Ich bin froh, schwul zu sein. Nur an einem Freitag im September war ich es nicht.

Seit meinem Coming-Out ist einiges passiert. Ich bin nach Berlin umgezogen, habe neue Freunde gefunden, Praktika absolviert, mich unglücklich verliebt und bin darüber hinweg gekommen. Während all diesen Erlebnissen hat mein Schwulsein eine untergeordnete Rolle gespielt. Es hat mich vom Erreichen meiner Ziele und meines persönlichen Glücks nicht abgehalten. Viel mehr hat es mich des Öfteren sogar gestärkt und weitergebracht. Nur an einem Freitag im September. Da wurde ich für meine Sexualität angegriffen.

Berlin ist eine bunte Stadt. Es gab Wowereit und das Schwuz. Den Christopher Street Day und eine nie endende Liste an potentiellen Dates auf Gayromeo. Ich nenne es gerne das deutsche New York. Wegen der Möglichkeiten, der Vielfalt und der kleinen Fashionweek. Die meiste Zeit fühle ich mich hier sicher und akzeptiert. Bis auf ein paar Rufe und Blicke, wenn ich Hand in Hand mit einem Kerl laufe. Bis auf die eben.

An einem Freitag Abend im September lief ich nicht Hand in Hand, sondern neben einem guten Freund von mir. Wir sind auf einen letzten Absacker in Kreuzberg unterwegs. Ein Bier und einen Schnaps. Mehr wollen wir nicht. Wir laufen durch die Gänge am Kottbusser Tor zum Multilayerladen, dieser kleinen Bar direkt um die Ecke. Wir reden und lachen und ich sehe den Eingang schon vor mir. Was ich vor lauter Reden und Lachen nicht sehe, sind zwei Typen, die vor der Bar stehen. Erst als wir ihnen näher kommen, bemerke ich die zwei und höre wie einer der beiden laut wird und sich in Rage geredet aufpumpt. Es ist keine Freundin, über die er sich ärgert und auch nicht der Chef, der ein Arschloch ist. Er ärgert sich über mich und über all die anderen Schwuchteln, die seine Stadt verseuchen.

Der Weg, der noch vor uns liegt, bis Liebe einfach Liebe ist.

Als ich das Thema seiner Aufgeregtheit mitbekomme, hat er mich bereits im Blick. Er rennt auf mich zu, senkt seinen Kopf ab und rammt seinen Schädel in meine Rippen. Ich falle zu Boden. Er schreit weiter. Die einzelnen Worte bekomme ich nicht mehr mit. Mein Körper denkt in diesem Moment nur noch ans Atmen. Das Ein und Aus fällt mir schwer. Mein Freund nimmt mich hoch, hakt mich ein und zieht mich von den beiden weg. Auch sein Freund ist klug und möchte den Angreifer beruhigen. Mit kleinem Erfolg. Sie folgen uns nicht weiter. Nur als wir um die Ecke biegen, zerschellt eine Bierflasche neben unseren Köpfen an der Wand. Glückliche Zentimeter entfernt.

Wir setzen uns in ein Taxi und ich werde langsam wieder ich. Über die beiden Jungs rege ich mich wenig auf. Ich beschuldige mich selbst, dass ich mich hätte wehren sollen. Ich hätte es erahnen können. Für mich einstehen. Ich stelle "Warum"-Fragen, die mein Freund nicht beantworten kann und ich ebenso wenig. Am Ende lache ich nur noch. "Das hat bestimmt lustig ausgesehen", sage ich. "Wie ein Rhinozeros, dass auf Safari einen Ranger umhaut. Wäre ein gutes YouTube-Video." Dann laufen Tränen über mein Gesicht.

Am nächsten Morgen wache ich auf und ich kann wieder etwas leichter atmen. Am übernächsten habe ich die Vorfälle fast verdrängt und nach einer Woche geht mein Leben wie gewohnt weiter. Einfach und unbekümmert. Mit den neuen Freunden und dem Verlieben und den Praktika. Am Kottbusser Tor habe ich seitdem dennoch ein komisches Bauchgefühl. Eine schwachsinnige Angst irgendwo. Aber eine, die ich nicht abschütteln kann.

Heute denke ich an die Ereignisse selten zurück. Bloß wenn mir Politiker in einer Talkshow erzählen, dass wir unsere Kinder vor homosexuellen Praktiken beschützen müssen und dass zwei Männer keine Familie machen. Oder ich Kommentare lese, dass Homophobie nicht zwangsläufig menschenverachtend ist. Nur dann denke ich an diesen Freitag im September und an den Weg, der noch vor uns liegt, bis Liebe einfach Liebe ist.


Titelfoto: Ingrid Eulenfan, flickrCC
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