Wie du als Berliner*in nicht in Brandenburg auffällst

© David Streit

„Treffen wir uns am Samstag bei mir?“ Ja nee, tun wir nicht. Außer du willst mit dem Zug eine Stunde aus Berlin herausgurken. Dann ist das kein Problem. Denn ich bin jetzt auch so eine von denjenigen, denen die Hauptstadt manchmal zu viel wird. Die Nachbar*innen zu hart nerven, die U7 zu sehr müffelt, das Grün zu wenig ist. FYI: Du findest mich auf dem Land. Wenn ich also nicht gerade in Berlin dem Geld für meine gesicherte Rente nachjogge, dann entdeckst du mich fest im Dorf-Life integriert. Ich bin jetzt Brandenburgerin – naja, zumindest für den Zweitwohnsitz. Und auch erst seit ein paar Monaten. Aber dank Berlin-Mentalität habe ich schnell gelernt, meine wenigen Skills, die ich mir in der Zeit angeeignet habe, so stolz vor allen zur Schau zu stellen, wie mein eigenes Baby.

Da ich nach nicht mal einem halben Jahr schon so ein toller Part der Dorfgemeinde bin, will ich meine Erleuchtungen rund um das Reinblenden ins Kiezleben mit jeder*m, der*die es lesen möchte, teilen.

Sinnloses Herumlaufen geht gar nicht klar

Rausgehen, rein in den Wald. So das Krebsrisiko minimieren, wie ich erst neulich in einer Studie gelesen habe. Das war mein Plan. Ein bisschen schlendern und schauen, ob ich so weit laufen kann, dass es schon als Wandern und nicht als Spazieren durchgeht. Doch während ich noch überlege, ob es mehr als nur Nadel- und Mischwald gibt, werde ich in meinem Gedankengegrummel gestört. Mitten im Baum-Wirrwarr steht mir jemand gegenüber, mit Autoritätsalter und einem Outfit, das gut und gerne als Camouflage-Look bei „Project Runway“ herhalten könnte. Während ich versuche aus meinem Kopf herauszukommen, werde ich komisch beäugt, mit Gesichtsschräglage – und dann kommt auch schon die Frage, was ich hier draußen denn eigentlich gerade mache. Also allen Ernstes. Die Nummer mit den unterschiedlichen Waldarten kann ich jetzt schlecht bringen, also pflücke ich vom Phrasen-Strauß: „Na die frische Luft genießen, tolle Natur hier echt. Sollten alle viel öfter machen!“ Zurück, ganz zu meinen ganzen Innenansichten komme ich danach dennoch nicht. Der Oberlehrer gibt mir zu verstehen, dass so ein Spazierengehen in diesem absolut abgelegenen Teil des Dorfwaldes gar nicht gerne gesehen sei. Von der gesamten Gemeinde nicht. Schließlich würden hier oft genug Leute nur langkommen, um ihren Müll abzuladen. Tütenweise Plastikkrams, der nicht verrottet und rumstinkt und selbst die Wildschweine gewaltig nervt. Oder die Menschen wollen hier in der Gegend Dinge klauen. Nun fragt man sich natürlich, was denn hier geklaut werden soll. Verständlicherweise. Turns out: Sprit vom Traktor um die Ecke. Und (Traktor-)Reifen. Spargelkisten, die hier auch außerhalb der Saison geparkt sind. Ah ja. Ich fühle mich direkt ein bisschen mitschuldig und schiebe ab. Jetzt muss ich mir neue Laufwege suchen – da, wo wirklich keiner guckt.

Der Oberlehrer gibt mir zu verstehen, dass so ein Spazierengehen in diesem absolut abgelegenen Teil des Dorfwaldes gar nicht gerne gesehen sei. Von der gesamten Gemeinde nicht. Schließlich würden hier oft genug Leute nur langkommen, um ihren Müll abzuladen. Oder die Menschen wollen hier in der Gegend Dinge klauen.

Das war aber nicht meine erste Lektion, die ich von misstrauischen Dorfbewohner*innen aufgedrückt bekommen habe. Es ist nämlich hier wie mit dem Home Office – wenn du nicht ganz offensichtlich zu tun hast, dann hast du auch nichts zu tun. Ist Fakt. Eine Menge hat da mit der Außenwirkung zu tun. Einfach nur in Sweatpants herumschluffen ist beispielsweise nicht drin. Das geht vielleicht im Soho House, aber ganz sicher nicht in Brandenburg. Hier gibt es mehr Beige-in-Beige (aber Marke!) als am Charlottenburger Lietzensee. Und wer sich mit Palme auf dem Kopf, Joggie und ausgelatschten Turnschuhen (keine Sneaker) an einem der vielen Pony-Höfe vorbeibewegt, kriegt einen bösen Blick. Da kann man schon mal abergläubisch werden. Außerdem habe ich es in der kurzen Zeit, die ich mich in diesem Idyll öfter aufhalte, geschafft, mehr bekannte Gesichter per Zufall zu treffen, als jemals ever in meinem Berliner Kiez. Der kriegt keinen Hype ab, aber der ländliche Teil von Potsdam Mittelmark anscheinend schon. Freizeit auf dem Land ist das Ding in meiner Bubble, was habe ich mir nur gedacht.

Ich habe es in der kurzen Zeit, die ich mich in diesem Idyll öfter aufhalte, geschafft, mehr bekannte Gesichter per Zufall zu treffen, als jemals ever in meinem Berliner Kiez.

Große Fahrradtaschen sind unabdingbar und eingekauft wird nur bis 16 Uhr

Doch es gibt den Elefanten im Porzellanladen. Also ein, zwei Dinge, die einen ganz klar als Hauptstadt-Person auf Durchreise outen. Zum Beispiel mit dem Rad ohne zwei große Seitentaschen links und rechts durch die Gegend zu gurken. Denn das machen tatsächlich nur diejenigen, die wissen, dass sie sich bald wieder in einer Welt voller wunderbarer Spätis, Cafés, Restaurants und Discounter befinden. In U-1.000-Einwohner*innen-Ortschaften sind die Einkaufsmöglichkeiten rar gesät und die Öffnungszeiten tight. Wer sich hier also auf ein Fahrrad klemmt, der will Sachen von A nach B schaffen. Essen. Lebenswichtiges. Mit Kochplan für round about eine Woche im Gepäck. Dabei ziemlich essentiell zu wissen: Das Shoppen erledigt jede*r auch nur bis ca. 16 Uhr nachmittags, danach ist das einfach nur noch Großstadtarroganz, wenn man am Aldi anhält. Denn selbst wenn der Laden bis 21 Uhr offen hat, heißt das noch lange nicht, dass die Leute dort auch Bock haben, einen solange zu bedienen.

Erst neulich dachte ich mir, es wäre völlig okay noch was fürs Abendessen kurz vor 20 Uhr einzukaufen. Denn hey, wenn schon auf dem Land, dann mal nicht mit Tiefkühlpizza und Eis zufriedengeben, sondern was Vernünftiges zubereiten. Mit Grünzeug, womöglich Kartoffeln und dann gleich mal gucken, ob die auch Tofu haben. In meiner Vorstellung avancierte ich zu der Erwachsenen, die ich schon immer sein wollte. Aber nee, es lief ganz anders und sicher nicht würdevoll. Von Anfang an verfolgte mich ein Mitarbeiter passiv-aggressiv mit seinem Besen. Als ich mehrere Zucchini miteinander verglich, hatte ich bald Sorge, er würde mit dem Putzteil gleich auf mich einprügeln wollen oder mir zumindest ein Bein stellen. Je nachdem, ob ich mich in einem Kleinstadt-Horrorfilm oder einer quirky Teen-Comedy wiederfinden würde. Als ich letztlich nur noch die Kassensituation zu bewältigen hatte, wurde es nicht besser. Denn da saß keiner und das blieb auch eine Viertelstunde so. Keine Ahnung wie es anderen geht, aber ich raste schon aus, wenn ich auf die nächste U2 nach Ruhleben länger als zehn Minuten warten muss. Das ist einfach nur demütigend. Und deshalb passiert mir das nicht noch mal. Ich kaufe jetzt nur noch mit fetten Fahrradtaschen vor zwölf Uhr mittags ein, weil da wenigstens noch die Apotheke und der einzige Buchladen in der Umgebung offen haben. Man muss seine Ziele den Gegebenheiten anpassen, sag ich nur.

Das Shoppen erledigt jede*r auch nur bis ca. 16 Uhr nachmittags, danach ist das einfach nur noch Großstadtarroganz, wenn man am Aldi anhält. Denn selbst wenn der Laden bis 21 Uhr offen hat, heißt das noch lange nicht, dass die Leute dort auch Bock haben, einen solange zu bedienen.

Schätze deine Nächsten

Also ich kann es nur betonen: Die Wertschätzung der Mitmenschen wird auf dem Dorf unfassbar ernst genommen. Zum einem solltest du nicht ihre Zeit vergeuden oder etwa so aussehen, als würde dir deine eigene auch nicht viel wert sein (siehe sinnloses Herumlaufen), zum anderen aber wäre es gut, jeder*m das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Also, grüße jede*n, die*der dir gerade über den Weg läuft. In Berlin kenne ich bis heute längst nicht alle Nachbarn von mir, nuschele höchstens mal mit Kopf nach unten ein „Hallo“, aber im tiefsten Brandenburg muss ich umdenken. Plötzlich ist es super relevant, auch noch allen Nasen die Hand zu geben, um nicht als unhöflich oder als „Berliner“ (ist ein Schimpfwort) abgestempelt zu werden. Dabei habe ich mir gemerkt, jedem unbedingt direkt in die Augen zu schauen, so wenig wie möglich zu blinzeln und ganze Sätze rauszuhauen, die auch eher nach Aufforderung bzw. nach einer Beleidigung klingen. Sonst hätte ich nämlich immer noch keine komplett funktionierende Heizung, geschweige denn eine vollständige Küche. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich meine nur, Respekt kriegen hier mehr die Extro- als die Introvertierten.

Die Wertschätzung der Mitmenschen wird auf dem Dorf unfassbar ernst genommen.

Wer aber alle Punkte dieser ehrlicherweise ziemlich chaotisch zusammengeworfenen How-to-Sache beachtet, der hat sich den Respekt aller voll verdient. Und noch besser: Im Brandenburgischen feiert man ‚Fastnachten’ und da ich es mir bisher mit niemandem so ernsthaft verscherzt habe, – ich lasse schließlich auch das Spazierengehen sein und fahre das perfekte Fahrrad nur am Vormittag – wird wohl auch bei mir geklingelt, wenn zu diesem Anlass ein Typ im Bärenkostüm mit jeder „Dame des Hauses“ tanzen will. Weil man das hier nun mal als Brandenburger*in so macht. Verdammt.

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