Wie kann Social Distancing gelingen, ohne sich einsam zu fühlen?

© Engin Akyurt | Pexels

Es geht voran, es tut sich was. Immer mehr Menschen in meinem Umfeld haben die erste, manche sogar schon die zweite Spritze bekommen. Und das ist wunderbar. Die Freiheit, unser gewohntes Leben, die alte Normalität scheinen nur noch einen Katzensprung entfernt, könnte man meinen, schließlich liegt ja schon über ein Jahr Pandemie hinter uns. Was sind da schon ein paar weitere Wochen, in denen wir jetzt noch einmal die Zähne zusammenbeißen müssen? Sollten wir doch easy hinkriegen, oder etwa nicht?

Ich mag es gar nicht, die Spielverderberin zu sein, denn Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Nur komme ich diesmal mit einem wirklich großen ABER um die Ecke. Ganz so easy ist das nämlich alles nicht.

Auch wenn die dritte Welle endlich gebrochen scheint, die ersten Lockerungen da sind und durch den Impfeffekt zumindest die Aussicht auf einen entspannteren Sommer besteht, sollten wir genau jetzt nicht übermütig werden und uns der Wunschvorstellung hingeben, dass in ein paar Wochen alles genauso sein wird wie vorher. Denn das wird es nicht. Social distancing is not over yet.

Wir sollten jetzt nicht übermütig werden und uns der Wunschvorstellung hingeben, dass in ein paar Wochen alles genauso sein wird wie vorher. Denn das wird es nicht. Social distancing is not over yet.

Wir werden weiterhin Masken tragen, Abstand zu anderen Menschen halten und mit Kontaktbeschränkungen leben müssen. Bis wir den vollen Schutz der Impfungen auskosten, uns wieder ganz unbeschwert in den Armen liegen, Geburtstage feiern oder zurück in die Großraumbüros kehren können, wird es noch dauern. Wie lange, darüber möchte ich nicht spekulieren. Mich begleitet aber das ungute Gefühl, auf den letzten Metern steht uns jetzt noch mal ein großer Kraftakt bevor. Weil wir immer erschöpfter sind. Weil wir unvernünftiger und leichtsinniger werden (was menschlich ist). Weil die Stadt so verheißungsvoll nach Leben riecht. Überall. An jeder Ecke. Weil wir alle wollen, dass es vorbei ist.

Vor ein paar Wochen habe ich in einem Text über Einsamkeit von Singles resümiert, dass es doch irgendetwas zwischen "Ich mach jetzt einfach gar nix mehr" und "Ich scheiß’ auf die Regeln" geben muss, wenn man sich weiterhin verantwortungsbewusst verhalten, aber nicht wie ein Mauerblümchen verkümmern will. Weil viele von uns gerade jeden Tag alleine sind. Weil sich die Einsamkeit breit gemacht hat. Weil es vielen gerade psychisch nicht gut geht. Aber wie kann man Social Distancing besser machen?

Ich glaube, dafür gibt es kein Patentrezept, denn jede*r von uns hat andere Bedürfnisse und Strategien entwickelt, um das alles irgendwie durchzustehen. Manche sehen den Lockdown als Chance für dies oder das, während der Verzicht auf soziale Kontakte, Berührungen und Nähe für andere inzwischen ein echtes Problem darstellt. Insbesondere für Alleinlebende ist es schwer.

Wie kann man Social Distancing besser machen?

Ein erster Schritt, der uns allen gut tun würde, wäre, endlich offen und ehrlich über negative Gefühle, die wir gerade empfinden, zu sprechen. Anzuerkennen, wenn und dass jemand Corona-erschöpft ist, dass Menschen sich mit all den Regeln und Beschneidungen ihres Alltag nicht wohlfühlen – wohlwissend, dass sie nötig sind. Ich versuche das auch gerade, in Gesprächen mit Freund*innen zum Beispiel und ich sage euch, das ist alles andere als leicht, in erster Linie sich selbst, aber auch anderen gegenüber einzugestehen, dass es einem nicht so gut geht. Aber das ist wichtig, denn auch diese Gefühle habe eine Daseinsberechtigung. Wenn wir sie verdrängen, dann macht das einsam.

Isolation, Einsamkeit und Social Distancing werden ein bisschen erträglicher, wenn wir über unser Unwohlsein reden können. Reden, das geht nämlich trotz Social, oder besser gesagt Physical Distancing, via Zoom, am Telefon oder mit der besten Freundin, die man sogar vis-à-vis treffen kann, wenn auch auf Abstand. Aber dafür mit negativem Test. Und wo es sein muss, eben mit Maske. Nutzt die Möglichkeiten, die wir haben. Zieht euch nicht zurück, sondern sprecht darüber, wie es euch geht. Reden ist Gold.

Das gilt übrigens auch für die Arbeit. Auch oder gerade im Job ist es wichtig, sich mitzuteilen, wenn wir gerade nicht so leistungsfähig sind wie sonst. Checkt mit eurem Team regelmäßig ein, erzählt euch, wie ihr euch fühlt, was bei euch gerade los ist. So verliert ihr nicht den Kontakt, sondern entwickelt Verständnis füreinander und könnt euch viel besser gegenseitig unterstützen in dieser Zeit.

Isolation, Einsamkeit und Social Distancing werden ein bisschen erträglicher, wenn wir über unser Unwohlsein reden können.

Außerdem, so sagt man, ist eine feste Tagesstruktur in Zeiten des Social Distancing wichtiger denn je. Das kann ich bestätigen. Es gab auch bei mir Tage, gerade im Winter, an denen ich nicht aufstehen wollte, ich wusste nicht wofür. Ging ja eh nichts. Also bin ich im Bett liegen geblieben, habe den ganzen Tag verschlafen, um am Abend ein sehr schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber zu haben. Inzwischen stehe ich auch am Wochenende morgens früh auf, es soll helfen, wenn man den Rhythmus beibehält. Und das klappt erstaunlich gut. Die Struktur, die mir unter der Woche durch den Job vorgegeben wird, baue ich mir an den freien Tagen selbst. 

Ich nehme mir also Dinge vor. Verabrede mich. Viel bewusster als früher, denn ohne geht's grad nicht. Morgens die Wohnung putzen. Danach einen großen Spaziergang machen – am liebsten in den Wald oder ans Wasser – , das Tageslicht ausnutzen, andere Menschen aus der Ferne beobachten. Einfach sehen, dass alle noch da sind. Bewegen, bewegen, bewegen. Mit einer Freundin Essen bestellen oder selbst kochen. Zum Entspannen danach ein gutes Buch lesen, mit meiner Mutter telefonieren oder einen Film schauen. Früh ins Bett gehen, genug schlafen. Das alles hilft, sich nicht allein zu fühlen.

Bis wir uns wieder ganz selbstverständlich und frei bewegen, in vollen Restaurants sitzen, auf Festivals tanzen oder spontan die komplette Clique treffen können, dauert es noch. Bis dahin igelt euch aber nicht permanent ein. Tut Dinge, mit denen ihr positive Dinge verbindet, die euch gut tun, bildet Zweierteams, redet miteinander, steckt euch nur kleine Ziele und schraubt die Erwartungen an euch selbst, an die ganze Welt, mal ein bisschen runter. Das kann ganz schön heilsam sein.

Schraubt die Erwartungen an euch selbst, an die ganze Welt, mal ein bisschen runter. Das kann ganz schön heilsam sein.
Zurück zur Startseite