"Leute, die von sich selber behaupten, dass sie was verrücktes machen, kann ich nicht ab." – Ein Interview mit Jonnie Schulz
Seine Countryband bestand aus vier Personen, von denen zuvor keiner Country hörte. Sie fielen durch außergewöhnliche Aktionen auf. Zum Beispiel hatten sie eine Senfkanone, mit der ihr Publikum vollgespritzt wurde, oder luden zu einer BBQ Gala, bei der sie mit ihrer Musik und Bühnenshow Fleisch thematisierten. Der ehemalige Drummer Jonnie Schulz hat seine Erinnerung an die Bandzeit nun in seinem Debütroman "Kein Zutritt für Hinterwäldler" festgehalten. Als besonderes Leckerli stand mir der Autor Jonnie Schulz via E-Mail Rede und Antwort.
Ein Grundpfeiler eurer Geschichte ist ja, dass ihr nie wirklich erfolgreich wart. Ihr habt eure Zeit als Band angeblich dennoch sehr genossen. Was, denkst du, wäre heute anders, wenn ihr erfolgreich gewesen wärt?
Ich würde gar nicht mal sagen, dass wir nicht erfolgreich waren. Wir haben zwar kein Geld verdient, aber wir haben gemacht, was wir wollten, und hatten absolute Die-Hard-Fans. Ich glaube, wenn wir im kommerziellen Sinn erfolgreicher gewesen wären, dann hätten wir sicherlich mehr Konzerte gespielt, in denen wir nur noch reproduziert hätten. Da hätte die Herausforderung gefehlt, das wäre langweilig gewesen und dann hätten wir uns früher oder später zerstritten.
Du schreibst, es sei die verrückteste Zeit deines Lebens gewesen. Was war das verrückteste, skurillste oder absurdeste Erlebnis?
Leute, die von sich selber behaupten, dass sie was verrücktes machen, kann ich nicht ab. Daher boykottiere ich die Frage.
Ich habe mir viele Bilder von eurer Bandzeit angeschaut und war völlig baff und fasziniert. Verrätst du mir euer Beautygeheimnis?
Wir haben uns mal auf einem Country Festival auf der Reeperbahn inspirieren lassen. Wir wollten wissen, wie die Szene so tickt, und da schaut man sich am besten ein paar Originale an. Dann hat jeder seinen Charakter und seine Persönlichkeit eingebracht, denn es war uns wichtig, nicht so 'ne geleckte Band zu machen, in der alle total cool mit Cowboyhut, Sonnenbrille und Unterhemd rumlaufen. Meine Ballonseidenanzüge hab ich mir vom Flohmarkt geholt, Boots auch. Heutzutage würde ich dir Humana empfehlen.
Eure Senfkanone ist berühmt-berüchtigt. Wie hoch war euer Senfverbrauch über die Jahre?
In die Senfkanone passten ca. sieben bis acht Liter, damit konnte man einen kleinen bis mittleren Club ganz gut eincremen. So mancher Veranstalter stellte sich leider als Senfmuffel heraus, deshalb konnten wir das flüssige Gold nicht immer einsetzen. Aber insgesamt tippe ich auf 50 Liter. Die BBQ Gala ging ja auch nur ein Jahr.
Senf wird oft zu Fleisch gegessen. Und somit kommen wir nun auch schon zu dem für mich verrücktesten Fakt: Eure Band bestand zum Großteil aus Vegetariern oder Veganern und ihr habt euch als Showthema „Fleisch“ überlegt. Welchen Fleischersatz habt ihr dabei an den Mann gebracht? Hat sich je ein Fleischesser über den Ersatz beschwert? Und wie war das Thema moralisch für euch vertretbar?
Ich selbst bin Veganer und genau das machte die Sache für mich interessant. Das war vermutlich der Reiz des Verbotenen. Wir wollten nicht nur das Publikum sondern auch uns selbst provozieren und die Grenzen ausloten. Über moralische Fragen haben wir uns da keine Gedanken gemacht. Wir haben uns immer gerne selbst verarscht und da war diese Fleischnummer nur konsequent. Damals haben wir den Leuten sogenannte Hamlets serviert, das waren aus einer Sojahackmischung geformte kleine Würste. Beschwerden kamen immer mal wieder. Manche Vegetarier haben sich da nicht rangetraut, weil sie dachten, es wäre Fleisch, und manche Fleischesser hätten lieber was Totes auf der Wurstpappe gehabt.
Ihr habt euch, sehr zu Freude deiner Omi Hilde, auf Country- / Westernmusik festgelegt. Habt ihr außer der Kleidung noch weitere Klischees erfüllt wie etwa Bullenreiten oder in Stiefel pinkeln?
In Stiefel pinkeln? Ist das nicht eher bei der Bundeswehr? Wir wollten mal so einen elektrischen Rodeobullen mieten für ein Konzert, das war für uns aber leider unbezahlbar. Wir haben dann stattdessen einen Maschendrahtzaun vor der Bühne gespannt, damit die Leute ordentlich mit Flaschen werfen können. Die haben sich aber leider ziemlich geziert.
In deinem Buch gibt es ein Stelle, die ich hier gern zitieren würde: „Und das war auch gut so. Genau genommen hatten wir sogar beschlossen, überhaupt keine Interviews mehr zu geben, seitdem Butch und Digger aus Langeweile über ihre unoriginellen Fragen eine von Höhenangst geplagte Berliner Internet-Reporterin mit ins Riesenrad genommen hatten.“ Und nun schreiben wir ja doch miteinander. Was müsste passieren, damit du nie wieder ein Interview gibst?
Meine Lieblingsfrage war schon zu Lebzeiten der Band „Läufst du immer so rum?“. Das wurden wir damals dauernd von irgendwelchen durchgestylten Punks gefragt, die vermutlich unsere ideologische Einstellung überprüfen wollten. Und bei so viel Fantasie konnte ich immer nur noch weglaufen.
Drummer in einer Band, da bricht man ja sicher hin und wieder eine der 7 Todsünden. Dir als Show-Pfarrer müssten sie ja mehr als geläufig sein. Welche brichst du selbst am häufigsten?
Grundsätzlich muss man sich immer mal Sünden leisten, das ist nur natürlich und menschlich. Wir sind ja auch immer für Outlaws und Unterprivilegierte in die Bresche gesprungen. Was mich persönlich angeht, schau dir meine Fotos an. Das kann nur die Eitelkeit sein.
Stell dir vor, du könntest eine neue Bibel schreiben. Quasi eine Bibel 2.0., wie würde sie aussehen?
Ehrlich gesagt fand ich es schon langweilig, aus der Bibel vorzulesen, da will ich bestimmt keine zweite schreiben. Aber heutzutage wäre das wahrscheinlich ein Internetblog oder eine SMS.
Wir schreiben nun keine Bibel sondern einen Blog mit Tipps für Berlin. Du bist Donnerstag selbst in Berlin, um uns vorzulesen. Wie auch in deinem Buch erwähnt, haben wir hier angeblich die härteste Türpolitik. Hast du einen Tipp für unsere Leser, um an den Türstehern vorzukommen?
Wenn man nicht gerade ein übersteigertes Selbstbewußtsein hat, das dem Türsteher vermittelt, dass man ein gottgegebenes Recht hat, sich in den von ihnen bewachten Räumlichkeiten aufzuhalten, dann würde ich immer zur Kumpelstrategie raten. Einfach behaupten, dass man irgendwen wichtigen in dem Laden kennt, damit hat man die größten Erfolgschancen. Auf keinen Fall sollte man mit Typen wie Meier, der ja auch Türsteher ist, Streit anfangen. Das geht immer nach hinten los.
Ihr könnt Jonnie am Donnerstag im Monarch beim Vorlesen zuhören. Start ist 19 Uhr.
Außerdem verlosen wir noch zwei Bücher. Verratet uns dazu euer liebstes (fleischloses) Gericht in den Kommentaren.
Gewonnen haben Bastian und Sven!


