Wie hält man Festivals eigentlich ohne Alkohol aus?

© Franziska Taffelt

Die Luft zum zerbersten, der Boden aus Lava. Eine unerträgliche Hitze, eine unmenschliche Umgebung. Aus den Poren tropft der Schweiß, ohne Erbarmen knallt die Sonne. Gefangen in schonungsloser Höllenglut. Wie ein aufgehender Muffin im Backofen, wie der zergehende Gouda auf einer Lasagne. Die Kehle wird zur Sahara. Trocken, so trocken. Auf der Suche nach Abkühlung stört der Schlaf in den verklebten Augen. Der Griff zur 5,0 Original-Dose verspricht Hoffnung, der ersten Tropfen der goldenen Erfrischung bringt Erlösung. Das erste Bier wird gekippt, das zweite Bier folgt. Das dritte, keine Frage. Das Leben hat wieder einen Sinn, die Nacht im Zelt ist überlebt. Vergnügen, ich erwarte dich! Festival, ich liebe dich!

In etwa so beginnt ein durchschnittlicher Morgen für einen durchschnittlichen Festivalbesucher. Nicht für mich. Ich hieve meinen verbrauchten und miefenden Körper bei 93 Grad mühsam in eine halbwegs menschenähnliche Position und kühle meine glühenden Innenschenkel mit feuchten, duftenden Baby-Tüchern. Ich habe nämlich ein Problem. Ich trinke keinen Alkohol.

Seit etwa zehn Jahren campe ich nüchtern auf Festivals. Dazu bin ich auch noch Vegetarier. Das ist so etwas wie ein Super-LAU – der lameste anzunehmende Umstand.

Seit etwa zehn Jahren campe ich nüchtern auf Festivals. Dazu bin ich auch noch Vegetarier. Das ist so etwas wie ein Super-LAU, der lameste anzunehmende Umstand. Warum ich nicht trinke? Gute Frage! Die Antwort ist zu unspektakulär, um sich damit aufzuhalten, also halten wir einfach fürs Protokoll fest, dass ich von konservativen Nonnen in einem finsteren Südtiroler Bergkloster aufgezogen wurde. Wie man den ganzen Festival-Trubel ohne harten Stoff aushalten kann? Da findet man über die Jahre die eine oder andere Taktik. Während ich am Anfang noch vorgegeben habe, einfach schon zu voll zu sein für das nächste Bier, trinke ich heute stolz mein Baby-Wasser oder Durstlöscher Waldmeister – das vielleicht beste Getränk der Welt – und erkläre großspurig, dass ich ja gar keinen Alkohol brauchen würde, um Spaß zu haben.

Mit einem Baby-Wasser in der Hand schlägt man zudem mehrere Fliegen mit einer Klappe: Schließlich hat man so garantiert keinen näheren romantischen Kontakt und verhütet damit ganz automatisch spontanen Geschlechtsverkehr, den man später möglicherweise bereuen könnte. Klar, ohne Alkohol mag man etwas weniger gesellig erscheinen, doch dann muss man eben Alternativen schaffen, um die Gunst potenzieller neuer Freunde für sich zu gewinnen. Man könnte sich zum Beispiel mit einer gebastelten Jury-Karte, bemalt mit einer einer fetten “10”, an den Rand eines Weges setzen und jeder vorbeilaufender Person aufmerksamkeitswirksam diese positive Bewertung ins Gesicht halten. Das kommt sicher gut an.

© Franziska Taffelt

Eines meiner ersten Festivals war das Rock im Park in Nürnberg. Auf der Bühne spielen dort wirklich jedes Jahr ausschließlich System Of A Down, Metallica oder Marilyn Manson und auf dem Campingplatz kommt ganz Bier-Bayern zusammen. Bier-Bayern, das ist der Teil von Bayern, in dem es neben Markus Söder noch einen zweiten allmächtige Instanz gibt: Bier. Und wenn Rock im Park ist, dann lässt man sich nicht lumpen. Dann wird getankt. Ich werde nie vergessen, wie zwischen den Bands ständig vollgepisste Tetrapaks durchs Publikum flogen. Wie Frauen, Männer, Kinder, vermutlich sogar Tiere einfach so, mitten im Moshpit auf den Boden pullern. Wahrscheinlich fällt einem das nicht auf, wenn man selber säuft. Mir leider schon, mehrere Jahre in Folge. In Zukunft wird so etwas bekanntlich nicht mehr passieren: Dann werden die potenziellen Gefahren-Pinkler schon frühzeitig per Monitoring Made in Bavaria aus dem Verkehr gezogen. Dann hat es sich endgültig ausgepinkelt.

Nach drei Jahren bei Rock im Park war ich abgehärtet. Klar, es ist manchmal unangenehm, jeden Schluck abzulehnen, sich auf Schnapps-Runden herauszuhalten und die heilige Sportarten Flunkyball nicht ausüben zu können. Klar, man fühlt sich als Nicht-Trinker manchmal etwas einsam. So ehrlich will ich sein. Doch die wahre Herausforderung des Alkohol-Verzichts auf Festivals ist der Ekel. Wie ein Seher mit einer unerwünschten Gabe bekommt man wirklich jeden Scheiß mit. Wie der Campingplatz langsam zur Mülltonne wird, wie schlimm Glitzer eigentlich an einem aussieht, wie hart beim Rocken am Brocken in den Wald gekackt wird. Um so etwas auszuschalten, kippe ich mir erstmal einen Durstlöscher hinter die Binde. Den zweiten hinterher. Den dritten, keine Frage. Was im Endeffekt doch wirklich zählen sollte ist und bleibt aber die Musik. Ob mit oder Alkohol, dass ist jedem selbst überlassen.

Das nüchterne Festival-Survival-Programm

Falls ihr dennoch ausprobieren wollt, wie man diese Mammutaufgabe der nüchternen Festivalanwesenheit überleben kann, werden euch folgende – freilich (hunderprotzentig, ganz sicher) selbst getesteten – Kniffe auf jeden Fall helfen. Dabei geht es hauptsächlich darum, die volle Breitseite der Realität auszublenden. Schönsaufen ist schließlich keine Option. Ich empfehle für die Augen Scheuklappen, wie sie aus dem Reitsport bekannt sind. So sieht man den ganzen Dreck um einen herum erst gar nicht. Ohne große Ablenkung kann man so von Bühne zu Bühne galoppieren. Gegen dummes Angelabere von Mitmenschen helfen kabellose Bluetooth-Kopfhörer und Céline Dion. Höchste Lautstärke. Um Körperkontakt mit schwitzigen Individuen komplett zu vermeiden, wären diese Ganzkörper-Zorbing-Bälle sicher eine hilfreiche Option. Ach, und um das heitere Gefühl der Berauschung zu simulieren, kann man sich natürlich auch diese Trunkenheitsbrillen aus dem Karnevalsladen besorgen. Ich denke, das Festival-Surival-Kit steht. Die Saison 2018 kann endlich beginnen!

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