Keine Sprühdosenliebe! Es ist nicht das Vermissen, das schmerzt.

Jeden Tag laufe ich von meiner Wohnung zur U-Bahn Station Bernauer Straße, um von dort aus in die verschiedenen Berliner Ecken zu gelangen. Ich mag meinen täglichen Weg. Ich mag es die Polizisten zu mustern, die vor einem jüdischen Gemeindehaus Wache halten. Ich mag es, im Vorbeigehen die bunten Schnittblumen im Schaufenster der Floristin zu betrachten. Und ich mag die U8 als Linie, weil sie die wichtigsten Stadtteile – Mitte, Kreuzberg und Neukölln – so souverän miteinander verbindet. Ich mag meinen Weg. Eigentlich.

"Wir brauchen Drama!"

Seit ein paar Wochen fügt eben dieser Weg, oder genauer gesagt ein Stückchen Asphalt, meinem Brustkorb allerdings pulsierende Stiche zu. Stiche, die mir den Anfang eines jeden Tages besonders schwer machen, weil sie emotionale Wunden wieder aufreißen, die ich eigentlich in mehreren schweren Operationen mit Freunden, Rotwein und viel Ablenkung feinsäuberlich zusammengenäht hatte. Wenn ich über die erste Treppenstufe meiner U-Bahn-Station trete, möchte ich aktuell nur die Augen schließen, obwohl das auch nicht helfen würde, da ich ja genau weiß, was ich dort gekonnt ignoriere. Auf diese Schwelle hat ein zurückgewiesener Jemand mit weißem Graffiti „Du fehlst mir“ gesprüht. Weil die Welt ironisch oder mein Leben doch die Truman Show ist, in der der Regisseur „Wir brauchen Drama!“ gerufen hat.

Vor vier Wochen habe ich mit dir Schluss gemacht und wenn ich Bekannten von unserer Trennung erzähle, verstehen sie meine nachhängende Traurigkeit meistens nicht. Ich habe Schluss gemacht, also solle es mir doch gut gehen, sagen sie dann. Ich habe Schluss gemacht, also solle ich feiern. Ich solle weitermachen und leben. Zurück in den Datingpool. Raus. Das Weitermachen fällt mir aber schwer, denn du und ich – wir hatten eine gute Beziehung über den Sommer. Eine Beziehung, die schön war und solide. Du hast mir Blumen geschenkt und Schafskäse im Ofen überbacken und ich habe dir die Füße massiert und dich zum Lachen gebracht. Wir haben uns gegenseitig Bücher vorgelesen und auch wenn ich seit der Schulzeit traumatische Erlebnisse mit lautem Vorlesen verbinde, hast du mir das Gefühl gegeben, dass ich ein toller Vorleser bin und zumindest eine Person mir gerne beim Stottern zuhört. Wir haben eine Serie angefangen und weil ich Schluss gemacht habe, werde ich wohl nie wissen, wie es bei „Fargo“ weitergeht, weil ich sie ohne dich nicht sehen möchte. Du hast mir gesagt, wie gerne du mich hast. Und ich hatte dich gern.

Wir haben uns gezofft, nicht laut, sondern leise.

Trotz allem hat das mit uns nicht funktioniert. Wir haben uns gezofft, nicht laut, sondern leise. Hatten unsere Probleme und Streitigkeiten. Aber es waren nicht die Probleme und Streitigkeiten, die alltäglich sind und einfach lösbar, sondern die, die groß sind und mit der Zeit größer werden. Dann haben wir plötzlich nicht mehr gepasst, wenn du unsensibel warst und ich zu sensibel war und du stur warst und ich stur war und wir beide stark waren und den anderen schwach gemacht haben. Deswegen habe ich vor vier Wochen Schluss gemacht und wir beide wussten wahrscheinlich, dass unsere getrennte Zeit im herbstlichen Laubfall schmerzhaft wird und trotzdem sein muss.

Es ist die Erkenntnis, dass nicht jede Liebe eine Sprühdosenliebe ist, die meine Vorstellung entzaubert hat.

Doch es ist nicht das Vermissen an sich, was mir die Stiche verpasst, wenn ich diesen Satz auf der Treppenstufe sehe. Es ist unser beider Unwillen, um die Beziehung zu kämpfen, der mir weh tut. Es ist die Tatsache, dass ich in diesem Moment keine Boombox über meinen Kopf strecke und unseren Lieblingssong von Coldplay abspiele, um die Beziehung doch noch zu kitten. Oder dass nicht du das „Du fehlst mir“ gesprüht hast, um mich doch noch von dir zu überzeugen. Es ist die Erkenntnis, dass nicht jede Liebe eine Sprühdosenliebe ist, die meine Vorstellung entzaubert hat.
Wahrscheinlich erfahre ich diese Entzauberung ziemlich spät im Leben und die meisten Menschen wissen schon, dass manche Beziehungen einfach enden, weil man nicht mehr zusammenpasst oder vielleicht auch nie gepasst hat. Weil man zwei Planeten ist, deren Gravitation sie in verschiedene Richtungen bewegen. Das musste ich lernen.

Als ich heute die Treppen der Bernauer Straße wieder emporsteige, reißen die Wunden zum ersten Mal weniger auf, weil ich mir bewusst mache, dass es die große und bedingungslose Liebe da draußen ja trotzdem gibt. Schließlich hat ein unbekannter Jemand eine Dose Graffiti im Skatershop gekauft, ist in einer Nacht- und Nebel-Aktion zur U-Bahn-Station gefahren und hat hier „Du fehlst mir“ gesprüht. Dieser Jemand war nur leider ein anderer. - Das sind nicht wir.

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Titelbild: © Julius Kraft

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