Berlingeschehen – Wahnsinn im Bioladen

Ich hab mir gestern wieder Mut antrinken müssen, bevor ich in den Biomarkt ging: Es ist ein kleiner Laden, aber ich habe unerwartet Glück. Außer dem Verkäufer und mir ist niemand zu sehen. Eilig plündere ich die Kiste mit dem preisreduzierten Gemüse und lege die Sachen neben die Kasse. Nur schnell noch Milch, Sichtkontakt, Zugriff, search and destroy. Da höre ich die Türglocke klingeln.

Zwei Blondinen stehen vor der Kasse, sommerlich gekleidet, hübsch. Sehen eigentlich nicht aus, als wären sie irre. Aber das kann leider täuschen. „Die haben hier total gutes Mondbrot“, erklärt die eine. „Mohnbrot?“ „Nein, so mit Energie. Also die laden das Wasser bei Vollmond auf für den Teig. Was hier aus der Leitung kommt, trägt ja überhaupt keine Schwingungen mehr.“

Blümchen-Kaffee ist nicht so meins.

„Ihr wollt Brot?“, fragt der Kassierer und nähert sich zögerlich. „Ähh, nein... Wir wollten was von euren Trinkleckereien. Habt ihr vielleicht schon was Sommerliches? So Richtung Eiskaffee, Iced Macchiato? Du kannst da doch bestimmt was total Gutes mixen!“. Ich beobachte, wie die Mimik des Verkäufers in sich zusammenfällt. Im Grunde ist auch er einer von der verzauberten Liga. Typ Wandergeselle. Doch offenbar arbeitet er schon zu lange hier, um soviel gute Laune ertragen zu können.

„Milchshake könnt ich euch machen“, sagt er. „Hmm, nee. Dann nehm ich einen Macchiato mit Sojamilch. Und du? Cappuccino?“ „Nein, also... ich glaub, ich nehm tatsächlich einfach ’nen schwarzen Kaffee.“ Der Verkäufer setzt sich und die Maschine in Gang. „Und den schwarzen schön stark.“ „Ja, meinen Macchiato auch. Blümchen-Kaffee ist nicht so meins.“ Sie schaut sich beifallheischend nach mir um, bemerkt, dass ich ein Mann im geschlechtsreifen Alter bin, und sieht schnell wieder weg. Gemächlich tröpfelt der erste Espresso in einen Pappbecher. Mein Blick trifft den des Verkäufers und die Angst, die sich darin spiegelt, ist nur zum Teil meine eigene.

Wozu braucht man da noch Weltwirtschaftskrisen, Autounfälle, die Angst vor dem Tod? Der Wahnsinn liegt stets in greifbarer Nähe.

„Was ich schon immer mal fragen wollte: Sind eure Eier auch Bio?“ „Ja, natürlich.“ „Und was ist der Unterschied zwischen Bio- und Freilandeiern?“  „Das hat was mit dem Futter zu tun.“ „Ah, okay. Aber die Eier werden den Hühnern trotzdem einfach so abgenommen?“ Er stößt Luft durch die Nase. „Na, glaubst du, die Hühner werden gefragt?“ Ihrem pikierten Gesicht nach zu urteilen, hat sie genau das gemeint. Für einen Moment herrscht himmlisches Schweigen.

Der Verkäufer macht die Getränke fertig. „Ist das dann alles?“, fragt er fast flehend. „Nein, ich würd' nachher noch Kartoffeln mitnehmen. Die sind doch aus Deutschland?“ „Nein, Frankreich.“ „Oh, das ist mir aber schon ziemlich wichtig. Nein, vielleicht lieber mal, wenn ihr deutsche habt. Dann nehm ich heute nur zwei Kilo Orangen und eine Ananas.“ Damit verabschieden sie sich endlich auf die Terrasse. Ich stelle die Milch auf den Tresen. „Eins zwanzig“, sagt der Verkäufer. Ich deute fragend auf mein Gemüse. „Ach, nimm das ruhig so mit.“ Er hilft mir beim Einpacken.

Ich spüre, dass in ihm etwas gerissen ist. Vielleicht hat er den letzten Schritt in den Abgrund nun hinter sich. Draußen gehe ich langsam an den Blondinen vorbei, die fröhlich palavern, völlig im Einklang mit der geistesgestörten Umwelt. Wozu braucht man da noch Weltwirtschaftskrisen, Autounfälle, die Angst vor dem Tod? Der Wahnsinn liegt stets in greifbarer Nähe.


Der Autor dieses Textes, Clint, ist ein fleißiger Bube. Er dreht Filme, schreibt Texte und trägt diese wöchentlich bei den Surfpoeten in Mitte und auf YouTube vor.

Foto: via Cele Curbelo

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