Warum ich als Homosexueller gleichgestellt werden möchte

© Filmszene Weekend

"Ist ja voll süß, dass ihr beiden hier in der Stadt Hand in Hand gehen könnt, das ist ja fast wie bei uns.", sagt das Pärchen, während es uns links auf dem Gehweg des Frankfurter Tors überholt. Irritiert schaue ich die zwei Unbekannten an, die vor einigen Sekunden in mein Leben getreten und für diesen Kommentar extra neben uns gehechtet sind. Der junge Mann und seine brünette Freundin wirken alkoholisiert euphorisch und sind bei ihrer scheinbar ersten Begegnung mit schwulen Handhaltern fast nervös.

"Was soll man darauf nur antworten?", frage ich mich überrumpelt, bevor ich ein einfaches "Ja" in ihre Richtung ausspreche. Die beiden blicken enttäuscht zurück. Sie hatten wohl eher ein "Danke" erwartet. Einige Minuten später steige ich mit meinem schönen Handhalter in die U5 Richtung Alexanderplatz. "Das ist ja fast wie bei uns", hallt es weiter durch meine Gedankengänge. In letzter Zeit befasse ich mich schließlich häufiger als gewöhnlich mit dem benannten "fast".

Wenn ich mit meiner besonderen Person durch die Straßen der Hauptstadt laufe, halten wir manchmal Händchen. Manchmal legt er auch einen Arm um mich. Und manchmal bleiben wir kurz stehen, schauen uns verträumt in die Augen und küssen uns. In gefühlter Zeitlupe und mit Kameraumdrehung. So wie das Paare und alle, die sich gern haben, eben machen. Trotzdem gibt es alleine bei dem eigentlich ungezwungenen Handhalten kleine Unterschiede, die dem unbekannten Pärchen wahrscheinlich gar nicht bewusst sind.

Dass homosexuellen Paaren die großen Meilensteine des Lebens immer noch versagt werden, ist mir nicht nur unverständlich, es macht mich wütend

Sobald ich zur Hand meines Partners greife oder seinen Arm um meine Taille spüre, ziehe ich ein Visier herunter. Ein Visier, durch welches ich potentielle Gefahren scanne. Ein Visier voller Fragen. Wen könnten wir hier mit unserer Geste stören? Haben wir von der Gruppe da vorne ein "Schwuchtel" zu erwarten? Könnte jemand um diese Uhrzeit gewalttätig werden? Ich scanne die Gegend und werde verkopft. Und im Notfall lasse ich die Hand meines Partners fallen, weil ich negative Auswirkungen wittere. Unsere einfache Intimität verliert ein Stück ihres Charmes. Sie ist nicht mehr einfach und ungezwungen. Sie ist durchdacht, analysiert und bewertet. Auch wenn unsere öffentliche Verliebtheit von außen betrachtet also genauso aussieht wie bei meinen heterosexuellen Freunden, ist sie eben doch nur fast so.

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Das überwachte Handhalten stellt einen vieler kleiner Momente dar, die ich anders erfahre als heterosexuelle Paare. Das fängt beim Verneinen der "Hast du eine Freundin?"-Frage an und hört beim Versagen der Möglichkeit einer Blutspende auf. Auch wenn mich diese Unterschiede zeitweise ärgern, komme ich mit ihnen klar. Ich habe gelernt mit ihnen zu leben. Mit was ich nicht mehr leben möchte, sind die großen Unterschiede. Die großen Dinge, die eigentlich so aussehen wie bei heterosexuellen Paaren und doch nur fast gleichgestellt sind. So wie die eingetragene Partnerschaft und die Ehe. Und ein volles gemeinschaftliches Adoptionsrecht. Dass homosexuellen Paaren diese Meilensteine des Lebens immer noch versagt werden, ist mir nicht nur unverständlich, es macht mich wütend.

Ich bin konservativ aufgewachsen. In einer bayrischen Kleinstadt. Mit starken Eltern und einem tollen Familienbund. Alleine deshalb gehört "Familie gründen, Haus bauen und Baum pflanzen" für mich trotz meiner Sexualität zum Leben dazu. Das möchte ich später genauso genießen oder zumindest als Option haben wie meine Geschwister, auch wenn das unsere aktuelle Bundesregierung anders sieht. So wiederholt Regierungssprecher Steffen Seibert gerne, dass es kein Ziel dieser Bundesregierung sei, die Ehe zu öffnen. Die Kanzlerin sitzt das Thema schlichtweg aus.

Es geht um Privilegien, die gewahrt werden sollen. Nicht um die reellen Leben tausender homosexueller Menschen.

Schlimmer noch werden dieser Tage alte, homophobe Argumente zurück auf die Agenda der Politik und Medien gebracht. Dann geht es um das Kindeswohl, welches laut Gegnern nur bei heterosexuellen Eltern gewahrt ist. Oder es geht um die Ehe als Synonym für eine legitime Beziehung, die nur Mann und Frau zustehen kann. Es geht um Privilegien, die gewahrt werden sollen. Nicht um die reellen Leben tausender homosexueller Menschen.

In einer idealen Welt springen mir keine Unbekannten mehr nachts beiseite, um mir zu versichern, dass sie meine Lebensweise in Ordnung finden. Und es ist normal, dass zwei liebende Menschen Hand in Hand gehen. Gleich ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung. Bis wir dahin kommen, müssen wir jedoch bei den großen Dingen anfangen. Irland hat es durch ein öffentliches Referendum vorgemacht und die Ehe auch für homosexuelle Paare geöffnet. Ich finde, das sollte auch in meiner Heimat möglich sein. Damit zumindest im Großen und Wichtigen das "fast" endlich zum "genauso" wird. Und damit ich und mein Partner, wenn die Zeit gekommen ist, alles dafür geben können, gute Eltern zu werden. So wie das meine Eltern für mich sind.


Fotos: © Filmstill "Weekend"

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