Berliner*innen am Sonntag: Doppelgänger im Tatort entdecken mit Max Herre

© Hella Wittenberg

Der Sonntag ist heilig! Wir haben uns gefragt, was waschechte, zugezogene oder ganz frisch gebackene Berliner an diesem besten Tag der Woche eigentlich so tun? Lassen sie alle Viere gerade sein oder wird doch gearbeitet, was das Zeug hält? Sind sie „Tatort“-Menschen oder Netflix-Binger, Museumsgänger oder festgewachsen am Balkon? Brunchen sie mit Freunden oder trifft man sie allein im Wald beim Meditieren an? Wir haben bei unseren liebsten Berlinern nachgefragt.

Das sagt der Sänger Max Herre über seinen Sonntag

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Ist der Sonntag ein besonderer Tag?

Ja, es ist der Tag der Einkehr. Er ist für mich das Symbol für einen Tag, an dem alles still steht und ich keine Verantwortung für irgendwelche äußeren Dinge habe. Da kümmere ich mich um die Familie, wir frühstücken zusammen. Als Musiker fällt aber dieser Sonntag oftmals auch auf einen anderen Tag, weil ich viel live spiele. Doch das Gefühl dieses einen Tages, an dem man zur Ruhe kommen kann, mag ich sehr.

Dein Album "Athen" hast du mal als idealen Sonntagsound bezeichnet. Warum genau?

Es ist ein Album, das etwas erzählen will und einen Bogen über eine Stunde Zeit spannt, die man nicht einfach so unter der Woche hat. Aber am Sonntag schon. Da kann man so eine Platte von morgens bis abends durchlaufen lassen. Für die Tour stelle ich mir immer für die Bühne eine Sonne vor, die entweder auf- oder untergeht. Beides finde ich reizvoll und kann mich gar nicht entscheiden, was nun besser wäre.

Ist Sonntag nicht eh ein Tag, an dem die Zeit relativ ist?

Nur bis 17 Uhr, dann kickt der Montag langsam rein. Davor denke ich immer, der Tag ginge ewig und ich könnte alles machen. Aber dann kommt der Punkt, an dem ich merke: Es ist schon 17 Uhr. Da muss ich langsam gucken, was noch geht. Gerade vor einigen Jahren war dann Thema, ob die Schulaufgaben der Kinder schon erledigt sind. Solche Sachen lassen die Zeit mehr in den Vordergrund treten.

Er ist für mich das Symbol für einen Tag, an dem alles still steht und ich keine Verantwortung für irgendwelche äußeren Dinge habe.
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Was passiert im Bestfall nach dem Frühstück und vor 17 Uhr?

Auf dem Sofa herumsitzen und einen Spaziergang machen. Das haben wir erst neulich wieder gemacht, war echt schön. Und nach 17 Uhr ist auch nicht alles vorbei. Da kommt ja noch der Tatort. Der wird gerne von uns geguckt, weil sich daraus selbst unter der Woche noch viele Gespräche ergeben.

Welchen schaust du am liebsten?

Den Dortmunder, mit Jörg Hartmann. Joy sagt immer, wir würden uns so ähnlich sehen, dass er ein Verwandter von mir sein könnte. Klar, sonntags schaue ich einfach gerne meinem verstoßenen Cousin bei der Arbeit zu. (lacht) Aber er ist wirklich ein großartiger Schauspieler. Bei ihm habe ich das Gefühl, er spielt eine halbwegs dreidimensionale Person. Er soll ja in der Rolle seine Frau verloren haben, was ihn zu einem ziemlich depressiven Menschen macht, der auch wahnsinnig dünnhäutig ist und eine ständige Überforderung mit dem Beruf spürt. Also ich fühle mich einfach gerne in Serien und Filme rein. Ich bin da auch nah am Wasser. Das ging mir auch kürzlich mit „Pose“ so. Die Serie habe ich einmal abends angefangen und danach bis vier oder fünf Uhr morgens durchgeschaut, weil ich sie so anrührend fand.

Sonntag scheint ein Tag für Zuhause zu sein. Wieso ist Berlin der richtige Ort für dieses Zuhause?

Ich habe eine Berlinerin zur Frau. Joy hat es zwei Jahre lang in Stuttgart probiert, aber dann wollte sie doch lieber wieder weg. Und für mich war Berlin schon immer eine Option. Meinen Zivi wollte ich 1994 in Neukölln machen und hatte mir bereits eine Wohnung im Prenzlauer Berg gesucht. Aber dann fing das mit der Musik in Stuttgart an, sodass ich nicht so einfach woanders hinziehen konnte. Erst 2002 bin ich nach Berlin gezogen. Um mich zurechtzufinden, habe ich aber eine Weile gebraucht.

Die Stadt an sich ist es also nicht, die dich hier hält?

Meine Kernfamilie hält mich hier. Ansonsten eher noch die Straße, der Kiez, die Wohnung. Die Strecke bis dahin ist nicht so reizvoll. Es ist keine homogene Stadt. Alles wirkt diffus, grau, ist in Nicht-Farben angestrichen und bringt dieses Gefühl von Nachkriegszeit mit sich. Berlin und ein Großteil Deutschlands wirken nicht sehr einladend. Ich muss mich ständig Reinfinden und damit Abfinden, dass das kein Parameter ist, an dem ich festmache, hier zu wohnen oder eben nicht. Ich merke beim Zurückkommen immer, dass ich hier nicht geboren bin. Da kommt kein Heimatgefühl beim ersten Atemzug auf. Vielmehr muss ich erst den Kontext verarbeiten, um mich zuhause zu fühlen.

Erst 2002 bin ich nach Berlin gezogen. Um mich zurechtzufinden, habe ich aber eine Weile gebraucht.
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Berlin schneidet gerade richtig schlecht bei dir ab.

So schlimm ist es nicht. Ich finde an der Stadt auch das toll, was sie zu dem Ort macht, der sie mit der Welt verbindet, die ich sonst gerne bereise. Berlin ist divers und bietet Möglichkeiten, sich selbst zu erfinden. Alle können sein, wer sie sein wollen. Da sehe ich eine Parallelität zu einer Stadt wie London. Dort bin ich oft und liebe es. Mein Bruder lebt seit zwanzig Jahren da. Und ich liebe New York, die Optik der Stadt. Ich weiß eben nur nicht, ob ich spezifisch Berlin mag oder das, was Metropolen insgesamt inne wohnt – diese Anonymität, die dich alle Freiheiten haben lässt. Das muss ich noch herausfinden.

Fragen zu dir schaffst du irgendwie immer in einen Dialog umzuwandeln. Ganz ähnlich wie bei deiner Musik, wie auf „Athen“.

Ich hatte eine Riesenangst, eine Platte zu machen, die eine reine Nabelschau ist. Aber ein Song wie „17. September“ ist für mich tatsächlich ein Beitrag zu einem Gespräch. Eines, das ich vor allem mit Leuten in meinem Alter führen kann, die sich mit eigener Elternschaft befassen, aber auch mit ihren Eltern. Die nicht wissen, wie viel Zeit sie noch zusammen haben oder die ihre Eltern schon verloren haben. Jeder hat seine Geschichte. Ich gebe meinen Rap dazu und dann ist der nächste mit seiner Story dran. Ich finde es toll, wenn ich die Leute mit meiner Musik unterhalten kann, aber sie gleichzeitig wie mit einem Freund sprechen können. Und klar, der Sonntag bietet genau diesen Raum für Gespräche. Deshalb ist es eben auch eine Sonntagsplatte.

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