der Kunst

"In Farbwelten eintauchen", "an der Schnittstelle von Traum und Realität", "bezieht Position", "eröffnet einen Begegnungsraum", "nimmt uns mit auf eine Reise"…

Der aufmerksame Leser kann unsere monatlichen Tipps inzwischen sicherlich mal Saskias, mal Verenas Feder zuordnen – jede hat ihren Stil, jede ihr Vokabular. Ja, auch wir werden beeinflusst von sprachlichen Trends und was auch immer es ist, das unsere Sprache formt. Und manchmal, befreit von einer besseren Idee, mit einem lachenden und einem weinenden Auge, spielen wir es einfach weiter, das von Pressemitteilungen losgetretene Bullshit-Bingo der Phrasen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, euch davor weitgehend zu schützen. Irgendwann laden wir euch aber zum Bingoabend ein.

7. Schleicht euch auf die arty Partys

Kunstpartys sind die Art von Partys, von denen man sich noch Jahre später erzählt. Wer früh kommt, kann sich noch ein, zwei Gläser Wein abgreifen, worauf allerdings kein 100-prozentiger Verlass mehr ist. Alkohol wird es aber geben, wenn auch nicht for free. Und so kann es passieren, das man sich später nicht mehr an diese super Party erinnert. Tusch!

8. Wenn es kein Instagram-Bild davon gibt, ist es nicht passiert

Jede größere Ausstellung wird mittlerweile kräftigst auf Instagram und Facebook dokumentiert. Egal, ob Anne Imhofs Nebelschwaden im Hamburger Bahnhof, die roten Wollfäden bei Blain|Southern oder die überlebensgroße Rihanna im KW. Auch laden Museen und Galerien inzwischen gern zu #instawalks in #emptysomethings, wo man dann andere #blogger #meeten und mit ihnen #tweeten und #snappen kann – was wir ja herzlich begrüßen.

9. Du bist niemals overdressed

Wer einmal auf einem Opening der Berlin Art Week war, kann nur noch müde über das Fashion-Week-Publikum lachen. Wir sagen nur: Eva & Adele! Ihr könnt wirklich Stunden mit eurem Make-up und der Kleiderwahl verbringen, aber ihr werdet niemals – niemals! – auch nur annähernd overdressed sein.

© Matias Sauter

10. Es gibt mehr Ego als Raum in dieser Stadt

"I love you like Kanye loves Kanye" wäre eine gute Zusammenfassung für den Berliner Markt. Wir haben in den letzten Jahren auch so einiges über die Egos von Galeristen, Kuratoren und auch einigen Künstlern lernen dürfen, gehen an dieser Stelle aber selbstverständlich nicht ins Detail. Fakt ist: Es gibt mehr Ego als Raum in dieser Stadt. Und das ist an mancher Stelle dann doch schade.

11. Berlin ist unsere Kunst-Hauptstadt der Herzen

Aus Sicht zweier Kunstfreundinnen ist diese Stadt nur schwer, sehr schwer zu toppen. Überall Galerien, Studios, Projekträume, Museen und vor allem all die Menschen, die sich der Kunst verschrieben haben und aus aller Welt hierher kommen um Teil des großen Ganzen zu werden. Wir haben noch lange nicht genug und freuen uns schon auf die nächsten 100 Artvergnügen.

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