Kleine geile Firma: Diese Taschen von mimycri werden aus Schlauchbooten hergestellt

© Charlott Tornow

Nachhaltigkeit ist in aller Munde und viele Unternehmen suchen nach Lösungen, um aus Abfällen und Müll neue Produkte zu machen. Ein Abfallprodukt, über das sich bisher erstaunlich wenig Menschen Gedanken gemacht haben, sind jene Schlauchboote, in denen Geflüchtete über das Mittelmeer nach Europa kommen. Das Berliner Designteam um Nora Azzaoui und Vera Günther half 2015 zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise auf der griechischen Insel Chios den Menschen bei der Ankunft in Europa. Und ihnen fiel auf, dass dabei eine Menge Abfall entsteht, der einfach liegen bleibt. So entstand die Idee für ihr Taschen-Label mimycri: In Handarbeit  produzieren sie mit der Hilfe von Geflüchteten in Berlin Rucksäcke, Bauchtauschen und Shopper aus alten Schlauchbooten. Auf eine einzigartige Weise verknüpft mimycri so Design, Upcycling und Schneiderhandwerk mit Umweltschutz und Integration. Als gemeinnütziger Verein geht ein Teil der Einnahmen sogar zurück an die Organisationen vor Ort in Griechenland und wird für Aufklärungsarbeit eingesetzt.

Ich habe Vera für unser Format "Kleine geile Firmen" gefragt, wie ihre tägliche Arbeit aussieht und was man benötigt, um aus dem Nichts ein Label aufzubauen.

Charlott: Wann fängst du mit der Arbeit an und was machst du die erste Arbeitsstunde des Tages?
Vera: Zwischen 7.30 Uhr und 10 Uhr. Tee trinken, Emails checken, Prioritäten setzen.

Wie lange arbeitest du täglich?
Bis ich das Gefühl habe, es kommt nichts mehr Produktives aus mir raus. Oder bis ich zum Laufen, Klettern oder Abendessen verabredet bin.

Was weißt du heute, das du nicht wusstest, als du gestartet bist?
Wohin man kommen kann, wenn man mal nicht nur redet, sondern wirklich macht. Wieviel Angst das machen kann und wieviel Spaß.

Was war die größte Herausforderung im letzten Monat?
Zu wenig Zeit und zu wenig Geld zu haben. Das ist fast die beste Kombination. Noch "besser" ist nur keine Zeit, kein Geld und keine Lust. So schlimm war es dann aber doch nicht.

© Charlott Tornow
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Halt die Unsicherheit aus, halte aus, dass infrage gestellt wird, was Du machst und dass Du immer Lust haben sollst, über Deinen Job zu sprechen.
Vera Günther

Wenn du einen Tipp hättest für Menschen, die diesen Job machen wollen, welcher wäre es?
Halt die Unsicherheit aus, halte aus, dass infrage gestellt wird, was Du machst und dass Du immer Lust haben sollst, über Deinen Job zu sprechen. Weil Du bekommst dafür einen unfassbar inspirierenden Raum der Kreativität, Verbindung und Entwicklung, der das alles easy wert ist. Und schlaf genug! Das gilt aber für jeden Job.

Welcher Ratschlag wird in deiner Branche oft gegeben, ist deiner Meinung nach aber nicht wichtig?
Eigentlich wird uns immer der Ratschlag gegeben, uns endlich einer Branche zuzuordnen. Ob der wichtig ist, oder nicht, wissen wir nicht. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, uns nicht so einfach in eine Schublade stecken zu lassen. Deshalb ignorieren wir die schlechten Ratschläge sowohl aus der Fashion- als auch aus der "Migrationsbranche".

Was sind diese "schlechten" Ratschläge?
Ich will gar nicht unbedingt konkret schlechte Ratschläge benennen. Aber wie in jeder Branche gibt es in der Fashion- und auch in der Migrationsbranche Tausend Ideen von anderen, was man außer dem, was man schon macht, noch so machen sollte. Sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen und weiterhin daran arbeiten, was wir richtig finden, ist für uns wichtig.

Wolltest du eigentlich schon immer Taschendesignerin werden?
Taschen designen war so ziemlich das letzte, was ich immer schon wollte. Umso schöner, dass ich es jetzt mache. Ich war mit Nora, meiner Co-Gründerin, als Freiwillige auf der griechischen Insel Chios. Dort haben wir Menschen in Empfang genommen und sie mit trockener Kleidung und Essen versorgt. Außerdem haben wir den Müll von den Stränden geräumt, unter anderem auch das Bootsmaterial, mit dem wir jetzt arbeiten. Als wir wieder nach Deutschland zurück mussten, wollten wir hier langfristiger etwas beitragen. Wir wollen mit unserer Arbeit zeigen, dass es möglich ist, aus Herausforderungen Chancen zu machen, wenn man bereit ist, den Blickwinkel zu ändern. Wir wollen Aufmerksamkeit schaffen für das, was passiert, und gleichzeitig aufzeigen, dass wir nicht in dieser "Schockstarre" verharren müssen. Die Taschen sind unsere Art der Kommunikation.

Woher bezieht ihr das Material für die Taschen jetzt?
Das Schlauchbootmaterial bekommen wir von den griechischen Inseln Lesbos und Chios. Auf beiden Inseln arbeiten wir mit Freiwilligenorganisationen zusammen, die das Material sammeln und dabei die Strände sauber halten. Seitdem es uns gibt, wird das Material nicht mehr weggeworfen, sondern gesammelt und alle paar Monate, wenn eine Palette voll ist, an uns geschickt.

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Wir wollen mit unserer Arbeit zeigen, dass es möglich ist, aus Herausforderungen Chancen zu machen, wenn man bereit ist, den Blickwinkel zu ändern.
Vera Günther
© Charlott Tornow

Was machst du, um dich und deine Mitarbeiter an einem schlechten Tag zu motivieren?
Meine Erfahrungen als ehemalige Handballtrainerin und Outdoor-Guide nutzen: 'Auf geht's Leute, das können wir besser und das wissen wir auch und wir lassen uns nicht unterkriegen'. An richtig schlechten Tagen fällt mir das aber auch schwer. Da versuche ich den größeren Kontext zu sehen und mir zu sagen: 'Morgen ist es bestimmt schon wieder ganz anders.' Und das stimmt dann meistens auch.

Was macht dir an deinem Job am meisten Spaß?
Dass wir mit dem, was wir machen, Menschen zum Nachdenken, Reflektieren und Diskutieren anregen. For real. Mein Team. Dass ich schon so viel Neues gelernt habe, von dem ich gar nicht wusste, dass es existiert. Jede einzelne neue Tasche, weil sie eine so besondere Geschichte erzählt.

Erzähl mir von einer Situation, wo du alles hinschmeißen wolltest?
Eine? Ich will oft alles hinschmeißen. Wenn ich Angst habe, dass es finanziell nicht hinhaut. Wenn wir Absagen erhalten für Preise, für die wir uns beworben haben. Wenn ich verschwitzt, müde und allein irgendeinen Messestand aufbaue und mir zehnmal das Poster runterfällt, bevor es so verknickt ist, dass man es eigentlich nicht mehr aufhängen kann. Aber ich habe gelernt, diese Situationen mit einem Lächeln anzunehmen. Es geht ja nur so tief, weil es wichtig ist. Und das ist eigentlich sehr schön.

Wie viel Startkapitel hast du für mimycri gebraucht?
Achtung, schlaue Antwort: je mehr, desto besser. Ich kann nur eines sagen: Dem Himmel (oder wem auch immer) sei Dank für Crowdfunding!

Wie lange hast du gebraucht, um von deinem Job leben zu können?
Ein Jahr. Ohne dass ich jetzt wüsste, ob das immer so weiter geht (ganz im Gegenteil). Aber ich versuche, mich von dieser Unsicherheit nicht zu sehr beeinflussen zu lassen.

Willst du noch weiter wachsen?
Ich will weiter daran arbeiten, dass wir noch mehr Menschen erreichen. Damit meine ich einerseits die Menschen, mit denen wir zusammen arbeiten, aber auch die Menschen, die von unserer Geschichte hören und inspiriert werden. Ich mag die ursprüngliche Bedeutung von "Wachsen" und verstehe darunter eher eine organische Weiterentwicklung als einfach nur "größer werden". Wir sind gerade an einem Punkt angekommen, an dem wir unser Konzept noch weiter entwickeln wollen und das fühlt sich aufregend an. Bleibt gespannt, was kommt!

Vielen Dank, Vera!

© Charlott Tornow
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