Zwei Berliner Fotografen zeigen uns die Realität der Flüchtlingskrise an den Grenzen Europas
Wir schreiben hier bei Mit Vergnügen jede Woche über die Situation Geflüchteter in Berlin. Was die Menschen, die es zu uns geschafft haben, schon hinter sich haben, entzieht sich allerdings zumeist unserer Vorstellungskraft.
Jim Kroft lebt eigentlich als Musiker und Künstler in Berlin. Im letzten Jahr hat er sich mit seinem Projekt “Journeys” nach China, Russland und Ost-Afrika aufgemacht, um mit Gitarre, Kamera und Rucksack die Welt aus einer neuen Perspektive kennenzulernen. Vor einigen Tagen habe ich auf Jims Facebook-Seite gesehen, dass er mit einem Freund, dem Fotografen Bastian Fischer, über die Balkanroute nach Lesbos gefahren ist, um dort vor Ort bei der Ankunft von Geflüchteten zu helfen.
Jims Beschreibungen haben mich geschockt, aber auch dazu gebracht, mehr über diese Reise erfahren zu wollen. Zwischen den Rettungswesten, die Ai Wei Wei als politisches Kunstwerkt für die "Cinema for Peace"-Gala am Berliner Konzerthaus angebracht hat, und dem nackten Überlebenskampf von Menschen liegen schließlich Welten.
Wieso hast du dich dafür entschieden, diesen Roadtrip zu machen?
Basti und ich haben die Entwicklung der Krise schon länger aus der Ferne betrachtet und ich wollte die ganze Zeit etwas machen. Aber wie viele Menschen habe ich mich hilflos gefühlt und mir die Frage gestellt, was ich als Einzelner eigentlich tun kann? Mit der Frage habe ich mich dann rumgeschlagen, bis ich im Oktober in einem Flüchtlingsheim in Köln ein Konzert gespielt habe. Dort ist mir klar geworden, dass das größte Problem für viele Menschen in den Camps Langeweile ist. Je mehr Zeit nach dieser Erfahrung vergangen ist und als dann noch die Attacken über Silvester in Köln und Hamburg passiert sind, wusste ich, dass wir jetzt wirklich was tun müssen.
Mich hat es unfassbar besorgt, wie schnell die Stimmung umgeschlagen ist von einer Willkommens-Atmosphäre zu einer Situation, die mir echt Bauchschmerzen bereitet. Die “Rechte” hat in Europa lange geschlafen, aber durch die Krise wurde sie nun wieder aufgeweckt. Das, was jetzt passiert, passiert nicht nur an den Grenzen Europas, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Ich bin mir sicher, dass wir alle in diesem Moment eine wichtige Rolle spielen, denn das sind gefährliche Zeiten für ein vereintes Europa. Offen zu bleiben und nicht radikal zu werden – egal, ob politisch rechts oder links –, ist deshalb wirklich wichtig und die Aufgabe eines jeden Einzelnen.
Was ist deine Rolle als Künstler in einer solchen Situation? Kann Kunst eine Kommunikationsform sein, nach allem was diesen Menschen passiert ist?
Ich habe mir darüber von Anfang an viele Gedanken gemacht. Welche Rolle spielt Kultur angesichts einer humanitären Krise? Ich habe sogar darüber nachgedacht, meine Gitarre nicht mit auf den Trip zu nehmen. Aber bis jetzt habe ich in dieser gesamten Situation eine Sache gelernt: Wir brauchen Kultur mehr als jemals zuvor. Der Journalismus beschäftigt sich mit der Makroebene und dabei geht es meistens immer nur um Flüchtlingszahlen. Die Politik ist auch nicht in der Lage mit der Situation umzugehen und eine einheitliche Strategie zu entwickeln. Durch unsere Kultur können Ideen ausgetauscht werden, Menschen können sich begegnen. Kultur hat die Möglichkeit, radikalen Ansichten und extremer Politik etwas entgegen zu setzen.
Was war auf deinem Trip bisher die schwierigste Situation für dich?
Wir haben uns auf diesen Trip begeben, um eine Dokumentation zu machen. Als wir in Lesbos waren, habe ich nachts gefilmt und ein Boot in ganz schlechtem Zustand ist angekommen. Wir sprechen hier von einem Boot, das mitten im Winter auf dem Meer wegen eines Motorschadens ausgefallen ist. Alle Menschen waren komplett unterkühlt. Babys standen zwischen Leben und Tod. Mir ist in dem Moment bewusst geworden, das jede einzelne Hand gebraucht wird.
Da war ein kleines Mädchen, so um die acht Jahre alt, um die ich mich gekümmert habe, weil sie komplett durchnässt war. Sie ist dann in meinen Armen zusammen gebrochen. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Ich dachte sie stirbt in diesem Moment. Es gab auch keine Ärzte, die sich kümmern konnten, weil die gleichzeitig versucht haben, am Strand einen Vierjährigen wieder zu beleben. Da habe ich Panik bekommen und schließlich angefangen, dem Mädchen die nassen Sachen auszuziehen. In dem Moment ist sie aufgewacht und hat sich natürlich furchtbar erschrocken, dass sie von jemand Fremden ausgezogen wird. Ihre Mutter ist dann aufgetaucht und ich habe ihr meine warmen Sachen angezogen und sie weiter umarmt, damit sie warm bleibt. In dem Moment hat sie angefangen zu grinsen und das war bis jetzt der beste Moment meines Lebens. In dem Moment habe ich verstanden, dass Sara, dieses kleine Mädchen, mir die Kraft gibt, mit diesen Dingen umzugehen und nicht anders herum. Wenn ich zurück in Berlin bin, werde ich jetzt ein Benefizkonzert für die Finanzierung eines Boots veranstalten und dieses Boot werde ich Sara nennen.
Die Zerbrechlichkeit des Lebens sollte die Debatte bestimmten und nicht die paranoide Angst vor dem Fremden.
Kannst du mit den Dingen, die du bisher erlebst hast, umgehen? Oder wird dir manchmal alles zu viel und macht dir Angst?
Ich habe auf diesem Trip zwischendurch immer wieder Momente gehabt, in denen ich Angst und Panik hatte. Besonders in den ersten Tagen war es schwierig für mich. Nur weil du einen Geflüchteten aus einem Boot rettest, ändert es ja nichts daran, dass das für alle Beteiligten eine psychisch anstrengende Situation ist. Dass man selbst stabil bleibt ist ja genauso wichtig wie jemanden zu retten. Aber ich habe schon immer nach dem Prinzip gelebt, dass ich mich nicht von meiner Panik beherrschen lasse. Ich wollte nie, dass diese Angst meine Art zu Leben bestimmt. Der Gedanke, einfach nur zuhause in einem Raum sitzen zu bleiben und mich diesen Situationen nicht auszusetzen, hat mich immer dazu gebracht, raus zu gehen und zu sagen: "Okay life, let’s do this dance."
Hat diese Reise deine Idee von Europa verändert?
Ich bin stolz, Europäer zu sein. Die zentrale europäische Idee ist für mich, dass wir nach 2000 Jahren, in denen wir versucht haben, uns gegenseitig umzubringen, jetzt an einem Punkt angekommen sind, an dem uns die Kostbarkeit des menschlichen Lebens bewusst geworden ist. Und das ist für mich eine wichtige Erkenntnis, die als logische Folge hat, dass man anderen Menschen helfen muss, egal, was in der Politik passiert. Ich verstehe die gesamte Komplexität der Flüchtlingskrise, aber ich denke, wir sollten uns trotzdem gerade jetzt von der Humanität leiten lassen.
Was sollten die Menschen deiner Meinung nach über die aktuelle Situation wissen?
Das Allerwichtigste ist, dass jedes Menschenleben gleich viel wert und wichtig ist. Wenn man sieht, was diese Menschen alles hinter sich haben, merkt man, wie kostbar das Leben eigentlich ist. Wenn man ein Mädchen zwischen Leben und Tod im Arm hält, wird man sich der Fragilität diesen Lebens bewusst. Es ist, glaube ich, sehr wichtig, dass man die Diskussion in den Medien und in der Politik von der Ebene der Geflüchteten runterbricht und auf die einzelnen Schicksale schaut, denn nur dann kann man diese Krise wirklich verstehen. Die Stimme dieser Menschen darf nicht verloren gehen. Die Presse setzt sich immer nur mit Zahlen auseinander, aber das hier sind individuelle Menschen mit eigenen Geschichten. Jeder, der auf dieser Reise sein Leben riskiert hat, hat eine eigene Geschichte zu erzählen. Ich kann nicht erklären, was diese Menschen durchgemacht haben, aber seit ich hier bin, habe ich gelernt, dass die Zerbrechlichkeit des Lebens eigentlich die Debatte bestimmten sollte und nicht die paranoide Angst vor dem Fremden.
Wir sollten uns gerade jetzt von der Humanität leiten lassen.
Gibt es etwas, was wir aus der Ferne tun können, um die Situation zu verbessern?
Ich werde ein Benefizkonzert für spanische Feuerwehrmänner, die auf Lesbos für Proem Aid arbeiten, veranstalten. Für die wird dann das “Sara”-Boot gekauft. Wir wollen außerdem in 48 Stunden mit verschiedenen Künstlern ein Album aufnehmen, das gleichzeitig in Berlin, Spanien, London und Los Angeles produziert wird. Das wird eine Herausforderung, aber bestimmt auch ziemlich spannend. Es wäre natürlich toll, wenn viele Leute zu unserem Konzert kommen. Weitere Organisationen, die meiner Meinung nach unsere Unterstützung verdienen, sind The Hope Centre, Elepsis und Movement On the Ground.
Was mir Einheimische auch immer wieder gesagt haben: Lesbos wird jetzt gerade von einer doppelten ökonomischen Krise getroffen, der griechischen Finanz- und der Flüchtlingskrise. Im Moment würde es fast am meisten Sinn machen, Urlaub in Lesbos zu buchen und dort hinzufahren. Die einheimischen Menschen werden nämlich in dieser gesamten Misere auch häufig vergessen, dabei trifft sie diese Situation auch sehr hart.
Ihr könnt die weitere Reise von Jim Kroft und Bastian Fischer bei Facebook und Instagram verfolgen. Zur Zeit werden auch überall Zelte benötigt, um die ankommenden Menschen unterzubringen, Informationen, wie ihr direkt helfen könnt, findet ihr auch auf den Facebook-Seiten der Beiden. Hier geht es zum Benefizkonzert.
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Fotos: © Jim Kroft & Bastian Fischer