Kein Zombiefilm: Die Toten kommen

Die ganze Stadt ist vollplakatiert mit diesen Postern: "Die Toten kommen" steht darauf, und manche zeigen ein frisch ausgehobenes Grab. Was ist hier los? Hinter den Plakaten steckt das Zentrum für politische Schönheit, ein Künstlerkollektiv, das schon seit einigen Jahren mit aufsehenerregenden Aktionen die Ecken von Politik und Geschichte beleuchtet, die sonst ganz gerne unbeleuchtet bleiben würden.

Im November verkündeten sie den "Ersten Europäischen Mauerfall" und organisierten eine Fahrt zu den Außengrenzen der EU, wofür sie die Gedenkkreuze der Berliner Mauertoten entwendeten (und wenige Tage später wieder zurückbrachten). Damit wollten sie auf die Parallelen zwischen der "alten" und der "neuen" Mauer aufmerksam machen. Diese Woche sind sie noch ein Stück weiter gegangen, denn am Montag wurde verkündet: "Die Toten kommen". Nicht irgendwelche Toten, es sind Leichen von Flüchtlingen, die die Flucht über das Mittelmeer nicht überlebten, die teilweise sogar in Massengräbern verscharrt werden oder monatelang in Kühlhäusern lagern und dann schnell und einfach begraben werden, meistens nicht einmal den kulturellen Gepflogenheiten ihrer Herkunftsländer entsprechend.

Die toten Flüchtlinge bleiben anonym – weil die Behörden überfordert sind und die Politik kein Interesse an der Aufklärung zeigt

Die Toten bleiben anonym – weil die Behörden überfordert sind und die Politik kein Interesse an der Aufklärung zeigt. Zwar werden angeblich DNA-Proben von den Toten entnommen, die gefunden werden (denn die Dunkelziffer ist sehr hoch, wie man auf der Website der Aktion nachlesen kann), doch NGOs zweifeln das an. Sicher ist, dass eine Auswertung dieser Proben entweder gar nicht stattfindet oder sehr lange dauert. Als Reaktion auf diese unhaltbaren Zustände hat das ZPS in den vergangen Monaten einige Gräber exhumiert, Leichen identifiziert und plant in Zusammenarbeit mit Priestern, Imamen und vor allem Angehörigen der Verstorbenen, die Toten im Zentrum Europas zu begraben – in Berlin, vor dem Kanzleramt.

ZFPS

Dazu wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, da die Überführung und Beerdigung jedes einzelnen Toten vom ZPS mit 14.900 Euro veranschlagt wird (mittlerweile wurden schon weit über 40.000 Euro gespendet). Die ersten beiden Toten, eine syrische Mutter und ihr Kind, konnten so am Dienstag um zehn Uhr morgens auf einem muslimischen Friedhof in Berlin-Gatow bestattet werden. Ihr Mann und die älteren Kinder wurden gerettet und warten mittlerweile in Deutschland darauf, dass ihr Asylantrag bewilligt wird. Sie haben auch den Friedhof ausgesucht, doch durften wegen der Residenzpflicht nicht zur Beerdigung anreisen.

Weitere Beerdigungen sind im Laufe der Woche geplant, aber werden aus Vorsicht immer nur kurzfristig bekannt gegeben – die Transporter mit den Leichen wurden nämlich schon von der bayrischen Polizei angehalten. Zu jedem Begräbnis eingeladen sind auch die Bundeskanzlerin, der Innenminister de Maizière und weitere Entscheider aus Politik und Polizeibehörden, doch ihre Plätze auf der Ehrentribüne blieben am Dienstag zumindest leer.

Zahlreiche Medien, von Spiegel Online über Tagesschau bis Vice, haben über die Aktion berichtet, und trotz der offensichtlichen Provokation wird sie bislang überwiegend positiv aufgenommen. Am Sonntag soll ein "Marsch der Entschlossenen", angeführt von einem Bagger, die letzten Leichen vor das Bundeskanzleramt bringen und die "Baustelle" vor dem Bundeskanzleramt eröffnen. Für die Bundeskanzlerin haben sie für diesen Anlass zwei Reden geschrieben: Eine, die die üblichen Politikversprechungen abgibt, und eine, in der sie angesichts des Leids der Flüchtlinge ihren Rücktritt verkündet.

Dass das am Sonntag passiert und das die Grundsteinlegung für den geplanten Friedhof wirklich stattfindet, ist eher unrealistisch. Die Aktion ist trotzdem wichtig und stellt die richtigen Fragen.


Fotos: © Zentrum für politische Schönheit

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