Artvergnügen – Unsere 11 Kunsttipps für den Dezember 2019

Refik Anadol, Latent Being, LAS, Kraftwerk Berlin 2019 © Refik Anadol Studio, Photography Camille Blake

Wowsi, da ist das Jahr auch schon wieder rum. Wo, als in stillen Galerieräumen, können wir uns besser besinnen auf das, was war und das, was werden soll. Also bei mir funktionieren Ausstellungen jedenfalls hervorragend als Inspirationsquelle. Im Dezember schaffen es gleich mehrere Shows, an Mauern mentalen und architektonischen Formats zu rütteln. Andere schauen sich an, wozu Technik heute in der Lage ist und was visionäre Geister einst dachten, was in der Zukunft vielleicht alles möglich sein könne. Eine Gruppenausstellung unterstreicht außerdem die Wichtigkeit der Ruhe für unser Wohlbefinden. Und mit diesem Appell zu mehr Zen verabschiede ich mich von euch für dieses Jahr. Ah, noch eins: esst mehr Pizza!

1. Durch Mauern gehen im Gropius Bau

Vor 30 Jahren fiel die deutsche Mauer. Der Gropius Bau widmet diesem historischen Meilenstein eine vielschichtige Ausstellung. Arbeiten von insgesamt 28 internationalen Künstlern*innen befassen sich mit der Mauer als architektonisches Mittel der Trennung, mit den Auswirkungen metaphorischer sowie realer Separierung und der Anstrengung, die Menschen auf sich nehmen, um diese zu überwinden. Besonders eindrucksvoll wirkt die Ausstellung in Anbetracht der geographischen Lage des Hauses: fast zwanzig Jahre lang schmiegte sich die Mauer nämlich an den Gropius Bau. Der heutige Haupteingang war damals nicht nutzbar.

Gropius Bau | Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin | Bis 19.1. 2020 | Mittwoch – Montag: 10–19 Uhr | Eintritt: 15 Euro, ermäßigt: 10 Euro | Mehr Info

Jose Dávila, „Untitled (Allure)“, 2014. Ausstellungsansicht, „State of Rest“, OMR, 2014
 © Jose Dávila & VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Enrique Macías Martínez, Courtesy: der Künstler & König Galerie

2. Thomas Grünfeld bei Wentrup

Der Kamin ist das einschlägige Symbol häuslicher Gemütlichkeit. Vor drei Jahren übertrug der Künstler Thomas Grünfeld diese Feuerstellen in minimalistische Polsterskulpturen, die er mit der Ausstellung "jene" fortführt.  "jene" steht für etwas Bestimmtes, aber doch auch Unspezifisches. Seine wandmontierten Polsterarchitekturen sind mehr als sie anfänglich zu sein scheinen. Mit Wohnaccessoires wie Topfblumen und dazwischen drapierten Dichtungsbürsten verwandeln sich die geschwungenen Skulpturen in Gesichter. Als weitere Inspiration diente die Wohnwelt "Visiona" des legendären Architekten und Designers Verner Panton, die er für den Chemiekonzern Bayer in Leverkusen konzipierte. Leverkusen wiederum ist die Geburtsstadt Grünfelds. "jene" ist also in mehrerlei Hinsicht eine Ode an das Zuhause.

Wentrup Gallery | Knesebeckstraße 95, 10623 Berlin | Bis 7.12.2019 | Dienstag – Samstag: 11–18 Uhr | Mehr Info

Thomas Grünfeld,"jene 2", 2019 © Wentrup Gallery

3. Transverse Wave im me Collectors Room

Um die Vereinbarkeit von Gegensätzlichkeiten geht es auch bei "Transverse Wave": Mary Baumeiser und Rashid Khalifa, in unterschiedlichen Kulturräumen sozialisiert wurden, bedienen sich in ihren skulpturalen Arbeiten unterschiedlicher Materialien und Formsprachen – bei Baumeister findet man natürlich Gewachsenes, bei Khalifa minimalistische Ästhetik und Wiederholbarkeit. Verbunden werden die unterschiedlichen Ansätze im me Collectors Room durch einen ortsspezifischen und raumgreifenden Soundtrack von Simon Stockhausen, der den Wert verschiedener Kulturen und Kunstformen demonstrieren soll. 

me Collectors Room | Auguststraße 68, 10117 Berlin | Bis 31.1.2020 | Mittwoch – Montag: 12–18 Uhr | Eintritt: 8 Euro, ermäßigt: 4 Euro | Mehr Info

Transverse Wave, Installationsansicht, 2019 © me Collectors Room Berlin, Photo Eric Bell

4. Love, Ren Hang im C/O Berlin

Love, Ren Hang. Das klingt wie die finalen Zeilen eines Briefes. Im Fall von Ren Hang bekommen diese drei Worte noch mehr Endgültigkeit. Der junge Fotograf und Lyriker aus China nahm sich 2017 das Leben und hinterließ der Welt einen Schatz von steigender Popularität. Seine Motive sind auf eine besondere Art fantastisch. Die inszenierten, oft nackten und sexuellen Porträts, für die ihm meist Freunde Model standen, sind eine humorvolle und verspielte Stimme gegen das restriktive System eines kommunistischen Chinas.

C/O Berlin | Hardenbergstraße 22–24 | Eröffnung: 06.12.2019, 19 Uhr | Bis 29.02. 2020 | Täglich 11–20 Uhr | Mehr Info

Untitled, 2012 © Ren Hang . Courtesy Estate of Ren Hang and Stieglitz 19, Antwerpen

5. Syd Mead im O&O Depot

Während sich die meisten Metropolen der Welt derzeit die Köpfe über nachhaltige Mobilität zerbrechen, haben Visionäre wie Syd Mead bereits in den 1970er Jahren Konzepte vorgelegt. Ok, zugegeben: Nachhaltigkeit war damals noch nicht die hauptsächliche Prämisse, aber visionär waren sie trotzdem. Mead arbeitete für Firmen wie Ford, Chrysler, Philips Electronics, kreierte aber auch futuristische Stadtbilder und Infrastrukturkonzepte für Sci-fi Filme wie Star Trek, Blade Runner und Alien. Im Rahmen von Syd Mead – Future Cities sind 33 Originalzeichnungen zu bestaunen.

O&O Depot | Leibnizstraße 60, 10629 Berlin | Bis 16. 01. 2020 | Montag – Freitag: 15–19 Uhr und nach Vereinbarung | Mehr Info

Downtown Cityscape / Blade Runner ©Syd Mead, 1981

6. Refik Anadol bei LAS Foundation

Wenn Maschinen denken können, ist es doch nicht abwegig, dass sie irgendwann auch träumen. Das ist der Ansatz des türkischen Künstlers Refik Anadol, der mit komplexen Tools und viel big data in Form von circa neun Millionen Bilder- und Sound-Dateien unbekannter Produzent*innen einen Algorithmus fütterte. Das Material wird von der Maschine zu einer interaktiven und  immersiven Installation verarbeitet, die das Bewusstsein einer Stadt – konkret: Berlin – abbildet. Initiator der Installation ist übrigens die LAS Foundation, die erstmals mit einer Ausstellung in Berlin auftritt.

Kraftwerk Mitte | Köpenicker Straße 70, 10179 Berlin | Bis 05.01.2020 | Montag – Mittwoch, Donnerstag: 15-19 Uhr | Freitag, Samstag: 12-23 Uhr, Sonntag: 12-21 Uhr | Eintritt: 10 Euro, ermäßigt: 6 Euro | Performance von Holly Herndon und Mat Dryhurst am 6. Dezember, 21-22 Uhr | Mehr Info

Refik Anadol Latent Being, LAS, Kraftwerk Berlin 2019 © Refik Anadol Studio, Photography Camille Blake

7. Caline Aoun im Palais Populaire

Während wir durch die digitale Sphäre schlendern, speichert irgendeine Cloud unsere Nutzer- und Nutzungsdaten. Big Data ist das Thema sowie Fluch und Segen unserer heutigen Zeit. Caline Aoun, Deutsche Bank "Artist of the Year" 2019, räumt auf im Datenmeer. Die libanesische Künstlerin macht konkret was wir nicht sehen, indem sie unsere Daten materialisiert. Einfache Inkjet-Drucker statt Hochleistungsrechner, Smartphones oder VR-Brillen sind dabei ihre Tools. Mit ihren Skulpturen und Drucken bringt sie den imaginären Daten-Lärm zum Schweigen.

Palais Populaire | Unter den Linden 5, 10117 Berlin | Bis 02.03.2020 | Täglich, außer Dienstag: 11–18 Uhr, Donnerstag: 11–21 Uhr | Eintritt: 9 Euro, ermäßigt: 6 Euro | Montags Eintritt frei | Mehr Info

Caline Aoun „Infinity Energy, finite Time“, 2019 © Caline Aoun

8. Norbert Bisky Doppelausstellung: St.-Matthäus-Kirche und Villa Schöningen

Norbert Bisky’s Doppelausstellung ist gespeist von seiner persönlichen Geschichte. Vor fast 50 Jahren in Leipzig als Sohn des SED-Politikers und Linken-Mitbegründers Lothar Bisky geboren, hat er das gespaltene Deutschland hautnah miterlebt. Vielleicht gelingt es ihm darum wie kaum sonst jemandem seiner Generation, die Ästhetik, aber auch Themen von damals in figurativen Bildern aufzugreifen. Seine strammen Jünglinge wecken Assoziationen zum Leistungssport der DDR. Diese schönen Männer scheinen ihren Platz in der Welt irgendwie noch nicht gefunden zu haben. Pathetisch sehen die Bilder aus, strotzend vor Leben und Gefühl, aber auch vor Fassungslosigkeit inmitten eines herrschenden Chaos.

"Pompa" in der St. Matthäus-Kirche | Matthäikirchplatz, 10785 Berlin | Bis 16.02.2020 | Dienstag – Sonntag: 11-18 Uhr | Mehr Info

"Rant" in der Villa Schöningen | Berliner Str. 86, 14467 Potsdam | Bis 23.02.2020 | Donnerstag: 18–21 Uhr,  Freitag – Sonntag, 12–18 Uhr | Mehr Info

Foto: dpa

9. Danni Pantel bei Duve

Danni Pantels neue Werkserie "Hysteria" thematisiert die Stigmatisierung mentaler Krankheiten, konkret: die von Depressionen. Das glaubt man nicht angesichts ihrer farbenfrohen und Leichtigkeit versprühenden Malereien. Beim genaueren Hinsehen bemerkt man aber immer mehr Imperfektionen. Mit dieser Spannung geht Pantel bewusst auf gegeneinander wirkende Kräfte ein, die eine Depression begleiten. Verbindung spüren und verlieren, laut versus still und Chaos versus Kontrolle.

Danni Pantel | Galerie Duve Berlin | Michaelkirchstraße 15, 10179 Berlin | Bis 03.01.2020 | Besuch nach Vereinbarung | Mehr Info 

Danni Pantel, Ausstellungsansicht DUVE © DUVE

10. Mind the gap im Meinblau Projektraum

Die Finnen wurden vergangenes Jahr zum glücklichsten Volk der Welt gekürt. Der Einfluss weitläufiger und überall präsenter Natur auf das menschliche Wohlbefinden scheint damit bewiesen. Wer einmal in Finland war, ist nicht überrascht, dass das Silence Project dort seinen Ursprung hat. Die finnische Kuratorin Nina Backman untersucht in verschiedenen kulturellen Formaten, wie das Erleben von Ruhe und Raum, Kulturen sowie Individuen formt. Für die aktuelle Ausstellung "Mind the Gap" bringt sie Arbeiten internationaler Stars wie Marina Abramovic, Gilbert & George, Chiharu Shiota, John Cage und John Baldessari sowie unbekannterer Künstler*innen auf die Bühne. Durch die Gegenüberstellung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Unterschied und Gleichheit stoßen diese zum Nachdenken über das Andere an.

Meinblau Projektraum | Pfefferberg Haus 5, Christinenstr.18/19, 10119 Berlin | Eröffnung: 22.11., 19 Uhr | Bis 08.12.2019 | Mehr Info

Sigurdur Gudmundsson, Self-portrait, 1978, I8 - Gallery, Reykjavik, Island

11. Pizzakartons für den guten Zweck

Eine Charity-Aktion mit Biss: Gazzo, einer der besten Pizzaproduzenten der Stadt, tut sich mit dem queeren Tattoostudio AKA Berlin zusammen, um den Berliner Kältebus und das Duschmobil für obdachlose Frauen zu unterstützen. Dafür kreierten Neun Tattoo Artists exklusive Artworks für die Pizzaboxen. Auf die Originale könnt ihr ab sofort online mitbieten, aber auch noch nach der Versteigerung euren Beitrag leisten. Zahlt ab dem 8. Dezember bei eurer Take-away-Bestellung drei Euro Aufschlag, bekommt eure Pizza im bedruckten Karton und die Kältehilfe und das Duschmobil erhalten eure 3 Euro. Win win situation!

Art Space Zönotéka | Hobrechtstr. 54 | Vorbesichtigung:  07.12.2019, 15–20 Uhr | Bekanntgabe der Meistbietenden: 20 Uhr | Mitbieten könnt ihr hier.

© Philippe Fernandez, AKA Berlin
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