Ihr kommt nicht für die Kunst, ihr kommt für den Gratis-Sekt!

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Am Abend ist eine Performance in Neukölln. Die Location ist brandneu, buchstäblich Underground, in einem Industriekeller nämlich und vor allem schwer zu finden. Auf der Rückseite des Gebäudes führt eine Treppe runter in den Keller. Ich fühle mich wie ein Abenteurer auf Expedition im Urwald. Leuchtstoffröhren blinken an der Decke, am Ende des Flures werden Plastikcontainer bunt angestrahlt. Sicher tropft irgendwo Wasser. Es ist noch Zeit, ich hole mir an der improvisierten Bar ein Bier, lösche damit den Durst, den die Salzstangen verursachen und setze mich auf eine Bank an der Wand, Leute schauen.

Immer mehr kommen, aber viel gibt es nicht zu sehen, außer ein paar mehr oder weniger roten Daunenjacken und Synthetikhosen mit Streifen an der Seite, das Übliche. Der Geräuschpegel nimmt zu, wer nicht redet, trinkt oder dreht sich eine. Es sind doch immer die gleichen Gesichter, die sich auf Vernissagen und Veranstaltungen wie dieser tummeln, eine Atmosphäre wie auf dem Schulhof.

Als sich irgendwann der Musiker vor sein Dingsbums auf den Boden hockt und anfängt an Knöpfen zu drehen und Schalter umzulegen, quatscht ihm die Menge derart unverschämt in die Atmosphäre rein, die gerade beginnt sich aufzubauen, dass mir das Bier fast aus der Flasche schäumt. Das ist doch nicht die Hintergrundmusik in einer Bar. Das ist doch nicht der Soundtrack für den Film, den die Egomanen da fahren.

Da gehen sie schon nur noch auf Facebook, um sich mit ihrem Interesse für die und die Veranstaltung im Feed zu profilieren, kommen dann sogar, werfen sich in Schale, zahlen Eintritt, bringen es dann aber nicht fertig, für zehn Minuten die Klappe zu halten und mal zuzuhören. Und das klingt ähnlich großartig wie Nils Frahm, was da verzweifelt gegen das Geplapper tönt.

Horden von Menschen, die sich für nichts anderes interessieren, als sich selbst und andere möglichst begehrenswerte Exemplare derselben Spezies.

Was haben die sich denn so Wichtiges zu erzählen? Dieses Performance-Pack, dieses Vernissage-Völkchen, das mit gepuderter Nase Woche für Woche von Happening zu Happening hoppt. Horden von Menschen, die sich für nichts anderes interessieren, als sich selbst und andere möglichst begehrenswerte Exemplare derselben Spezies. Es ist eine Hormonbörse, das Schaulaufen sich gegenseitig abfällig beschnuppernder TriebtäterInnen. Die inhaltslosen Gespräche sind Kulisse und Entschuldigung zugleich für hemmungsloses Gaffen und Grunzen. Überall Umarmungen, Lächeln, Nicken und Smalltalk. Zwischendurch immer kurz prüfen, ob die zwar zufällig aussehende, aber gar nicht so zufällig zustande gekommene Haarpracht noch sitzt oder hängt, wie sie soll.

Die kommen nicht für die Kunst, nein, die kommen für den Gratis-Sekt. Es spielt keine Rolle, ob sich jemand an den Synthesizern abmüht oder ob ein Künstler seine Gemälde präsentiert. Im besten Fall kleben eh nur ein paar Fotos an der Wand. Und bitte bloß keine Begleittexte, das sprengt die Aufmerksamkeitsspanne. Verzweifelt suchen sie die Wände nach Fotografien ab, sie wissen doch Bescheid, wissen, dass auf Instagram Fotos mit Blitz gut kommen.

Die kommen nicht für die Kunst, nein, die kommen für den Gratis-Sekt.

Einen Tag später liegen auf einer Vernissage in Tiergarten am Eingang Blätter aus, die die ausgestellten Werke erklären. Als ich später gehe, liegen sie immer noch da. Der Raum, in dem die Bilder hängen, dient den meisten nur als Korridor in den Hinterhof, wo es Bier und Hotdogs gibt. Wie bei Ikea, nur umsonst. Die Felljacken wärmen sich an ihren Würstchen und ziehen dann weiter, ohne eines der Bilder auch nur mit Blicken gestreift zu haben. Aber sie waren da, haben gegrüßt, haben geglänzt, ein paar Fotos gemacht, Röstzwiebeln gegessen.

Das Publikum ist das Who is Who derer, die zwar für Kunst nichts übrig haben, aber eine Plattform brauchen, um sich vor den richtigen Leuten ins Schaufenster zu stellen. Ihnen reicht es nicht, an der Facebook-Veranstaltung interessiert zu sein. Meistens sind es dann nicht mehrere Hundert, die kommen, sondern nur wirklich Affine oder Bekannte der Künstler und eben die, die ihr neuestes Teil unbedingt präsentieren und mit den richtigen Hashtags versehen wollen.

Auf dem Nachhauseweg zählen sie ihre Likes. Dann legen sie sich zufrieden in ihre Betten, besser wäre es, sie blieben dort.

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