An der Ecke: Eberswalder Strasse / Schönhauser Allee
Ein sehr freundlicher Motzverkäufer hechtet zum Eingang und hält mir die Tür auf, als wäre es sein Palast. Drinnen schlafen zwei seiner Kumpels, dazwischen stehen sechs Leute artig aufgereiht an den Geldautomaten. 5 Minuten Stille. Der Automat gibt mir einen 50ziger raus, der nette Motzverkäufer reißt mit großer Geste die Tür auf. Ich sage Danke und nuschele enstschudigend “Kein Kleingeld”. Er sagt “Carpe Diem!”. Ich frage “Wie bitte?” und er sagt es noch einmal: “Carpe Diem, jenieß dein' Tach, wa?”
Eine Bahn fährt ein und spuckt über zwei Treppen Leute aus, die sich hinter der roten Ampel sammeln. Grün. Die ersten Flohmarktbesucher kommen zurück. Alle schlängeln sich hastig aneinander vorbei. Ein sehr kleiner Junge trägt einen großen Spiegel über die Straße. Ein Mädchen hat ihren Hund in der Handtasche. Drei schnittige Typen mit Rennrädern plazieren sich hintereinander vor der Fahrradampel. Ein älteres Pärchen trägt große Plastiktüten von Netto. Sein Schlips passt zu ihrer Jacke. Ich mache ein Foto. Sie freut sich sehr, ihm ist es sehr peinlich.“Wir haben es eilig”.
Sonntag um eins. Rushhour. Ich gehe auf die Verkehrsinsel und entdecke hinter dem Kebap Laden einen Asia Imbiss, einen Sandwichshop und einen Smoothieshop. Noch nie gesehen. Es herrscht gähnende Leere. Fünf Meter von der Ampel entfernt ist man hier auf der Insel schon irgendwo im Nirgendwo. Ich setze mich mit meinem Saft auf die Treppen zur Bahn. Ein sehr schönes Mädchen steht mit ihrem Freund und einem Kronleuchter an der Strasse.
“Wo ist denn jetzt die Kastanienstraße?” fragt mich eine Frau mit Stadtplan. Sie ist mit ihrem Mann aus Kiel da, sie finden es schön hier. "Kiel ist konzentrierte Provinz" sagt sie. Sie klatschen für den Jungen mit Gitarre. Er spielt für einen Flug nach Indien. Ich gebe ihm 80 Cent. Er hat ja noch bis Weihnachten. Ein Mann um die 30 kommt mit einem vollbepackten Fahrrad auf die Insel. Er lädt fünf große Farbeimer von seinem Gepäckträger, zieht seinen Pullover aus und bindet sich die Haare zusammen. Dann setzt er sich hinter seine Eimer und verharrt so mit geschlossenen Augen einige Minuten. Niemand außer mir scheint ihn zu sehen. Plötzlich ertönt Musik, er hebt dramatisch die Arme und haut auf die Eimer. Sein Verstärker ist sehr laut und er ist ziemlich gut. Es sammelt sich ein kleine Traube Menschen. Mittendrin steht begeistert ein Mädchen Anfang 20 und sagt mit starkem italienischen Akzent: “Wow, this feels like New York in the 80s".
"Jetzt können wir uns entfalten"
"I hate artists that don't make art"
"Das Schönste an Berlin ist unser Sohn"