Ein Kind mit fünf Jahren einzuschulen ist doch krank

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

Für mich war die Sache immer vollkommen klar. Zumindest als ich selbst noch kein Kind hatte. Wenn andere Eltern meine Meinung zum Thema Einschulung wissen wollten, habe ich sie stets darin bestärkt, ihr Kind so lange wie möglich aus der Mühle fernzuhalten. Daran hat sich auch nichts geändert. Allerdings wusste ich damals noch nicht, auf welche Widerstände man stößt, wenn man sein Kind zurückstellen will.

Meine Tochter Wanda hat im September Geburtstag. Ziemlich dumm, ich weiß. Daran hätten wir wirklich mal vorher denken können. Weil sie damit nun in genau dem Alter ist, schon mit fünf eingeschult werden zu können. Allerdings war ich bisher der Ansicht, dass sich außer uns niemand für unser Kind interessiert. Dieser Eindruck kam vor allem daher, dass man uns rechtlich einen Kitaplatz zusicherte, dann aber nicht anbieten konnte.

Bloß kein Kind im September kriegen

Ich will jetzt gar nicht wegen der überlasteten Infrastruktur in dieser Stadt jammern. Solche Krisenzeiten haben schließlich auch ihr Gutes. Wir haben früh gelernt, uns eigenständig um unsere Bedürfnisse zu kümmern. Haben gute Kontakte zum Schwarzmarkt aufgebaut, um an die knappen Behörden- und Arzttermine zu kommen, und schließlich auch an einen der heiß begehrten Kitaplätze. Das hat uns zu Einzelkämpfern gemacht, die sich auch unter den widrigsten Umständen irgendwie durchmogeln können.

Deshalb erscheint es mir merkwürdig, dass nun irgend so ein Schulamt daher kommt und uns sagen will, was wir mit Wanda zu tun haben. Plötzlich kann es ihnen gar nicht schnell genug gehen, sie geiern richtig nach dem Kind. Werden in den Manufakturen und Eisenhütten so dringend Arbeitskräfte gebraucht, dass man jetzt so rumstressen muss? Okay, dachte ich, beruhige dich mal wieder, dann stellen wir Wanda eben zurück. Man muss das Kind in so einem Fall ganz normal in der Einzugsschule anmelden, dann aber auf einem Formular ankreuzen, dass man eine Rückstellung wünscht. Zusammen mit der Kita und einem Schularzt wird dann darüber entschieden, ob diese Maßnahme sinnvoll ist – sprich: ob das Kind schultauglich ist oder nicht.

Wir werden direkt als Helikopter-Eltern abgestempelt

„Aaaa-ha“, hat die Sekretärin der Einzugsschule gemacht, als wir uns als Rücksteller geoutet haben. Und uns augenblicklich in die Kategorie „Helikopter-Eltern“ geschoben. Ihre Hilfestellung beim Ausfüllen des Formulars ließ sich dann auch als renitent beschreiben. Es war offensichtlich, dass wir ihr jetzt Scherereien bereiten. Wieder mal solche Glucken, die so tun, als wüssten sie, was das Beste für ihr Kind ist.

Wanda ist begierig darauf, in die Schule zu gehen. Einfach aus dem Grund, dass sie zu den Großen gehören will. Außerdem hat sie eine ziemlich romantische Vorstellung von dem, was sie dort erwartet. Doch allein die Tatsache, dass sie nach einem sechsstündigen Kitatag vollkommen geplättet ist, zeigt uns, dass sie noch gar nicht die nötige Konstitution für die Schule hat.

Ihr kleiner Körper ist noch immer mit Wachsen beschäftigt, muss gerade mit den zweiten Zähnen die härteste Substanz seines Lebens erzeugen. Außerdem soll das Kind spielen, solange sie kann. Die Realität wird sie noch früh genug einholen.

Dazu kommt ihre nicht vorhandene Frustrationstoleranz. Halleluja. Wenn da mal was schiefgeht, egal ob beim Malen oder Duplobauen, ist Polen aber offen. Dann gibt es ein Donnerwetter, dass man sich am besten erst mal für eine Viertelstunde im Bad einschließt, bis die Wogen sich wieder geglättet haben.

Allein schon die Tatsache, dass sie stur behauptet, schon Schreiben und Lesen zu können, zeigt mir, wie wenig bereit sie noch ist, diese Dinge von der Pike auf zu lernen. Und das muss sie ja auch nicht. Ihr kleiner Körper ist noch immer mit Wachsen beschäftigt, muss gerade mit den zweiten Zähnen die härteste Substanz seines Lebens erzeugen. Außerdem soll das Kind spielen, solange sie kann. Die Realität wird sie noch früh genug einholen.

Just another brick in the wall

Zur Veranschaulichung: Vor zwei Wochen hat ihr Schwimmkurs angefangen. Sie hat sich extrem auf die erste Stunde gefreut. Schwimmen kann sie zwar schon, aber sie will natürlich das Seepferdchen machen. Doch nach der Stunde war sie völlig am Boden zerstört. Sie war irritiert davon, nur eine von vielen in einer großen Gruppe zu sein, von den unpersönlichen Anforderungen und Übungen. Außerdem hat sie angenommen, dass sie auf die Wasserrutsche darf. Das alles ist für mich eine klare Bestätigung dafür, dass sie noch Zeit braucht.

Der schulärztliche Termin steht uns in Kürze bevor. Ich bin gespannt, wie man dort auf unseren zickigen Wunsch reagieren wird. Schon möglich, dass manche Kinder schon mit fünf Jahren bereit für die Einschulung sind. Ich verstehe zwar nicht, was die Eile soll, denn was kommt denn dann noch? Ein langes Leben als sinnlos schuftender Heinzelmann? Aber gut, das ist meine Ansicht. Jedenfalls sollten die Eltern diejenigen sein, die diese Entscheidung treffen. Und zwar ohne dabei unter Druck zu geraten. Wenn mein Kind schon another brick in the wall werden muss, soll sie wenigstens die nötigen Abwehrkräfte besitzen, diese würdelose Situation zu ertragen.

Schon möglich, dass manche Kinder schon mit fünf Jahren bereit für die Einschulung sind. Allerdings sollten die Eltern diejenigen sein, die diese Entscheidung treffen. Und zwar ohne dabei unter Druck zu geraten.

*Anmerkung: Der Name meiner Tochter wurde geändert.

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