Modevergnügen #126 – Wie sieht die Zukunft des Modejournalismus' aus, Melissa Drier?

Wir haben hier schon oft über die Zukunft des Journalismus geschrieben, über Finanzierungsmodelle, persönliche Schicksalsschläge und guten vs. schlechten Journalismus. Zahlreiche Modeblogs und Instagram-Accounts machen auch dem gedruckten Modejournalismus schwer zu schaffen, wie die Entlassungswelle bei der Brigitte demonstrierte. Wir wollten deshalb wissen, wie es eigentlich um den Modejournalismus bestellt ist, und das von einer Frau, die es wissen muss: Modejournalistin Melissa Drier.

Im Auftrag der Women‘s Wear Daily kam Melissa Drier (62) vor fast 30 Jahren nach Berlin, um die Modewelt in Europa und vor allem in Berlin zu erkunden. Heute schreibt sie noch immer für WWD, ist aber mittlerweile die bekannteste deutsche Modejournalistin. Ich bin vor dem Interview ein bisschen aufgeregt, weil Melissa Drier für mich DIE Modejournalistin schlechthin ist. Ich besuche sie in ihrer großen Schöneberger Altbauwohnung, in der vor allem das große, volle Bücherregal auffällt und die vielen Zeitungen, die in ihrem Wohn- und Arbeitszimmer liegen.

Hallo Melissa! Wann warst Du das letzte Mal auf Instagram?
Ich bin eine Social-Media-Virgin. Ich benutze sowas gar nicht.

Das ist mal ein Statement! Bei der Brigitte wurde letzten Monat ein Großteil der Redaktion entlassen und durch eine freie Redaktion ersetzt. Kann eine Modezeitschrift eigentlich nur mit einer freien Redaktion bespielbar sein?
Die Verlage in Deutschland, aber auch international, schrauben in vielen Dingen sehr zurück. Sinnvoll ist das sicherlich nicht – außer für die Personen im Accounting Departement. Es gab natürlich Zeiten, in denen alles viel zu aufgeblasen, viel zu verschwenderisch war. Aber man kann die Arbeit nicht mit niemandem tun! Ich sehe mich selbst: Meine Arbeit mache ich größtenteils an meinem eigenen Schreibtisch, es fällt mir schwer, ohne eine wirkliche Zusammenarbeit mit aktiven Leuten um mich herum zu produzieren. Es fehlt oft ein Team. Diese Entwicklung finde ich gefährlich. Ob ich so in das verliebt war, was Brigitte gemacht hat? Nein, ich weine nicht darum. Da sind mir andere Zeitschriften, die in Gefahr sind, wichtiger. Die Brigitte ist ein sehr kommerzielles Blatt und das hat natürlich mit der Führung zu tun.

Um welche Zeitschriften würde es Dir mehr leid tun?
Ich bin einfach ein bisschen exzentrischer, was meinem Geschmack angeht. Ich bevorzuge kleinere und exzentrische Zeitschriften. Es ist ja leider so, dass alles, was uns an Inhalten in den größeren Magazinen geboten wird, gleich ist. Ich sehe nichts Besonderes und ich lerne nichts mehr beim Lesen dieser Magazine. Der Markt besteht aus Einheitsbrei – nicht nur in Deutschland.

Wo führt uns das hin?
Natürlich sind wir an einem seltsamen Wendepunkt und niemand weiß, wie es weitergehen wird. Ich würde sagen, es ist Zeit für neue Ideen, aber es ist eben nicht die Zeit, um Geld zu sparen. Die ersten Überlegung sollte doch sein: Für was will man überhaupt Geld ausgeben? Doch zum Beispiel nicht für die immer gleichen Shootings an den immer gleichen Orten. Man könnte so viel mehr und vor allem anders tun!

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Du sagst also, wir könnten mit ein wenig Umdenken etwas ändern. Wie könnten denn die Printmedien neue Konzepte entwickeln, um sich beispielsweise von den Onlinemedien abzusetzen?
Ich habe gerade mit einem Freund gesprochen. Er liest derzeit einen etwas längeren Artikel, über welchen wir ins Gespräch kamen. Wir würden es beide besser finden, wenn Printartikel mehr Tiefe und mehr Text hätten. Es sollte nicht immer alles nur kurz und schnell sein. Es tut weh, wenn man zehn Seiten online auf dem Bildschirm liest. Oder die Modefotos, die ein großes Format benötigen, auf dem Bildschirm anschaut. Die Bewegung in den Fotos geht auf dem Bildschirm verloren. Darüber können sich Printmedien von den Onlinemedien abheben: großes Format, lange Geschichten.

Aber Du kommst auch aus einer anderen Generation.
Das stimmt. Ich bin nicht in den Bildschirm verliebt. Ich bin es einfach nicht. Ich weiß aber auch, dass es für andere Generationen normal ist und eben das, was sie kennen. Wenn ich mit Personen aus der digitalen Welt spreche, sagen diese selbst, dass in fünf Jahren alles anders sein wird. Auch wenn wir über die digitale Welt reden, reden wir über einen Wendepunkt, der letztendlich auch erst fünf oder zehn Jahre her ist. Das heißt, dass wir jetzt noch keine Ahnung haben können, wo wir in fünf oder zehn Jahren stehen werden.

Ich würde z.B. nie auf das Haptische verzichten wollen, ich liebe es sonntags mit Kakao in Magazinen zu stöbern oder DIE ZEIT zu lesen. Das beruhigt mich. Ich bin aber auch dankbar, dass ich unter der Woche meine Information schnell online beziehen kann. Ich könnte weder auf Print, noch auf Online verzichten. Du merkst selber, ich finde keine Lösung. Gibt es überhaupt eine Konkurrenz zwischen Print und Online, oder ergänzen sie sich vielmehr?
Sie ergänzen sich, ja, aber alles zusammen ist einfach zu viel! Ich stopfe nur noch Dinge in mich hinein. Wir brauchen einen bisschen mehr Freiraum, um selbst etwas zu kreieren, aber vor allem nachzudenken und nicht immer nur zu konsumieren, konsumieren, konsumieren. Aber ja, wenn dann lieber die Die Zeit und vor allem die Zeit nehmen.

Wie sieht also Deiner Meinung nach die Zukunft eines überlebensfähigen Modejournalismus aus?
Es stellt sich die Frage nach der Art des Modejournalismus. Der kritische Modejournalismus braucht Zeit, einmal für die Person, die einen Artikel schreibt und die Person, die den Artikel liest. Ich will als Leser vor allem wissen, wer da etwas schreibt. Ich möchte die Zeit haben, die Person hinter dem Artikel kennenzulernen. Woher kommen die Journalisten und in welchem Kontext schreiben sie die Artikel. Heute hat niemand mehr Zeit oder will sich Zeit nehmen. Und auch unsere Kultur trägt nicht dazu bei, sie ist keine kritische Kultur. Niemand kritisiert Dinge, dabei sollten wir mehr als je zuvor kritisieren. Es geht dabei nicht nur um Mode, wenn ich diese fehlende Kritik anspreche. Ich meine auch die Kunst – alles ist immer wunderbar, alles ist schön. Der Ton des Modejournalismus ist nicht der richtige. Wir müssen einfach mehr kritisieren.

Hast Du denn Kritik, die Du hier und jetzt äußern magst?
In Deutschland wird zum Beispiel seit 30 Jahren nicht über Mode gesprochen. Ein Beispiel hierfür ist die Fashion Week. Es wird nur über VIPs des zweiten, dritten Rangs in schrecklicher Kleidung geschrieben. Wie sollte man sich auch alle Shows anschauen und in Ruhe reflektieren? Wenn diese Artikel während der Fashion Week geschrieben werden, läuft schon die nächste Show – der erste Artikel ist dann schon längst nicht mehr relevant.

Und wie kann und sollte Deiner Meinung nach die von Dir angesprochene Kritik aussehen?
Auf jeden Fall nicht indem man sagt: I like it or I don't. Es muss ein "Weil" und ein "Warum" hinzugefügt werden. Aber: looking, writing, reading… das ist der Ablauf heute. Würde das funktionieren? Alles ist doch dann schon online gelesen. Man hat das Gefühl, dass alles, was in Magazinen erscheint, schon alt ist. Aber es liegt ja nicht nur an dem Modebusiness an sich, sondern an unserer Gesellschaft. Wir schwimmen in einer Flut von Eindrücken und Informationen, die keinen Inhalt haben, da gibt es keine Ent- sondern nur Beschleunigung. Die Burburry Pre-Fall-Kollektion 2015 ist schon draußen, aber wer will das alles? Der ganzen Modeindustrie droht ein Zusammenbruch, man kann nicht jede Saison einen solchen Rhythmus halten und dabei etwas völliges Neues kreieren. Und will man überhaupt immer etwas Neues? Dazu kommt, dass es dann ja auch gar nicht wirklich neu ist. Wir haben alles schon einmal gesehen.

Das heißt, der Kreis der Trends und der Kollektion der Modeindustrie dreht sich für Dich immer schneller?
Ja, erst ist etwas in, dann wieder out und dann wieder in. Man kann vieles einfach im Kleiderschrank hängen lassen. Früher musste man die Kleidung vielleicht fünf bis sechs Jahre hängen lassen, bis der Kreis sich einmal gedreht hatte. Heute nur noch sechs Monate und dann kommt alles wieder.

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Und wie wirkt sich das auf das Frauenbild aus?
Diese ultra-nuttigen Styles, die die letzte Dekade oder so dominiert haben – da frage ich mich wirklich, wie sich Frauen selbst sehen. Natürlich gibt es immer Alternativen, aber was ich gern als "this sexy shit" bezeichne, wird immer gefördert und scheint sich am besten zu verkaufen. Jede Frau will sexy und attraktiv auf ihren (potenziellen) Partner wirken, aber ich komme aus einer Zeit, als Frauen sich gut anzogen, um sich selbst zu gefallen – und als Nebeneffekt eben auch anderen gefielen. Es war der Sommer der Liebe, späte 60er und die psychedelischen 70er Jahre, also reden wir hier auch nicht von Prüderie. Wir sahen oft trashig aus, aber aus Spaß und um die vorherrschenden Rollenbilder durcheinander zu bringen. Es ging natürlich auch um Freiheit. In meinen Augen hat die Kleidung heute keinen Humor mehr, nichts spielerisches. Ich bewundere Dita von Teese und andere Pin-Up-Girls – darum geht's nicht. Aber all diese Daniela Katzenbergers... ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Frau mit nur einem Funken Stolz – ganz zu schweigen von Geschmack – unbedingt die billigsten Fantasien der geschmacklosesten Männer bedienen möchte. Die meisten Pornofilme sind ziemlich hässlich und ich habe das Gefühl, dass ich in der Modewelt auf einmal in irgendwelchen illegalen Pornofilmen gelandet bin. Das ist doch keine Freiheit. Und vom Style-Standpunkt ein Mega-Albtraum. Wiederum erzählte mir ein Freund, der Designer in London ist, dass er eine Freundin hat, die genau diesen nuttigen Look kultiviert. Sie ist eine sehr kluge und selbstbewusste Frau und argumentiert, dass es sie als Frau stärkt, wenn sie sich so kleidet. Da hast du's! Andere Länder, andere Sitten – von den Generationen ganz zu schweigen.

Was könnte denn die Moderedakteurin in der Zukunft ausrichten, wie müsste sich das Berufsbild ändern?
Wir müssten Attribute der Bloggens aufgreifen, das ist meine persönliche Meinung. Über den Tellerrand der großen Designer gucken. Es gibt so viele gute Designer und Labels da draußen, aber in Printmagazinen sehen wir immer die gleichen Sachen. Ich liebe Prada, aber was ich wirklich nicht verstehen kann, ist: Warum erlaubt eine große Marke, dass jede Zeitschrift das gleiche Outfit abbildet? Was ist mit dem Rest der Kollektion? Wir müssten mehr daran denken und arbeiten, wie man etwas zeigt, darstellt und sagt. Ich sehe nichts mehr Neues!

Sind Blogger heutzutage die besseren Modejournalisten?
Ich brauche keine Blogs, es hilft mir auch nicht. Vielleicht bin ich auch zu Ich-bezogen. Ich habe meine Freude darin gefunden, Dinge selbst zu entdecken. Wenn ich reise, lese ich davor keinen Blog, ich will es selbst herausfinden. Ich finde, es macht keinen Spaß, das alles schon vorher auf dem Papier stehen zu haben. Es gibt natürlich Blogger, die sehr gut schreiben, aber das ist nur eine stilistische Übung für mich. Aber es nicht zu leugnen, dass Blogger das Ich zurück bringen. Modejournalismus war einmal so, es gab bekannte Modejournalisten mit Persönlichkeit. Wenn ich heute meinen Mund aufmache und Kritik äußere, dann nicht im Print. Das ist nicht das, was New York von mir braucht. Sie wollen nüchterne Beschreibungen und wenn sie zu kritisch sind, dann wird das nicht gedruckt. Alles muss schön sein, der Werbung entsprechen. Und das ist leider die Realität, dass wir die Werbung zum Überleben brauchen. Aber wir bräuchten eben auch ein bisschen mehr Raum und Platz in den Zeitschriften und natürlich die Zeit, um Kritik zu formulieren.

Könnte sich das nicht Print zum Vorteil machen, längere Artikel und ausführliche Kritiken zu schreiben, um sich von Onlinemedien abzusetzen?
Vielleicht sollte ich euch fragen: Würdet ihr längere und vor allem kritischere Artikel im Print lesen?

Was wäre, wenn diese Räume geschaffen werden würden?
(Melissa lacht) Du weißt, wie deine Deadlines sind, da gibt es keine Chance auf Räume und Zeit.

Vielen Dank, Melissa!

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Wer noch mehr über Melissa lesen und erfahren möchte, kann täglich auf www.wwd.com von ihr lesen. Treffen werdet ihr sie vielleicht auch bald in Kreuzberg, wo sie eine alte Bäckerei zu ihrem neuen Zuhause macht.


Fotos: Milena Zwerenz
Buch, Mit Vergnügen, Berlin für alle Lebenslagen
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