Forever jugendlich! Auf dem Flohmarkt mit DJ Supermarkt

© Matze Hielscher

Man lästert hier ja gern über die Berufsjugendlichen, die nachmittags durch Mitte von einer Verabredung zur nächsten spazieren. Unrasierte Herren, die angeblich ungern Verantwortung für andere übernehmen wollen, bei denen man sich fragt, wovon die denn eigentlich leben. Mitten im Gespräch mit Marcus Liesenfeld fällt uns beiden auf, dass er eigentlich genau der Prototyp des Berliner Berufsjugendlichen ist. Markus ist 50 Jahre und clubbekannt unter den Namen DJ Supermarkt. Gerade liest man seinen Namen im Spiegel, NME und internationalen Musikblogs, da er eine Compilation veröffentlicht hat, die alle einfach nur super finden. Sie nennt sich „Too Slow To Disco“ und beinhaltet 19 Spät-70er-Westcoast-Yachtpop-Perlen von Ned Doheny, White Horse, Chicago, The Doobie Brothers, Tony Joe White, Jan Hammer Group und Fleetwood Mac! Bands, die unsere Väter gut fanden, wenn sie einen guten Geschmack hatten und heute Bands wie Midlake, Haim, Darkside, Destroyer und Phoenix hörbar beeinflussen.

Wir treffen uns auf dem Flohmarkt im Mauerpark, damit mir Markus zeigen kann, wie und wo man so kleine Schätze wie Nicolette Larson findet. Diese romantische Idee zerschießt er jedoch bei der Begrüßung: Eigentlich findet er ja alles im Netz. Na toll! Wir wühlen uns trotzdem durch die Plattenkisten und quatschen. Liesenfeld war einer der Betreiber des Bungalow Labels, hat Bands wie Stereo Total entdeckt und galt als einer der Experten für Easy Listening. Als die Einnahmen und Verkäufe aus Label und Verlag nicht mehr in Relation zu Aufwand und nervenden Managern standen, haben er und sein Partner den Bungalow geschlossen. Liesenfeld hat sich dann als DJ Supermarkt quer durch Europa buchen lassen. Um 2008 wurden die Bookings immer weniger und auf die Musik, die er gespielt hat, hatte er keine Lust. „Irgendwie hat nichts mehr funktioniert." Marcus ging mit seiner Midlife Crisis nach Frankreich, hat sich im Haus seiner Eltern auf die Veranda gesetzt und wochenlang ins Tal gestarrt. In der Zeit hat er den ersten Softrock-Sampler zusammen gestellt. „Wenn ich etwas gut finde, dann grabe ich mich immer tiefer rein, so war das auch damals beim Easy Listening“. Diesen Mix brennt er auf CD und verschenkt ihn an Freunde. Für mich war er der Begleiter meiner Hochzeitsreise durch Kalifornien. Als ich das erzähle, nickt Marcus nur. Er kennt diese Art Geschichten. Während Geburten, Hochzeiten und Beerdigungen lief "sein" Softrock. Warum löst die Musik gerade so viel Begeisterung aus? "Kann man schwer erklären, aber: Die Musik klingt groß, weird, ohne Grenzen, extrem selbstbewusst. Damals war noch alles möglich für eine Band. Riesiges Studio, große Budgets, jede Band hatte 5 Songschreiber, und so klingt das dann auch. Keine Schubladen etc. – alles möglich! Hört man einfach nicht mehr heute."

Aus der kleinen Auszeit in Frankreich wurde ein große Auszeit. „Ich habe ernsthaft überlegt, mich irgendwo anstellen zu lassen und mich aus dem Musikgeschäft zurück zu ziehen. Es ist gar nicht so einfach dieses lockere berufsjugendliche Leben zu führen, weil man immer nur von einer Woche in die nächste lebt.“ Er vermietet seine Wohnung in Berlin, arbeitet auf einem Weingut in Frankreich und verdient mehr Geld als jemals zuvor. Währenddessen wird der Sampler 30.000 Mal runtergeladen. Er merkt, dass das mit der Musik für ihn nicht vorbei ist. Liesenfeld überredet seinen alten Kumpel einen Softrock-Sampler  auf Vinyl zu pressen: „Ich habe für die Compilation mit Christof Ellinghaus (Besitzer vom City Slang Label) ein neues Label gegründet. Wir haben gleich gesagt, dass wir hier nur mit Künstlern arbeiten wollen, die nicht eines Tages im Büro stehen und meckern“. Er lacht und zieht eine Platte von Gilbert Sullivan aus der Box. „Die musst du kaufen!"

„Too Slow To Disco" ist letzte Woche Freitag erschienen – die Sonderauflage ist bereits vergriffen. Ein echter Erfolg. Liesenfeld kriegt nun täglich Softrock aus der ganzen Welt geschickt. Er schwärmt von einer Band aus Deutschland, die es in den 70ern gab. Der Sänger der Band hatte ihn angeschrieben. Vielleicht findet er hier die Platte von Street Plaxer. Er reicht mir eine Scheibe nach der nächsten. Natürlich darf „Rumors" von Fleetwood Max nicht fehlen. „Noch nie klang die Trennung von Menschen so schön.“ Er spricht von Elton John, dessen Softrock-Versuch sein größter Flop war. Dann findet er eine Platte von Bill Wolfer. Ich habe noch nie von ihm gehört. Die Platte will er unbedingt für sich haben. Den Rest packen wir in meinen Einkaufskorb.

Gut, dass Markus seine jugendliche Euphorie wieder zum Beruf gemacht hat.

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Die Compilation „Too Slow to Disco“ sowie die anderen Flohmarkteinkäufe gehen nun in die hauseigene Vinylsammlung der Monkey Bar im 25hours Hotel über. Ihr könnt also entweder den DJ bitten, sie aufzulegen (ihr wisst jetzt, dass die Platten da sind!) oder sie selbst suchen. DJ Supermarkt legt heute Abend in der Bar auf. Eintritt frei!

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